Vor einem Jahr erschoss im steirischen Stiwoll ein ortsbekannter Querulant zwei Nachbarn. Vom Täter fehlt weiter jede Spur. Ein „Krone“-Lokalaugenschein zum Jahrestag.
Die milde Herbstsonne taucht die Landschaft in goldenes Licht. Von den grünen Wiesen zupfen Kühe die letzten Grashalme, während bunte Blätter durch die Luft wirbeln. Ein gelbes Postauto schlängelt sich durch die engen Gassen hinauf auf den Berg. Hundegebell in der Ferne, ansonsten nur Stille und Natur. Weststeirische Idylle wie aus dem Bilderbuch. Genauso stellt man sich einen Ort mit 720 Einwohnern vor. Und doch ist hier nichts mehr so, wie es einmal war. Stiwoll, ein Jahr danach.
Ein Jahr, nachdem Friedrich F., ein ortsbekannter Querulant, in den Vormittagsstunden des 29. Oktober 2017 mit einem Kleinkalibergewehr zwei Menschen erschoss: Adelheid H., 55, und Gerhard E., 64 Jahre. Es war das tödliche Ende eines jahrelangen Nachbarschaftsstreits um einen Weg auf F.s Grundstück. Nach der Bluttat, bei der auch eine 68-Jährige schwer verletzt wurde, flüchtete der Doppelmörder. Seine Spur verliert sich in den dichten Wäldern rund um Stiwoll.
„Ein paar Mal hat’s gekracht“
Die ersten Allerheiligengestecke schmücken die Gräber des örtlichen Friedhofs. Erika in kräftigem Rot haben die verblühten Stiefmütterchen ersetzt. Da und dort zeugen Sonnenblumen vom langen Sommer. Hier, wo sich nicht nur das Grab der Familie F. befindet, sondern auch Adelheid H. ihre letzte Ruhe gefunden hat, entfernt Alfred S. mit der Gartenschere Unkraut. Seine Frau ist vor 14 Jahren gestorben. „Den Gerhard E. hab’ ich gut gekannt“, erzählt der Pensionist, während er das Grab seiner Gattin pflegt. „Furchtbar, was damals mit ihm und der Frau H. passiert ist.“
Alfred S. legt die Gartenschere weg, verschränkt die Arme. Dann beginnt er zu erzählen: „Ich habe die Schüsse gehört. Ein paar Mal hat’s gekracht. Ich bin Jäger und habe mir gedacht, dass zu dieser Zeit ja niemand von uns schießt. Dann ist auch schon die Schwiegertochter dahergelaufen und hat geschrien, dass in Stiwoll geschossen wird.“
Nur wenige Hundert Meter entfernt bereitet man im Gasthaus Frittatensuppe zu. Danach gibt’s Toast mit Ketchup. Wer vorbestellt, kriegt Schnitzel mit Pommes. „Der Ort ist weitgehend zur Ruhe gekommen“, sagt der Wirt. „Doch für die Angehörigen ist es nach wie vor schlimm. Damit, dass das Ganze zum Jahrestag wieder hochkocht, haben wir gerechnet. Aber mehr möchten wir dazu nicht sagen.“
So halten es die meisten hier im Dorf. Sie möchten wieder zur Ruhe kommen, ihr „altes“ Stiwoll zurückhaben. Ein Stiwoll der unbeschwerten Dorffeste, des geselligen Vereinslebens, des engen Zusammenhalts. „Wir fürchten uns schon richtig vor dem Jahrestag“, bringt Bürgermeister Alfred Brettenthaler die Stimmung in seiner Gemeinde auf den Punkt. „Die meisten haben das Thema weggesteckt, doch jetzt wird man wieder überall daran erinnert.“
Seit vier Jahren ist der dreifache Familienvater Ortschef von Stiwoll, der verhängnisvolle Herbstsonntag hat sich tief in sein Gedächtnis eingegraben: „Ich wünsche keinem Bürgermeister, dass er so etwas durchmachen muss. Es war wirklich extrem.“
„Niemand im Ort hat mehr Angst“
Zu den Opferfamilien hält der 34-jährige Politiker, der im Hauptberuf Landwirt ist, weiterhin Kontakt, ebenso zu den Töchtern des Amokschützen. Dessen Gattin, die nach wie vor im Dorf lebt, sieht er hie und da mit dem Auto vorbeifahren, „doch mehr hört man von ihr nicht“. Aber auch für sie stünden seine Türen offen, sagt Alfred Brettenthaler.
Denn jetzt gehe es darum, mit dem Geschehenen abzuschließen: „Heute wollen wir endgültig einen Schlussstrich ziehen.“ Es werde keine Feier, kein offizielles Gedenken geben: „Jeder will seine Ruhe haben. Niemand hat mehr Angst, niemand verbarrikadiert sich im Haus. Für Stiwoll geht es wieder aufwärts!“
Das Rätsel um Friedrich F.
Wo steckt der mutmaßliche Doppelmörder von Stiwoll? Seit einem Jahr fehlt von Friedrich F., der sich immer wieder mit Nachbarn und Behörden anlegte und schließlich zum Amokläufer wurde, jede Spur. Die Soko „Friedrich“ suchte wochenlang nach dem Steirer - erfolglos. „Je länger es keinen gesicherten Aufenthalt gibt, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass der mutmaßliche Täter verstorben ist“, sagt Ermittlungsleiter Rene Kornberger. Er könnte sich erschossen haben oder bei einem Unfall ums Leben gekommen sein.
Manche Stiwoller wollen das aber nicht glauben, sie vermuten, dass er sich nach wie vor irgendwo (im Wald, in einem Keller) versteckt hält. Möglich ist auch, dass F. ins Ausland geflüchtet ist und dort unerkannt lebt. In der Steiermark gab es so einen Fall noch nie.
Gerald Schwaiger, Kronen Zeitung
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