"Immenser Stress"

Österreichische Helfer berichten vom Einsatz in Haiti

Ausland
22.01.2010 19:17
Exakt 4.389.681 Euro haben die Österreicher allein vom 14. bis zum 22. Jänner via "Nachbar in Not" an die Erdbebenopfer in Haiti gespendet. Am Freitag zog NIN-Vorstand Christoph Petrik-Schweifer eine erste Bilanz über den bisherigen Einsatz der Österreicher im Katastrophengebiet. "Es ist ein immenser Stress für alle Beteiligten", sagte er. Dem pflichtet auch Klaus Palkovits (re. mit roter Kappe) vom Roten Kreuz bei, der auf krone.tv von seiner ersten Woche im Katastrophengebiet berichtet.

Von der Spendenmöglichkeit u.a. per Bank unter "Nachbar in Not - Erdbeben Haiti", PSK 90.150.500, BLZ 60.000, telefonisch unter 0800/222444 oder per SMS mit dem Kennwort "NIN" plus dem Spendenbetrag an 0664/6603333 haben in den letzten Tagen Tausende Österreicher Gebrauch gemacht. Weitere Spendenmöglichkeiten siehe Infobox!

Durch die Einnahmen habe man bereits in den ersten Tagen Zehntausenden Menschen mit Wasser, Essen, Kleidung, Hygieneeinrichtungen und medizinischer Versorgung erreichen können, bedankte sich Petrik-Schweifer bei den Spendern. Die Helfer appellieren aber weiterhin an die Hilfsbereitschaft der Österreicher: Es werde mehr Geld benötigt, als man überhaupt einnehmen könnte, meinte Dagmar Lassmann, Leiterin der Diakonie Auslandshilfe.

Helfer auf Haiti: "Immenser Stress für alle Beteiligten"
Die österreichischen Helfer finden sich auf Haiti in einer schwierigen Situation wieder. Vor allem die gefährliche Sicherheitslage sei ein Problem, erklärte Petrik-Schweifer. "Die Menschen sind verzweifelt. Da geht es ums Überleben, die Anspannung ist enorm." Väter ringen um das Überleben ihrer Familie, Mütter kämpfen, um ihre Kinder ernähren zu können: "Da kann man nicht erwarten, dass sich die Menschen (bei der Verteilung der Hilfsgüter, Anm.) in der Schlange anstellen und warten", so Petrik-Schweifer. "Man weiß ja nicht, ob es für alle reicht." Deshalb sei es wichtig, dass es genügend Sicherheitskräfte gebe. 

Die heimischen Helfer sind auf Haiti in ein internationales Netzwerk eingebunden: "Sie schlafen unter Bäumen, auch wegen der Angst vor Nachbeben. Sie arbeiten rund um die Uhr, um das Tageslicht auszunutzen." Das Verteilen von Hilfsgütern in den Nachtstunden ist gefährlich. Die Helfer sind gleichzeitig mit der Verzweiflung der Menschen konfrontiert, müssen die Planung für den nächsten Tag machen, sollen nebenbei Informationen an ihre Organisationen zu Hause weitergeben und erlben vielleicht noch Nachbeben während der Nachtstunden: "Es ist ein immenser Stress für alle Beteiligten", sagte der Caritas Auslandshilfe-Chef. Die Situation auf Haiti sei die bisher "komplexeste Herausforderung".

"Kein Wasser, kein Essen, keine Hoffnung"
"In den Camps, die wir betreuen, fehlte es anfangs an allem. Es gab kein Wasser, es gab kein Essen, es gab keine Hoffnung." Und doch hätten die Menschen in ihrer höchsten Verzweiflung wieder Kraft geschöpft, berichtete Fredy Rivera, Programmdirektor von Hilfswerk Austria International, am Freitag von der ersten Woche nach dem Erdbeben auf Haiti. "Die Situation war chaotisch, die Menschen panisch, hungrig und durstig. Sie wollten einfach überleben." 

"Die, die Familienmitglieder in den Provinzen haben, sind geflüchtet. Sie nahmen einfach das Notwendigste und machten sich auf den Weg", so der Hilfswerk-Mitarbeiter, der noch bis Anfang Februar in Haiti sein wird. Als jahrelang in der Entwicklungsarbeit und Katastrophenhilfe Tätiger habe er schon viel erlebt: "Aber das hier ist anders. Es gibt überhaupt keine Strukturen, auf die man zurückgreifen könnte."

Ein Versagen der Helfer sei aber nicht denkbar: "Viele Kinder sind krank, unzählige Menschen kommen mit Verletzungen. Unsere Ärzte und Krankenschwestern sind seit der ersten Stunde dabei, Leute zu retten, obwohl sie selbst verletzt sind und tote Angehörige haben", sagte Rivera. "Eine junge Mutter sagte mir: 'Ich habe nur die Beine von meinem Mädchen befreien können. Ich will nicht, dass meine zweite Tochter an Durst und Hunger stirbt.'" Solche Schicksale seien im Katastrophengebiet allgegenwärtig.

Am schwierigsten seien die Nächte - an Schlaf sei oft nicht zu denken und wenn, dann nur für zwei, drei Stunden: "Es kommen einem einfach zu viele Bilder in den Kopf", so Rivera. "Immer, wenn ich mich kurz hinlege, denke ich an die vielen Menschen, die auf der Straße schlafen - wie wir auch. " Die Angst vor Nachbeben sei ständig da, am Mittwoch habe erneut die Erde gebebt: "Drei Polizisten, die gerade dabei waren, ihre toten Verwandten aus den Ruinen herauszuholen, sind dabei ums Leben gekommen."

"Das können nur erfahrene Helfer meistern"
Auch der Kommunikationschef des Österreichischen Roten Kreuzes, Michael Opriesnig, berichtete, eine Mitarbeiterin hätte am Telefon gesagt, sie sei noch nicht mit einer solchen Form einer Katastrophe konfrontiert gewesen: "Sie war niedergeschlagen - das ist man von unseren Leuten nicht gewohnt", so Opriesnig. Das Camp auf Haiti, das rund 150 internationalen Rotkreuz-Mitarbeitern als Stützpunkt dient, sei Schlafstätte, Hilfslager und Meeting-Point in einem. "Es ist eine Situation, die nur erfahrene Helfer meistern können."

Je nach Funktion und Organisation bleiben die Helfer in der ersten Phase von zwei bis zu fünf Wochen im Katastrophengebiet, bevor sie abgelöst werden. Später können sie bei mittelfristigen Einsätzen bis zu einem halben Jahr dort stationiert sein. Damit auch die Helfer das Erlebte verarbeiten können, sind an Ort und Stelle entsprechend ausgebildete Betreuer dabei und auch nach der Rückkehr in die Heimat werden sie psychologisch unterstützt. Wichtig für das Verarbeiten sei es auch, dass man als Team arbeite.

Haiti rückte Hilfsorganisationen näher zusammen
Die "Megakatastrophe" sei in einem Land geschehen, in dem bereits zuvor zwei Drittel der Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser hatten und zwei von drei Menschen unter zwei Dollar pro Tag zur Verfügung hatten: "Es war schon eine Katastrophe vor der Katastrophe", sagte Petrik-Schweifer. Nun seien die acht Hilfsorganisationen CARE, Caritas, Diakonie, Hilfswerk, Malteser, Rotes Kreuz, Samariterbund und Volkshilfe im Rahmen von "Nachbar in Not" noch näher zusammengerückt.

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