Selten stehe ich mit derart verklärtem Blick vor einem Auto wie vor der Alpine A110. Klar, das kann bei einem Lamborghini auch passieren, aber es gibt so viele Lambos, Ferraris, Astons und was weiß ich alles. Nach der Alpine verzehren sich die Autofans, da sind sie sich so einig wie selten bei einem Fahrzeug mit einem fünfstelligen Preis. Und womit? Mit Recht!
Unpeinlicher kann man einen Klassiker kaum wiederaufleben lassen. Das Schöne ist: Die neue Alpine würde wohl auch „funktionieren“, wenn es die alte nie gegeben hätte. Diesen Rallye-Champion, der zwischen 1962 und 1977 ganze 15.000-mal gebaut wurde, mehr oder weniger Jahr für Jahr überarbeitet, mit unterschiedlichen Vierzylindermotoren im Heck. Trotzdem unterstützt es natürlich die Freude an diesem herrlichen Zweisitzer, dass die Legende immer mitfährt.
Der Motor sitzt noch immer hinter dem Fahrer, allerdings jetzt in Mittelposition vor der Hinterachse. Neu entwickelter 1,8-Liter-Vierzylinder, Turbolader. Klar, der ist nicht Teil der Legende - obwohl, irgendwie schon: Die A110 wurde von Fans „le Turbot“ genannt (heißt auf Deutsch „Plattfisch“).
Außerdem traben die 252 PS unverzüglich an, bei 2000/min. schieben 320 Nm vorwärts, gedreht wird bis maximal 6500 Touren. Und der Klappenauspuff röhrt herrlich! Jedenfalls in den Sport-Modi, aber immer mit natürlicher Stimme, ohne künstliche Sperenzchen. Nicht so aufdringlich wie ein Porsche 718, sondern eher auf eine feine Art böse.
Geht gut!
Angesichts der Motorleistung braucht man nicht die Nase rümpfen, denn die Alpine wiegt zwar die Hälfte mehr als ihre Ahnin, ist aber mit rund 1100 kg (je nach Ausführung) trotzdem ein Leichtgewicht, auf Augenhöhe mit dem Mazda MX-5 RF. Kein Wunder, Fahrwerk und Aufbau bestehen zu 96 Prozent aus Aluminium. In 4,5 Sekunden fällt der Hunderter.
Puristen werden ein manuelles Schaltgetriebe vermissen, aber das eigens für die Alpine abgestimmte Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe ist ein Quell der Freude. Es hat nur zwei Probleme: die fest stehenden, sehr kurzen und klapprig klingenden Alu-Schaltpaddles. Technisch ist aber nichts auszusetzen: Sanft im Normalbetrieb, aber vor allem im Race-Modus knallt es die Gänge rein, dass man sich auf jeden einzelnen Schaltvorgang freut.
Angetrieben werden - natürlich - die Hinterräder, allerdings verzichten die Franzosen auf ein mechanisches Sperrdifferenzial. Die Alpine ist also keine Driftmaschine, obwohl sie sonst beste Voraussetzungen dafür hätte. Der Wagen ist fein ausbalanciert, 56 Prozent des Gewichts liegen hinten.
Schöner als schnell fahren
Die große Überraschung ist das Fahrwerk, das bei Weitem nicht so hart austeilt wie erwartet. Zwar wirkt es bei langsamer Fahrt hart, sobald man etwas Tempo aufnimmt, merkt man jedoch, wie weich es ist. In Kurven ist deutliche Seitenneigung spürbar. Trotzdem ist der Grip beachtlich - liegt wohl an den Doppelquerlenkern, die vorne wie hinten verbaut sind.
Ihre Heimat findet die Alpine A110 auf der Landstraße, in schnell gefahrenen Kurven. Da pfeilt und wuselt sie handlich ums Eck, 1,25 Meter flach (nur 13 cm höher als die winzige Ur-Alpine!), nur 4,18 Meter lang; die Bremsen (32er-Scheiben vorne) packen kräftig zu. Auf der Autobahn hingegen fühlt sich die Französin nicht so recht wohl, will da sehr genau geführt und über die nicht hundertprozentig gefühlvolle Lenkung ständig korrigiert werden. Schön ist sie, schön schnell zu fahren weniger, hier rächt sich das weiche Fahrwerk.
Napoleon lässt grüßen!
Gut für schnelle Kurvenfahrten geeignet sind auch die mit 13,1 kg sehr leichten Sabelt-Schalensitze (serienmäßig in der A110 pure), die nicht nur mit herrlichem, gestepptem Leder bezogen sind, sondern hervorragenden Seitenhalt bieten. Leider ist ihre sehr flache Lehne nicht verstellbar, wodurch die Sitzposition nur für sehr kleine Fahrer passt.
Wer größer ist als Napoleon und trotzdem nah genug am Lenkrad sitzen möchte, dem seien die sechsfach verstellbaren Sportsitze (gibt es auch mit Sitzheizung) ans Herz (bzw. an den Körper) gelegt.
Durchwachsener Eindruck im Innenraum
Ja, die Alpine ist auch im Innenraum schön. Dem fetten, roten Startknopf kann man kaum widerstehen, dem kleinen roten Fahrmodusknopf am Lenkrad ebenso wenig (lang drücken aktiviert den Race-Modus). Leder, Alcantara, blaue Nähte und eine „schwebende“ Mittelkonsole schaffen Rennatmosphäre. Und doch würde ich mir mehr Liebe zum Detail wünschen - was aber wahrscheinlich zu teuer gewesen wäre.
Das fängt an mit dem bereits erwähnten Bediensatelliten aus Renault-Massenproduktion an und reicht bis zum Navitainment, das man aus anderen Renaults und außerdem von Suzuki kennt. Simpel gestrickt, aber superumständlich zu bedienen, mit teils winzigen Schaltflächen am Sieben-Zoll-Touchscreen. Da mag man gar nicht die vielen Werte und Anzeigen aufrufen, die einem alles über das Auto und dessen (Fahr-)Zustände sagen.
Die Tasten darunter sind schön gestaltet, statt der Blindtaste hätte sich ein Home-Button angeboten.
Billig ist der Blinkerhebel, dessen Tippkontakt nicht immer gut funktioniert. Überhaupt nervt mich der typisch französische Blinkerklang derartig, dass ich mich manchmal dabei ertappe, aufs Blinken zu verzichten. Auch der Radioempfang ist unterdurchschnittlich.
Liebevoll gestaltet ist hingegen das Tachodisplay, das je nach Fahrmodus anders aussieht und in den sportlichen Fahrmodi einen mehrstufigen Schaltblitz beinhaltet.
Dass man während der Fahrt das Fach unter der Mittelkonsole kaum erreicht, sei der Alpine genauso verziehen wie das fehlende Handschuhfach. Das fällt unter Purismus. Eine Kartentasche in der Tür hätte jedoch nicht geschadet.
Die Alpine im Alltag
Unglaublich, aber wahr: Die Alpine ist im Alltagsbetrieb richtig umgänglich. Dazu tragen die zwei Kofferräume bei. In den vorderen (96 Liter) passen zwei Handgepäcks-Trolleys für den Städtetrip, im hinteren (100 Liter) gehen sich dann trotz enger Öffnung die Erfolge des Shoppingexzesses aus.
Rangieren ist nicht sehr lustig, wegen des großen Wendekreises (trotz des mit 2,42 Meter sehr kurzen Radstandes) und weil der Wagen nach hinten/seitlich extrem unübersichtlich ist. Auch Fahren mit offenem Fenster macht keinen Spaß - es wummert.
Im Normal-Modus benimmt sie sich so zahm, dass sie sogar voll schwiegermuttertauglich ist. Von gutem Benehmen zeugt auch der Testverbrauch von 8,5 l/100 km (Normverbrauch 6,1 l/100 km).
Unterm Strich:
Was für ein Auto! Klar, im Innenraum ist noch Luft nach oben und trotz Leichtbau ist die Neuzeit-A110 keine kompromisslose Sportlerin wie das Original, aber sie befriedigt die Sinne. Und mit einem Basispreis von 58.700 Euro ist sie längst nicht so unerreichbar wie andere Sportwagen, nach denen sich Benzinbrüder sonst den Hals verrenken.
Warum?
Einzigartiges Design
Macht richtig Spaß
Warum nicht?
Spezielle Individualität im Innenraum nicht ganz durchgezogen
Zu kurze Schaltwippen
Oder vielleicht …
… Porsche Cayman, Audi TT, Alfa Romeo 4C, irgendwie auch Mazda MX-5 RF
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