Zum zehnten Todestag des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Helmut Zilk erinnert sich seine Ehefrau Dagmar Koller an die schönsten Jahre ihres Lebens, den Abend des Briefbombenattentats und einen bitteren Abschied.
Oh no! Not you again! Der Spruch auf der Fußmatte zu ihrer Wohnung am Wiener Graben ist typisch „Dagi“. „Die meisten Besucher lesen ihn nicht einmal“, erzählt Dagmar Koller, „aber ich muss jedes Mal lachen.“ Ganz in Türkis lehnt sie lässig in der Eingangstür. Mit fast 80 sportlich-schlank, perfekt geschminkt, eine Grande Dame des Show-Biz. Trotzdem immer am Boden geblieben: „Braucht‘s die Schuhe ned ausziehen, der Helmut sieht’s ja nicht mehr.“
„Der Helmut“ ist allgegenwärtig
Aber „der Helmut“ ist allgegenwärtig. In Karikaturen an den Wänden, durch seine „Viechersammlung“ - Zilk hat Tierfiguren aus Bronze und Messing geliebt. In der Bibliothek, wo ein Zilk-Porträt in Schwarz-Weiß am Boden steht. Und seine Biografie „Meine drei Leben“ liegt auf dem Couchtisch. „Ich lese fast jeden Tag ein bisschen darin. Es ist alles so nah und wahr“, sagt Koller leise. Zehn Jahre ist es am kommenden Mittwoch her, dass der ehemalige Fernseh-Journalist, „Krone“-Ombudsmann und Wiener Bürgermeister an einem Freitagmorgen im Wiener Wilhelminenspital gestorben ist.
„Krone“: Frau Koller, zehn Jahre sind eine lange Zeit. Woran erinnern Sie sich in diesem Moment?
Dagmar Koller: Wir waren 1984 in Peking, da hat mir Helmut auf einem chinesischen Markt einen türkisen Stein mit einem Schattenbild gekauft. Er ist mir im Hotel auf den Marmorboden gefallen und in tausend Stücke zerbrochen. Ich habe jedes einzelne Bröckerl eingesammelt und in ein Kuvert gegeben. „Hör auf, so ein Blödsinn!“, hat Helmut gerufen. Ein halbes Jahr später hat er mir das hier zu Weihnachten geschenkt. - Dagmar greift mit beiden Händen zu ihrem Anhänger. - Er hat den Stein reparieren und einfassen lassen und die Brillanterl hat er dazugezaubert. Er hat alles mit so viel Liebe gemacht.
Sind die zehn Jahre schnell oder langsam vergangen?
Zehn Jahre … Nur zehn Jahre, der Helmut ist ja noch immer hier. Und all diese Sachen, die er gesammelt hat! Schauen Sie sich doch nur um. Ich trau mich ja noch nichts weiterzuschenken.
Gehen Sie auf sein Grab?
Wann immer ich Zeit habe, ja. Ich glaube auch, dass er auf mich aufpasst, dass ich keinen Blödsinn mache. (Lacht.)
Ist es immer noch Liebe?
Immer noch. Das wird nie aufhören. Ich hatte ja mit Helmut das größte Glück in meinem Leben. Mit 40 noch so einem Mann zu begegnen - wahnsinnig klug, eine bedeutende Persönlichkeit und doch herzensgut - das war schon etwas ganz Besonderes. Ich war ja damals auch am Höhepunkt meiner Karriere. Helmut war keiner, der hinter mir hergelaufen ist. Wir haben uns nichts gespart, die Reibung war immer da.
Wer hatte mehr Kraft?
Ich als Frau hatte mehr Kraft, würde ich sagen. Denn der Zilk war zwar ein Polterer, aber gleichzeitig war er so lieb, patzweich … Ich glaube, er wäre stolz, wenn er mich heute sehen würde, wie ich doch alles im Griff habe, und vielleicht beim lieben Gott vorsprechen: „Gib ihr noch lange diese Kraft und diesen Geist!“
Haben Sie nie daran gedacht, eine neue Partnerschaft einzugehen?
Fünf Jahre nach seinem Tod hab ich mir gedacht: Also die Einsamkeit muss jetzt aufhören. Und ich habe mir Freunde gesucht. Darunter waren auch einige interessante Männer. Aber die sind alle in festen Verbindungen. Die Medien suchen ja noch immer einen für mich. Aber sie finden keinen. (Lacht.)
Wie müsste er denn sein?
Naja, er müsste im Alter zu mir passen und mit der lustigen Witwe noch Spaß haben wollen. Der Helmut und ich, wir haben ja so eine lustige Ehe geführt. Eine zärtliche, lustige Ehe. Deshalb: Ich habe mich daran gewöhnt, alleine zu leben. Sicher wäre es schön, all die schönen Dinge mit jemandem zu teilen.
Wäre Helmut eifersüchtig?
Und wie! Ihm konnte man nichts verheimlichen. Er hatte überall seine Informanten.
1993 ist in dieser Wohnung eine Briefbombe explodiert. Sie haben Ihrem Mann das Leben gerettet damals. Stimmt die kolportierte Geschichte mit dem Spagat?
Ja, die stimmt. Es war so furchtbar. Das Blut ist in einem Strahl herausgeschossen. Helmut befahl mir, mit einem Spagat den Arm abzubinden. Ich musste erst einen suchen und dann traute ich mich nicht, weil ich Angst hatte, ihm wehzutun. Da schrie er: „Entweder bindest du mir jetzt den Arm ab oder ich werde sterben.“ Es war entsetzlich zu sehen, wie er dann einen Finger nach dem anderen verloren hat.
Wenn Sie an den 24. Oktober 2008 zurückdenken, welche Erinnerung kommt da zurück?
Ich habe nicht eine Sekunde vergessen. Was mich am meisten kränkt, ist, wie ich mich verabschiedet habe …
Warum?
Ich war am späten Nachmittag des 23. Oktober bei ihm. Er hat nicht viel gesprochen. Ich bin dort gesessen, habe was erzählt, er hat nicht geantwortet. Er war ganz still. Der Adi Kainz, unser Adi, ist im Sessel hinten eingeschlafen, er hat immer Wache gehalten. Plötzlich sagte Helmut: „Jetzt geht endlich, ich will schlafen!“ Ich wollte aber noch bis 20 Uhr bei ihm bleiben. Er meinte: „Nein, du gehst jetzt.“ Da habe ich mich über das Gitter gebeugt und ihm ein paar Bussis geschickt. Am nächsten Morgen kam die Todesnachricht.
Hat er Sie weggeschickt, weil er sterben wollte?
Ja. Jetzt muss ich weinen. Er hat es gewusst. Er wollte es mir nicht so schwer machen. Ich bin dann gleich ins Wilhelminenspital gefahren, mein Mann war noch ganz warm. Ich habe ihn geküsst und mich verabschiedet und bin sechs Stunden bei ihm sitzen geblieben. Um halb vier am Nachmittag haben mich die Ärzte gezwungen, zu gehen. Ich wurde durch einen Keller weggebracht, denn vor dem Spital warteten 40 Fotografen.
Wie war es, an diesem Abend in die gemeinsame Wohnung zurückzukehren?
Ich war innerlich ganz leer. Das Einzige, was ich denken konnte, war: Der Helmut ist eh da.
Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Nachdem ich Katholikin bin: Ja! Ich werde ihn wiedersehen und alle anderen, die schon da oben sind. Ich habe ja auch viele meiner Bühnenpartner schon verloren: Josef Meinrad, Peter Minich, Karlheinz Hackl. Ich träume auch noch immer von Helmut. Erst gestern hab ich was so Schönes geträumt, dass es mir leid war, dass ich aufgewacht bin.
Wie würden Sie Helmut Zilks politisches Erbe beschreiben?
Es ist noch immer alles so aktuell, was Helmut für diese Stadt geleistet hat. Jeder spricht mich auf der Straße darauf an. „Na, das hätt’s unter dem Zilk nicht gegeben!“ Oder „Ihr Mann hat unserer Familie so geholfen!“ Und das zehn Jahre nach seinem Tod. Die Wiener sind sehr lieb zu mir.
Macht es Sie traurig, wie die Sozialdemokratie im Moment dasteht?
Überhaupt nicht. Die Rendi-Wagner ist ja entzückend, sie bringt alles mit, was eine Parteichefin braucht. Ich bin überzeugt, dass sie es gut machen wird. Aber ich möchte nicht in ihren Schuhen stecken.
Und Michael Ludwig?
Ein sehr sympathischer Bürgermeister und lieber Freund. Mein Mann hat immer gesagt: „Mit dem Amt wächst man.“
Nicht jeder, wie man bei Christian Kern gesehen hat.
Glauben Sie nicht, dass man ihn kaputtgemacht hat, weil er ein sehr hübscher Mann ist und eine sehr schöne Frau hat? Ich glaube, da waren einige eifersüchtig. Ich finde auch den jungen Mann sehr gut, unseren Sebastian Kurz. Mit ihm schickt Österreich ein Vorbild in die Welt.
Das wird der Wiener Bürgermeister aber nicht gerne hören.
Ich bin ja eine ganz freie Frau, ich kann sagen, was ich will. Und ich sage, beide machen es sehr gut.
Das schillerndste Paar von Wien
Dagmar Koller, Musical-Star und Operetten-Diva, lernt Helmut Zilk 1970 kennen. Er ist zu der Zeit ORF- Fernsehdirektor unter Gerd Bacher. 1978 geben sie einander das Jawort. Ab 1984 ist Zilk Bürgermeister von Wien und Dagmar seine „First Lady“. Am 5. Dezember 1993 wird Zilk bei einem Briefbombenattentat die linke Hand weggesprengt. Er befiehlt seiner Frau, ihm den Arm mit einem Spagat abzubinden, sie rettet ihm dadurch das Leben. 2006 versagt sein Herz, er liegt 104 Tage im Koma. Helmut Zilk wird 81 Jahre alt (gestorben am 24.10.2008).
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