Ein grausamer Mord schockiert die Welt. Österreichs Außenministerin Karin Kneissl (53) spricht mit Conny Bischofberger über den „barbarischen Akt“ an dem saudischen Regimekritiker Jamal Khashoggi, das umstrittene „König Abdullah-Zentrum“ in Wien, ihre abgesagte Riad-Reise und Diplomatie zwischen Menschenrechtsverletzungen und Milliardeninvestitionen.
Donnerstagabend im Außenministerium am Minoritenplatz. Vom Büro der Ministerin kann man die „Donnerstags-Demo“ am Ring sehen. „Auch wenn der Protest der Regierung gilt, der ich angehöre: Wir haben Demonstrationsfreiheit“, sagt Karin Kneissl und schält noch schnell zwei Mandarinen, die sie während unseres Gesprächs verspeist. Dazu trinkt sie grünen Tee aus einer weißen Tasse.
Sie hat mit ihren Hunden Winston und Jacky im Büro übernachtet und wirkt ein bisschen müde. Ihre Stimme ist leiser als sonst, trotzdem ist die Ministerin nie um Zahlen und Fakten verlegen.
„Krone“: Frau Ministerin, liegt die ganze Wahrheit im „Mordfall Khashoggi“ schon auf dem Tisch?
Karin Kneissl: Es gibt noch viele Widersprüche. Deshalb habe ich den saudischen Botschafter am vergangenen Dienstag ins Außenministerium geladen, um eine Sachverhaltsdarstellung jenseits dessen, was aus den Medien bekannt ist, zu bekommen.
Kam da das Wort „Mord“ vor?
Nein, das kam nicht vor. Ich glaube, er hat von einem „horrible act“ gesprochen. Ich habe bei dieser Gelegenheit unsere Forderung nach einer unabhängigen Aufklärung bekräftigt. Es müssen Experten eingeschaltet werden, die nicht aus Saudi-Arabien kommen, und auch nicht aus der Türkei.
Dass ein Mensch auf so grausame Weise ermordet und dann so schamlos gelogen wird, hätten Sie das für möglich gehalten?
Ich habe immer wieder mit grausamen Realitäten zu tun gehabt, deshalb halte ich nichts für umöglich. Aber ich will mir sowas auch gar nicht vorstellen. Tatsache ist, dass Menschen, die die saudische Regierung kritisieren, Probleme haben. Ich habe bereits am 8. Oktober, also sechs Tage nach dem Verschwinden von Khashoggi, festgehalten, dass es sich hier augenscheinlich um einen barbarischen Akt handelt und eine Untersuchung des Falles gefordert. Die meisten europäischen Staaten haben erst Mitte Oktober gehandelt.
Barbarischer Akt, gut und schön. Aber das „König Abdullah-Zentrum“ bleibt. Warum hofieren wir die Saudis?
Das Zentrum stand schon 2014 in der Kritik. Damals hat das Außenministerium bereits einen kritischen Bericht mit einem Forderungskatalog erstellt. In direkten Gesprächen mit dem Generalsekretär des Zentrums habe ich am Dienstag noch einmal daran erinnert, dass die drei Vertragsstaaten - Österreich, Spanien und Saudi-Arabien - durch andere Mitgliedsländer und Organisationen erweitert werden müssen. Der interreligiöse Dialog muss in erster Linie auch ein innermuslimischer Dialog - insbesondere zwischen Sunniten und Shiiten - sein. Denn wir haben in der islamischen Welt eine gewaltige Spaltung. Dieser Dialog ist bis heute nicht erfolgt.
Das „Hofieren“ haben Sie jetzt elegant umschifft. Und die von der Opposition geforderte Schließung auch.
Ich sehe da kein Hofieren! Unsere Botschaften sind sehr klar.
Ist es vielleicht wirklich so, wie sich viele Menschen Weltpolitik vorstellen? Wenn Öl oder Waffen im Spiel sind, kann man halt nix machen?
Stimmt so nicht. Die Ölproblematik wird bei Saudi-Arabien immer geringer, und Österreich ist - im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern - seit 2015 auch kein Rüstungslieferant mehr. Aber Saudi-Arabien investiert in viele Firmen. Also es sind Interdependenzen da, aber die lassen sich nicht auf Erdöl und Erdgas herunterbrechen, die liegen in Staatsfonds aus verschiedenen rohstoffreichen Ländern.
Und da ist es dann egal, wenn in solchen Ländern Frauen gesteinigt und Schwule gefoltert werden?
Ich habe dem saudi-arabischen Außenminister, den ich zweimal getroffen habe, meine Besorgnis zu den von ihnen genannten Themen kundgetan. Und ich sage es noch einmal: Ja, unsere Sorge, was die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien anbelangt, ist sehr, sehr groß.
Ist Saudi-Arabien das nicht völlig egal, wenn sich die Außenministerin eines kleinen Landes besorgt zeigt?
Ja, aber dann könnten wir aufhören, überhaupt irgend etwas zu tun. Als ich mit 15 zu Amnesty International ging und einen Brief an Ayatollah Khomeini geschrieben habe, wusste ich auch, dass ich damit nicht die Welt oder den Iran retten werde. Trotzdem ist es wichtig, sich zu bekennen. Auch mit meiner Rede vor der UNO-Generalversammlung, die ich in vier Sprachen gehalten habe, kann ich die Welt nicht verändern. Dennoch hat diese Rede auch inhaltlich viel bewirkt. Weil es das erste Mal war, dass eine westliche Politikerin dort auf Arabisch gesprochen hat.
Hat der „Fall Khashoggi“ dann unsere Beziehungen zu den Saudis überhaupt verändert?
Sicher. Erste Konsequenz war, dass ich meine Reise, die für Anfang Dezember geplant war, nach Riad abgesagt habe. Und zwar bereits am 8. Oktober, nicht erst gestern. Zweite Konsequenz: Ich habe in einer gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung gesagt, dass die gesamteuropäische Union ihre Beziehungen zu Saudi-Arabien überdenken wird müssen. Und das passiert ja jetzt auch.
Würden Sie, wenn Sie das Land besuchen, eigentlich einen Burnus tragen so wie seinerzeit Frau Bandion-Ortner?
Nein. Ich habe dem saudi-arabischen Außenminister klipp und klar gesagt: Ich verkleide mich nicht! Ich habe ihm auch angekündigt, dass ich, sollte ich nach Saudi-Arabien reisen, genau jene Frauen treffen möchte, die sich für Frauenrechte engagieren. Das Autofahren ist das Symbolhafte, das immer wieder hervorgekehrt wird, aber trotzdem darf sich eine saudische Frau nicht ohne männlichen Vormund bewegen.
Aber im Iran müssten auch Sie ein Kopftuch tragen, korrekt?
Ich binde mir sicher kein Kopftuch um, sondern würde höchstens mit einem leichten Schal ein bisschen von meiner Frisur bedecken. Das habe ich auch als freie Journalistin immer so gehalten. Dem Präsidenten Rohani habe ich im direkten Gespräch gesagt, dass meine Sympathien jenen Frauen gelten, denen es reicht, die keinen Schleier mehr wollen.
Ist der Iran, was Menschenrechtsverletzungen angeht, denn besser als Saudi-Arabien?
Ich will da nicht ein Land gegen das andere aufrechnen. Dass kein Mensch gefoltert werden darf, ist zwingendes Völkerrecht, und trotzdem finden Folterungen nicht nur im Iran und in Saudi-Arabien statt. Da könnten wir jetzt eine ganze lange Liste von Staaten nennen.
Wenn der saudische Kronprinz jetzt zur Tür hereinkäme, was würden Sie ihm sagen?
Ich würde ihn zunächst willkommen heißen, das ist eine Frage der Höflichkeit, im Sinne von Achlan wa sachlan. In dem Moment, in dem ich spüre, dass die Atmosphäre passt, würde ich klare Worte finden. Diplomatie hat sehr viel mit Atmosphäre zu tun.
Apropos Diplomatie: Hängt Ihnen die Einladung Putins zu Ihrer Hochzeit eigentlich noch nach?
Ich kann mich gut erinnern, dass Sie mich damals gefragt haben, ob ich das bereue, weil dieser Knicks das Bild sein werde, das von mir übrig bleibt. Meine Antwort war, dass noch ein bisschen mehr passieren wird. Ich denke, dass mir da schon einiges gelungen ist.
Was denn?
Sie können in sechs Monaten natürlich nicht die Welt aus den Fugen heben. Aber das Außenministerium hat sehr viel internationale Berichterstattung, die Aussagen der österreichischen Außenministerin werden rezipiert. Darüber schreiben brasilianische Zeitungen genauso wie angolanische und srilankesische. Wir haben auch ein gewaltiges mediales Echo in der arabischen Welt. Da geht es um Inhalte, nicht darum, mit wem ich Walzer getanzt habe. Auch im Operativen habe ich noch einiges vor. Wir planen beispielsweise größere Entminungsprojekte in Syrien, damit vor allem die in den Nachbarstaaten Jordanien und Libanon befindlichen syrischen Flüchtlinge schon bald wieder in ihre Heimat zurückkehren können.
Gewaltiges mediales Echo hatte auch Sebastian Kurz am Cover von „Newsweek“. Ist das ein Bericht, auf den Österreich stolz sein kann?
Ich habe den Artikel überflogen und als äußerst schlecht recherchiert empfunden. Hier wurde beispielsweise die gesamte Ära Kreisky außer Acht gelassen, so als hätte es in den letzten 100 Jahren gar keine österreichische Politik gegeben. Nichts gegen eine kritische Sichtweise, aber die sollte korrekt recherchiert sein.
Finden Sie auch, dass das Bild auf dem Titel in „Riefenstahl-Optik“ gehalten ist?
Die Optik bedient klar den Pauschalvorwurf, den auch ich immer wieder erlebe. Unlängst habe ich in Paris eine Rede gehalten, da kam ein Franzose auf mich zu und meinte, für eine Faschistin hätte ich es gar nicht so schlecht gemacht. (Karin Kneissl erzählt das natürlich alles in schönstem Französisch, inklusive ihrer detailreichen und mit vielen historischen Daten gespickten Verteidigung.) Österreich steht also unter diesem großen Pauschalvorwurf des Faschismus, des Rassismus. Ich lasse mir Österreich nicht in dieser Form anpatzen. Ich finde es anstrengend, ungerechtfertigt und eigentlich auch schon fad.
Autorin, Analytikerin, Diplomatin
Geboren am 18. Jänner 1965 in Wien. Einen Teil ihrer Kindheit verbringt sie in Amman, wo ihr Vater als Pilot arbeitete. Die Mutter war Stewardess. Jus- und Arabistik-Studium in Wien, Jerusalem, Amman, Washington und Paris. Ab 1990 arbeitet sie für Außenminister Mock und an den Botschaften in Paris und Madrid. Im Dezember 2017 wird die Publizistin, Analytikerin und Buchautorin Außenministerin. Verheiratet mit dem Unternehmer Wolfgang Meilinger, das Paar lebt mit 20 Tieren auf einem Bauernhof in Seibersdorf, NÖ.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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