Experte Claudius Thomé

Das Kreuz mit dem Kreuz – was tun?

Tirol
11.11.2018 12:48

Univ.-Prof. Dr. Claudius Thomé, Direktor und Chefarzt der Uniklinik für Neurochirurgie an der Medizinischen Universität Innsbruck, ist oft die letzte Anlaufstelle, wenn ein Bandscheibenvorfall so ausgeprägt vorliegt, dass das Gefühlsvermögen oder die Bewegungsfähigkeit zum Beispiel in der Hand, im Arm oder in den Beinen mehr und mehr nachlässt oder gar ausfällt. Die „Krone“ sprach mit der Koryphäe.

Herr Professor Thomé, notwendige Operationen an der Wirbelsäule - beispielsweise wegen eines Bandscheibenvorfalls sind eigentlich orthopädische Aufgaben. Wann und warum treten Sie als Neurochirurg bei so einer Verletzung hinzu?
Claudius Thomé: Traditionell war die Orthopädie auf die muskuloskelettale und biomechanische Betrachtung der Wirbelsäule fokussiert, während die Neurochirurgie sich auf die Nerven und das Rückenmark konzentrierte. Dementsprechend war und ist der niedergelassene Orthopäde oft erster Ansprechpartner bei Rückenschmerzen, die in der Regel mit Physio- und Schmerztherapie konservativ gut behandelt werden können. Bei Ausfallserscheinungen wie Lähmungen oder Blasenstörung durch Bandscheibenvorfälle, Tumore etc. ist der Neurochirurg gefragt.

Bei operativer Therapie ist Neurochirurg gefragt
So tritt die Neurochirurgie meist bei der operativen Therapie von Bandscheibenvorfällen bzw. bei Lähmungserscheinungen, also Störungen der Nerven, auf den Plan. Auch wenn eine gewisse Spezialisierung der Orthopädie auf große Wirbelsäulenoperationen wie Skolioseaufrichtungen und der Neurochirurgie auf minimal-invasive Entlastungsoperationen oder Operationen der Halswirbelsäule noch besteht, so hat sich dies in den letzten Jahren gewandelt. Auf die Wirbelsäule spezialisierte Kolleginnen und Kollegen decken unabhängig von ihrer Ausgangsdisziplin fast das gesamte Spektrum der Wirbelsäulenchirurgie ab. Ich hatte das Glück, komplizierte Versteifungsoperationen bei Orthopäde Prof. Harms, einem Pionier der Wirbelsäulenchirurgie, zu erlernen.

Prof. Claudius Thomé (Bild: Tirol Kliniken)
Prof. Claudius Thomé

Was bedeutet eine Operation in unmittelbarer Nähe zum Rückenmark für die Patienten und Heilungsdauer?
Grundsätzlich ist eine Operation an den Spinalnerven und besonders am Rückenmark immer mit der Gefahr einer Lähmung verbunden und wird daher in der Regel mit einem Operationsmikroskop millimetergenau durchgeführt. Allerdings muss man einfache Routineeingriffe wie Bandscheibenoperationen oder minimal-invasive Entlastungsoperationen eines verengten Spinalkanals von komplizierten Versteifungsoperationen oder Operationen am offenen Rückenmark unterscheiden. Die simplen Eingriffe erfolgen über kurze Schnitte und die Patienten erholen sich innerhalb von wenigen Tagen. Versteifungsoperationen, bei denen eventuell sogar Verkrümmungen geradegerichtet werden, erfordern eine längere Wund- und Knochenheilung.

Auch wenn derartige Operationen inzwischen ebenfalls schon minimal-invasiv und unterstützt mit Computernavigation vorgenommen werden können, beträgt hier die Heilungsphase einige Wochen. Ist das Rückenmark selbst etwa von einem Tumor betroffen und die Patienten haben schon eine Querschnittslähmung entwickelt, kann die Erholungsphase Monate betragen.

Ist die Heilung nachhaltig oder kann es sein, dass eine neurochirurgische Operation bei einem weiteren Bandscheibenvorfall wiederholt wird? Ist das oft möglich?
Glücklicherweise müssen die meisten Bandscheibenvorfälle gar nicht operiert werden und bilden sich von alleine zurück. Es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir ab einem Alter von 30 Jahren Abnützungserscheinungen an der Wirbelsäule wie Bandscheibenvorfälle im Röntgen zeigen, aber die Natur die meisten Beschwerden von alleine bzw. mit Unterstützung durch konservative Therapie heilen kann.

Wirbelsäule passt sich Alterungsprozess an
Die Bandscheiben verschwinden mit den Jahren, aber die Wirbelsäule passt sich diesem normalen Alterungsprozess an. Halten starke Schmerzen jedoch für mindestens sechs Wochen an oder treten Lähmungserscheinungen auf, ist häufig eine Operation notwendig. Während man früher versuchte, den ganzen Bandscheibenkern zu entfernen, bemüht man sich heute, möglichst schonend vorzugehen und die Bandscheibe als natürlichen Stoßdämpfer zu erhalten. Es besteht ein Risiko von 10%, dass es nochmals zu einem Bandscheibenvorfall kommt, der erneut operiert werden kann. Schreitet die Abnützung einer Bandscheibe massiv voran, kann auch eine Versteifung nötig werden. Um dies zu verhindern, haben wir in Innsbruck eine Studie zum Abdichten des Loches in der Bandscheibe und eine Studie zum Wiederaufbau der Bandscheibe mit körpereigenen Zellen durchgeführt, deren Ergebnisse vielversprechend sind.

(Bild: Tirol Kliniken)

Gesundheitsgespräche am 13. November
„Bandscheibenvorfall und Kreuzweh - das Kreuz mit dem Kreuz“. Am 13. November finden die 9. Tiroler Gesundheitsgespräche der Tirol Kliniken in Kooperation mit „Tiroler Krone“ und ORF Tirol statt. Moderation: Barbara Kohla. Eintritt frei. Beginn: 19.30 Uhr. Anmeldung:  0512-566533 oder studio3.tirol@ORF.at

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