Einer zum Durchdrehen

Neue A-Klasse: „Hey Mercedes, lass mich in Ruhe!“

Motor
13.12.2018 17:03

Er meint es ja nur gut, der kleine Mercedes. Diensteifrig wie ein dressierter, nervöser kleiner Hund, will er keine Sekunde lang den Eindruck erwecken, er wäre noch was für Pensionisten, so wie früher. Im Gegenteil, mit seinem serienmäßigen MBUX-Bediensystem erfreut er Digital Natives. „Schaut her, ich bin meiner Zeit und überhaupt allen voraus!“ Ja, schon gut.

(Bild: kmm)

Es fällt schon einiges auf an meinem Testwagen, dem Mercedes A 200. Auf den ersten Blick ist es der neuartige Innenraum, der ins Auge sticht. Ein riesiges Display-Band liegt quer vor dem Fahrer, das in Wahrheit aus zwei unter einer Glasscheibe zusammengefassten 10,25-Zoll-Bildschirmen besteht. Herrlich anzuschauen, gestochen scharf, in fröhlichen Farben, da verliert die tägliche Fahrt im Stau beinahe ihren Schrecken.

Vor allem, weil man das Auto ansprechen kann und es mit einer sehr sympathischen, fast herzlichen Frauenstimmer antwortet. „Hey Mercedes!“ - „Was kann ich für Sie tun?“ Hach, diese Stimme! „Schalt auf FM4 um!“ Mercedes-Benz User Experience nennt sich das Ganze, kurz MBUX. Die freundliche Mercedes soll sogar lernfähig sein, was durchaus hilfreich wäre, denn sie versteht bei Weitem nicht alles. „Hey Mercedes, spiel Musik vom Handy!“ - Keine Chance. Dafür versteht sie Adressen sehr gut und startet die Navigation. Dass Google Maps manchmal einen besseren Weg nehmen würde, ist eine andere Geschichte.

Mercedes versteht übrigens auch „Lass mich in Ruhe!“.

Prinzipiell wird das System auf vier Arten bedient: Sprache, Touchscreen, Touchpad auf der Mittelkonsole und Blackberry-artige Touchflächen am Lenkrad. Die sind die praktikabelste Möglichkeit, auch wenn es manchmal eher zufällig wirkt, wie weit man auf dem Bildschirm scrollt oder blättert.

Die Bedienelemente am Lenkrad machen einen hochwertigen Eindruck. (Bild: Stephan Schätzl)
Die Bedienelemente am Lenkrad machen einen hochwertigen Eindruck.
Die Bedienelemente am Lenkrad machen einen hochwertigen Eindruck. (Bild: Stephan Schätzl)
Die Bedienelemente am Lenkrad machen einen hochwertigen Eindruck.

So schön und scharf da alles ist - ganz logisch programmiert ist das zum Teil nicht. Was soll ich mit einem Auswahlmenü anfangen, das für mich vom rechten Teil des Lenkrads verdeckt wird? Das gilt auch für die eingestellte Klima-Temperatur. Klar, ich kann mich nach rechts verrenken, aber in Sachen User Experience ist das nicht wirklich geglückt. Als wäre den Entwicklern erst zum Schluss eingefallen, dass man in Autos heutzutage (und auch noch auf absehbare Zeit) ein Lenkrad braucht.

Ungewöhnlich: Der Automatikwählhebel sieht genauso aus wie der Blinkerhebel - so unelegant war er bei Mercedes nie. (Bild: Stephan Schätzl)
Ungewöhnlich: Der Automatikwählhebel sieht genauso aus wie der Blinkerhebel - so unelegant war er bei Mercedes nie.

Gestochen scharf sind übrigens auch die Bilder der Rückfahrkamera, sogar wenn es geschneit hat oder im Nieselregen. Besser geht‘s nicht.

Fahrerlebnis? Zum Durchdrehen!
 Noch etwas fällt auf, und zwar schon beim Betrachten der technischen Daten: Der Vierzylinder-Motor in meinem A 200 leistet zwar beachtliche 163 PS, hat aber nur 1,3 Liter Hubraum. Okay, soll so sein, dachte ich mir, aber in der Praxis nervt das Triebwerk. Es fällt nämlich auch in der Praxis auf - durch ständiges Hochdrehen und hypernervöse Gasannahme. Man muss sich schon extrem bemühen, ohne im Ansatz durchdrehende Vorderräder loszufahren, sogar im Eco-Modus. Wie wenn man die Kupplung schnalzen lassen würde. Das macht den Fahrer nervös, die Beifahrerin noch viel mehr und für die Haltbarkeit der Reifen ist das auch nichts.

Das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe passt da nicht dazu. Entspannt fahren? Vergiss es! Die Gänge werden ausgedreht, der Motor dreht hoch, als wäre man ein 18-Jähriger mit Hummeln im Hintern, der einfach Vollgas gibt, obwohl man das Gaspedal kaum mehr als streichelt. Dabei wäre es im Innenraum sonst wunderbar ruhig, denn die A-Klasse ist bestens gedämmt. Nachvollziehbar ist es auch nicht, schließlich stehen schon ab 1620 Touren 250 Nm Drehmoment bereit.

Das alles macht nervös. Auch der Eco-Modus beruhigt sich die Sache nicht wesentlich, allerdings zeigt sich hier, dass die Automatik eine spezielle Funktion nicht hat, die zum Spritsparen hilfreich wäre: Segeln, also auskuppeln, wenn der Fahrer vom Gas geht. Weil wir gerade dabei sind: Im Durchschnitt habe ich 7,7 Liter gebraucht (Normverbrauch 5,2 l/100 km).

An Power mangelt es dem Motörchen aber nicht, man kann richtig sportlich unterwegs sein. Dann hat man auch was von dem harten Fahrwerk. Okay, der Testwagen ist tiefergelegt, hat aber ein „Komfortfahrwerk“, wobei von Komfort nichts zu spüren ist.

Sportlich-aggressiver Auftritt
 Die A-Klasse tritt - jedenfalls in der AMG-Line - auch optisch sportlich aggressiv auf, elegant noch dazu. Vor allem mit Tagfahrlicht und LED-Scheinwerfern. Der Diamantkühlergrill mit seinen vielen Pins, die wie ein Sternenhimmel wirken, ist sicher einer der elegantesten der Kompaktklasse. Der lenkt auch gut von den Lufteinlass-Fakes ab. Insgesamt wirkt der Wagen allerdings etwas frontlastig, wie wenn die Nase vorne extra drangesetzt wäre.

Die neue A-Klasse ist ganz schön gewachsen, in der Länge um zwölf Zentimeter auf 4,42 Meter. Die Vermutung liegt nahe, dass das vor allem zugunsten der Schnauze ging, denn dort, wo man Platz gebraucht hätte - nämlich auf der Rückbank - hat sich nur wenig getan. Für groß Gewachsene ist es einfach zu eng. Auch wenn der Fahrer sich einschränkt und mit dem Sitz nach vorne fährt, wird es nicht bequem. Außerdem stößt der Kopf seitlich am Dach an. Ich würde fast schon von einem 2+2-Sitzer sprechen, in vielen Kleinwagen geht es hinten luftiger zu.

In den Kofferraum passen 370 bis 1210 Liter, brauchbarer Durchschnitt, vor allem aber gut nutzbar und mit einer fast ebenen Ladefläche, wenn man die geteilte Rücklehne umklappt.

(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)

Unterm Strich:
 Modern und dienstbeflissen ist nicht alles. Ein Auto muss im Detail passen, damit sich Fahrer und Insassen wohlfühlen. Da darf Mercedes gern noch ein bisschen nacharbeiten. So würde ich für meinen Testwagen keine 55.500 Euro ausgeben wollen - und da sind noch nicht einmal die teilautonomen Fahrfunktionen drin, die es für die A-Klasse gibt. Auch kein Radartempomat, dafür aber Head-up-Display, Leder, Burmester-Sound. Basispreis für den handgeschalteten A 200 ist 33.300 Euro, die 1800 Euro für die Automatik spart man sich besser. 

Nur die Stimme, die werde ich vermissen.

Warum?
 Sehr modernes Ambiente mit riesigem, scharfem Display
 Gelungene Sprachbedienung

Warum nicht?
 Der Antrieb nervt

Oder vielleicht …
 … Audi A3, BMW 1er, VW Golf

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(Bild: kmm)



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