Die Versuchung wäre groß, jetzt und hier zu schreiben, dass nun auch Österreich einen „Fall Relotius“ hätte. Bei Robert Menasse ist es allerdings anders, trotz aller Kritik der deutschen „Welt“ an dem offenbar vom Schriftsteller als Faktum dargestellten, aber tatsächlich erfundenen Zitat des ersten Kommissionspräsidenten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, des Vorläufers der EU.
Es waren viele hochinteressante Stunden, die wir damals in diesem Brüsseler Bier-Pub über die Probleme, aber noch mehr über die vielen positiven Aspekte der EU diskutierten und auch scherzten: Der Schriftsteller Robert Menasse, sicher einer der intelligentesten Österreicher, hat sich in Belgien bei seinen Recherchen zu seinem Erfolgswerk „Die Hauptstadt“ zu einem glühenden Kämpfer für ein Einheitseuropa samt Brüsseler Zentralismus gewandelt. Für einen Fan seines Romans „Don Juan de la Mancha oder die Erziehung der Lust“ kam dieses neue, klar Berichtende samt Radikalität gegen jeden Nationalismus damals überraschend, aber authentisch.
Und anders als diesen „Spiegel“-Mitarbeiter, dessen Name aktuell viel zu oft genannt und leider zu lange in unser aller Erinnerung bleiben wird, halte ich Robert Menasse auch weiterhin für grundehrlich, absolut anständig.
Aber offenbar machte der österreichische Schriftsteller einen Fehler, der ihm ausgerechnet in einem gefährlichen literarischen Kampf Gut gegen Böse nie passieren hätte dürfen: „Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten mäßig entstellt“, zitiert dazu jetzt die „Welt“ - wenig überraschend korrekt - den Aufklärer Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799).
Und es ist eben nun so, dass der von Menasse oft genannte CDU-Politiker Walter Hallstein zwar viel Gutes gegen den Nationalismus, aber eben nicht so mit diesen Worten formuliert hat. Die „Welt“ wirft Menasse vor, dass er Hallstein diesen Satz sagen ließ, ohne dass der EWR-Kommissionspräsident das je so geäußert hätte: „Die Abschaffung der Nation ist die europäische Idee.“
Menasses Konter: „Die Zitate sind nicht ,existent’, dennoch korrekt, und sie werden auch durch andere Aussagen von Hallstein inhaltlich gestützt. Was kümmert mich das ,Wörtliche’, wenn es mir um den Sinn geht. Wenn ich Hallstein als Kronzeugen für die vernünftigerweise bewusst gestaltete nachnationale Entwicklung Europas brauche, dann lasse ich ihn das sagen, auch wenn es nicht den EINEN zitablen Satz von ihm gibt, in dem er das sagt - aber doch hat er es gesagt.“
Und nochmals: Robert Menasse ist Schriftsteller, kein Journalist. Schon gar nicht einer, der wissentlich und willentlich Leser mit Unwahrheiten betrügen will.
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