Kriegsrecht verhängt
Ukraine vs. Russland: Nun droht totale Eskalation
Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland spitzt sich immer weiter zu: Nach dem gefährlichen Zwischenfall mit russischen Grenzschutzbooten vor der Halbinsel Krim im Schwarzen Meer hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko am Montag ein Dekret zur Verhängung des Kriegsrechts unterzeichnet. Diesem stimmte das Parlament am späten Abend auch zu, womit es ab Mittwochfrüh gelten wird. In Kiew kam es vor der russischen Botschaft zu lautstarken Protesten aufgebrachter Ukrainer (siehe Video oben). Auf internationaler Ebene laufen hektische diplomatische Bemühungen, um eine militärische Eskalation zu vermeiden.
Poroschenko wollte das Kriegsrecht zunächst für 60 Tage, änderte dann aber den Erlass. „Ich werde dem Parlament vorschlagen, das Kriegsrecht für 30 Tage zu verhängen“, sagte er in einer TV-Ansprache. Er wolle nicht, dass dies dem Beginn des Wahlkampfes für die anstehende Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2019 schade. Das Kriegsrecht soll nach Poroschenkos neuen Angaben ab Mittwoch 9 Uhr Ortszeit (8 Uhr MEZ) gelten. Das Parlament bestätigte den Erlass am Montagabend.
Gegenseitige Anschuldigungen
Der Streit der beiden Länder hatte am Sonntag bedrohliche Formen angenommen, als die russische Küstenwache ukrainischen Militärschiffen die Durchfahrt durch die Straße von Kertsch vor der von Russland annektierten Halbinsel Krim verweigerte. Seit der Eröffnung der Krim-Brücke im Mai verstärkt der Kreml die militärische Präsenz in der Region und behindert ukrainische Schiffe an der Durchfahrt. Die Meerenge von Kertsch, die das Schwarze Meer mit dem Asowschen Meer verbindet, ist der einzige Seeweg zu den ostukrainischen Hafenstädten und daher von besonderer strategischer Relevanz.
Die Ukraine wirft Russland vor, in der Meerenge drei ihrer Marineschiffe beschossen und aufgebracht zu haben. Dabei seien sechs ukrainische Marinesoldaten verletzt worden, zwei von ihnen schwer. Die Schiffe wurden zusammen mit 23 Besatzungsmitgliedern nach Kertsch gebracht. Russland verteidigte das Vorgehen als gerechtfertigt, weil die ukrainischen Marineboote illegal in russische Gewässer eingedrungen seien und auch auf Aufforderungen zu stoppen nicht reagiert hätten.
Kiew: „Aggressiver militärischer Akt“
Die Regierung in Kiew verurteilte das russische Vorgehen als „aggressiven militärischen Akt“. „Nach dem Angriff auf ukrainische Militärschiffe ist Russland in eine neue Phase der Aggression eingetreten“, sagte Poroschenko in seiner Fernsehansprache. Der Vorfall zeige „die arrogante und offene Beteiligung der regulären russischen Einheiten“ am Konflikt mit der Ukraine.
Beziehungen seit Krim-Annexion höchst angespannt
Die Beziehungen zwischen Kiew und Moskau sind seit Jahren extrem angespannt. Russland hatte die Krim im Frühjahr 2014 annektiert. Die ukrainische Regierung wirft dem mächtigen Nachbarn überdies vor, prorussische Kämpfer bei dem Konflikt in der Ostukraine aktiv zu unterstützen. Der nunmehrige Zwischenfall in der Straße von Kertsch löste international große Besorgnis über einen noch größeren militärischen Konflikt aus.
Moskau: „Schändliche Piraten-PR-Aktion“
Russland wertete die Ankündigung Poroschenkos, das Kriegsrecht in seinem Land verhängen zu wollen, als Wahltaktik. „Dies ist definitiv ein toller Start in Poroschenkos Wahlkampf“, sagte der Vorsitzende des Außenausschusses im russischen Föderationsrat (der zweiten Parlamentskammer, Anm.), Konstantin Kossatschow, am Montag. Er sprach von einer „schändlichen Piraten-PR-Aktion“. In dieselbe Kerbe schlug Außenminister Sergej Lawrow.
In der Ukraine findet im März die Präsidentenwahl statt. Mit der Verhängung des Kriegsrechts könnte die Wahl verschoben werden, weil unter anderem das Versammlungsrecht im Wahlkampf nicht gewährleistet wäre und Ausgangssperren bestehen könnten. Umfragen deuten auf eine Niederlage Poroschenkos hin.
Hektische diplomatische Bemühungen
Die EU rief beide Seiten zur „äußersten Zurückhaltung“ auf, damit die Lage im Schwarzen Meer nicht eskaliere. Ein Treffen der für Sicherheitsfragen zuständigen EU-Botschafter endete ohne Ergebnisse und soll am Dienstag fortgesetzt werden. In Berlin trafen sich Diplomaten Deutschlands, Frankreichs, der Ukraine und Russlands, um im sogenannten Normandie-Format zu beraten. Dabei rief man dazu auf, konkrete Schritte zur Deeskalation der Lage zu unternehmen.
In New York befasste sich der UNO-Sicherheitsrat in einer Sondersitzung mit dem Konflikt. Dabei stellte sich die Gruppe der derzeitigen und künftigen europäischen Mitglieder des Sicherheitsrats - Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Polen, die Niederlande, Schweden, Belgien und Italien - demonstrativ hinter die Ukraine und betonte ihre Anerkennung der territorialen Integrität des Landes. Auch die NATO berief eine Sondersitzung der NATO-Ukraine-Kommission ein. Dass sich die Allianz direkt in den Streit zwischen der Ukraine und Russland einschaltet, gilt aber als ausgeschlossen, da die Ukraine kein Mitglied ist.
Außenministerin Kneissl „äußert besorgt“
Österreichs Außenminister Karin Kneissl zeigte sich „äußerst besorgt“ über die Vorgänge in den Gewässern vor der Krim. Sie forderte Russland und die Ukraine auf, auf militärische Gewalt zu verzichten. Die EU müsse nun „schnell und geschlossen“ handeln, so Kneissl. Das Außenministerium prüfe über die Botschaft in Kiew außerdem, welche Österreicher sich in der Region aufhalten und eventuell gefährdet sind.
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