Wahnsinn hat Methode

Wie das System Trump die Freiheit abbaut

Ausland
17.11.2018 06:00

Der Wahnsinn hat also Methode: Trumps zweite Halbzeit hat zwar erst begonnen, aber schon die ärgsten Befürchtungen übertroffen. Die Medien, die „vierte (Kontroll-)Gewalt“ im Staat, liegen unter Dauerbeschuss, und die unabhängige Justiz kommt unter Druck.

Am Ende von Trumps möglicherweise zwei Amtszeiten 2024 werden die USA nicht mehr wiederzuerkennen sein. Der Verlust an Freiheit in dem wachsenden Klima von politischer Aggressivität und Gewalt wird kaum mehr rückgängig zu machen sein. Und es besteht in den USA auch kein besonderer Wunsch danach.

Demokraten eine „Bande von Strolchen“
 In den ersten beiden Amtsjahren des Hasspredigers Trump ist die Zahl von Hassverbrechen um 17 Prozent gestiegen, und erst am Donnerstag nannte Trump die Demokraten eine „Bande von Strolchen“. Die Medien versucht Trump durch Dauerverleumdung einzuschüchtern und gefügig zu machen.

Donald Trump lieferte sich in ein scharfes Wortduell mit CNN-Reporter Jim Acosta. (Bild: AP)
Donald Trump lieferte sich in ein scharfes Wortduell mit CNN-Reporter Jim Acosta.

Trump ist nicht allein. Er hat Kollegen in der Welt: Ungarns Orban, Polens Kaczynski, Brasiliens Bolsonaro, Erdogan, Duterte auf den Philippinen usw. Kein Zweifel: Der Demokratie geht es gar nicht gut. Man gewinnt heute den Eindruck, dass sich die Demokratie weltweit auf dem Rückzug befindet. Demokratie bedeutet Freiheit, und mit der Freiheit ist es so wie mit der Luft: Erst wenn es sie nicht mehr gibt, merkt man, dass sie fehlt. Wer die Demokratie leichtsinnig an Demagogen (also: Volksverführer) abtritt, kann sie nur schwer wieder einfangen.

„Wie Demokratien sterben“ ist der Titel des US-Bestsellers zweier Harvard-Professoren, Steven Levitsky und Daniel Ziblatt. Allein dieser Buchtitel, auf die USA bezogen, wäre vor Jahren unvorstellbar gewesen.

Machterschleichung statt Machtergreifung
 Demokratien können mit einem Knall sterben, aber auch mit dem Wimmern eines langsamen Dahinsiechens, meinen die beiden Professoren. Das Dahinsiechen sei gefährlicher, weil es die Bürger erst merken, wenn es zu spät ist. Trump macht es anderen vor: „Starke Männer“ haben heute wie seit hundert Jahren nicht mehr die Chance, die Macht auf halbwegs demokratischem Wege zu erschleichen.

(Bild: APA/MARKUS LEODOLTER)

Der erste Schritt auf die schiefe Bahn, so die Autoren, heißt Demokratiemüdigkeit. Sie breitet sich aus, wenn der (falsche) Eindruck entsteht, „dass die Demokratie nichts mehr zusammenbringt“, dass sie neuartigen Herausforderungen nicht mehr gewachsen ist, wie zum Beispiel den Migrationsfolgen ab 2015. Kritik an der Demokratie wird Trend, noch dazu, wenn das derzeit dynamischste Wirtschaftssystem der Welt, China, auch das größte autoritäre System der Welt ist. Interessant: Der Verzicht auf die demokratischen Freiheiten ist kein Armutsphänomen. Beispiel: Polen ist der heimliche Wirtschafts-Star in Osteuropa.

Brutale Schneisen durch die Partei gezogen
Die USA hatten schon vor Trump in ihrer Geschichte zahlreiche Demagogen und Angriffe auf die Demokratie, besonders während der großen Wirtschaftskrise in den Dreißigerjahren. Warum hatten sie damals keinen Erfolg? Die beiden Autoren meinen: Es waren die beiden großen Parteilager, die das System stabil gehalten haben. Und gerade im Zusammenhang mit Trump registrieren die beiden Politikwissenschafter bei der Republikanischen Partei „die große Abdankung“. Trump zog mit seinem aggressiven Stil brutale Schneisen durch die Partei. Seine chaotischen Widersprüche, ja Lügen, machen Faktenchecks unmöglich, verwirren und lähmen Kritiker.

Der raffinierte Zyniker Viktor Orban hat subtilere Methoden. Er weiß: Am leichtesten schaltet man Gegner aus, indem man sie aufkauft. Heute gibt es in Ungarn nur noch ein einziges unabhängig-demokratisches Medium. In allen Medien, die ihm zur Verfügung standen, orgelte Orban einen Wahlkampf nicht mit der althergebrachten Propaganda des Erfolges, sondern erstmals mit einem Trommelfeuer auf ein Hassobjekt: George Soros.

Viktor Orban (Bild: APA/AFP/Christof Stache)
Viktor Orban

Autokraten zeichnet die Überzeugung aus, dass nicht Institutionen des Staates, sondern allein ihre Wahlsiege die politischen Spielregeln diktieren. Die Buchautoren fordern deshalb, auf die „Leitplanken der Demokratie“ zu achten und sie zu stärken: die unabhängige Justiz. In der institutionellen Übermacht des US-Präsidenten sehen sie eine Gefahrenquelle. Tatsächlich wirft Trump wie ein Alleinherrscher mit Dekreten um sich.

Die Autoren zitieren dazu das beispielhafte Verhalten des Staatsgründers George Washington: Der General sei der Meinung gewesen, er habe wirkliche Macht erst erlangt durch seine Bereitschaft, sie aufzugeben. US-Präsident Roosevelt hatte „in seinem grenzenlosen Tatendrang und Ehrgeiz“ eine deutlich offensivere Auffassung: Dem Präsidentenamt sei jede exekutive Handlung erlaubt, solange es kein Gesetz gebe, das diese verbietet, so seine Meinung.

Der US-Senat in Washington (Bild: APA/AFP/Getty Images/Win McNamee)
Der US-Senat in Washington

Den Beginn des Zerbröseln der Demokratie in den USA orten die Autoren schon nach dem Erdrutschsieg der Republikaner 1994, als die Partei unter der Führung von Newt Gingrich die Konsensdemokratie verließ und unter dem Motto „Keine Kompromisse!“ eine politische Kriegsführung einleitete. Das steigerte sich gegen Obama zu einem aggressiven Krieg des Tea-Party-Flügels im republikanischen Lager: Präsident Barack Hussein Obama sei ein heimlicher Moslem und gar nicht in den USA geboren, logen sie.

Die Angst der „Weißen“ vor ihrem Abstieg
 Woran krankt also die amerikanische Demokratie? Schon 1964 hat der Historiker Richard Hofstadter unter dem Titel „Der paranoide Stil in der amerikanischen Politik“ das Phänomen der „Status-Angst“ beschrieben, das seiner Meinung nach auftritt, wenn die soziale Stellung und Identität einer Gruppe existenziell gefährdet sind.

Heute ist es die „Status-Angst“ der weißen angelsächsischen Protestanten. „Sie haben sich in der Republikanischen Partei verbarrikadiert“, schreiben die Autoren. Politik als Kriegsführung wirke auf diejenigen anziehend, die Angst haben, viel zu verlieren. Eine solche Politik erwarten sie von dem derzeitigen Wüterich im Weißen Haus mit seinen systematischen Verstößen gegen die geltenden Normen.

Kurt Seinitz, Kronen Zeitung

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