Die Flutkatastrophe in Indonesien löst in Sana Brauner grauenhafte Erinnerungen aus. An ihr eigenes Drama. Die Wienerin verlor bei dem verheerenden Seebeben 2004 in Thailand Mutter und Tochter.
Zerstörte Häuser. Umgeknickte Bäume. Berge von Schutt. Menschen, die verzweifelt im Schlamm umherirren. Nach dem Tsunami. Immer wieder sah Sana Brauner in den vergangenen Tagen diese grauenhaften Bilder aus Indonesien. „Alles kommt jetzt wieder so stark in mir hoch“, schluchzt die 51-Jährige.
Die Erinnerungen an ihr eigenes Drama. Vor 14 Jahren. In Khao Lak, Thailand. Wo sie mit ihrer Familie Urlaub machte, dem Ehemann, den zwei Kindern, ihrer Mutter: „Es war dort so schön, anfangs.“ Die Sonne, der Strand, das Meer, „wir hatten eine wunderbare Zeit“. Bis zum Morgen des 26. Dezember.
„Nach dem Frühstück wollte mein Sohn - er war damals sechs - in den Pool“, sein Vater begleitete ihn, „ich ging ins Zimmer, um unsere Badesachen zu holen, meine Mama blieb auf der Terrasse zurück, mit meiner kleinen Tochter.“ Alexandra, zweieinhalb Jahre alt.
Sana Brauner befand sich bereits im Inneren des Hotels, „als die Welle kam. Die Räume füllten sich mit Wasser, ich wurde gegen Wände und am Ende durch ein Fenster geschleudert, ich glaubte, ertrinken zu müssen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis es mir gelang, nach oben zu schwimmen“, dazwischen „der Moment, in dem ich ein Nahtod-Erlebnis hatte, mich von außen beobachtete, zu mir selbst sprach. ,Sana, willst du weiterleben?‘, fragte ich mich.“
„Ich blutete, ich konnte kaum noch atmen...“
Die Antwort war Ja. „Ich klammerte mich an einem Auto fest, trieb auf einen Wald zu, bis die Strömung umdrehte, auf unser Hotel zu.“ Die Rettung: „Plötzlich lag ich auf einem Balkon im dritten Stock.“
Ihr Körper tat weh, „ich blutete, konnte kaum atmen, meine Lunge brannte. Aber mein Mann und mein Sohn standen neben mir. Ich war so glücklich, dass sie die Katastrophe überlebt hatten.“ Und zunächst dachte Sana Brauner, „gleich würden auch meine Tochter und meine Mutter bei uns sein.“ Doch das war nicht so.
Die kleine Familie wurde in ein Notquartier auf einem Berg gebracht, „Sanitäter verarzteten uns, danach zogen wir gleich los, um Alexandra und meine Mama zu suchen. Anfangs durchstreiften wir alleine die Gegend, später engagierten wir einen Dolmetscher. Wir klapperten mit ihm Spitäler ab, klopften an die Türen von Privathäusern, zeigten so vielen Menschen Fotos von Alexandra und meiner Mutter.“ Doch niemand hatte die beiden gesehen.
Schließlich flog das Ehepaar mit dem Buben zurück, nach Wien, „in einem seelischen Ausnahmezustand“. Es dauerte lange, „bis jeder von uns seinen Weg daraus fand“.
Der Sohn habe „relativ früh eine Art Abschluss“ geschafft, „darüber bin ich sehr froh“, ihr Mann - „wir sind mittlerweile geschieden, doch nach wie vor eng miteinander verbunden“ - vermeide es, über das Geschehene zu reden, „weil ihn das zu sehr belasten würde“.
„Der Schmerz wird immer bleiben“
„Der Tsunami war mein Schicksal“, sagt Sana Brauner und beginnt, während Tränen über ihre Wangen laufen, zu lächeln: „Die Tragödie zwang mich dazu, neue Pfade einzuschlagen.“ Sie gab ihren Job als Chefredakteurin bei einem Konsumenten-Magazin auf; sie begann sich mit Schamanismus zu beschäftigen und eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin zu machen, „und mein Glaube wurde unendlich stark.“
An ein „höheres Wesen“, an ein „Jenseits“, „in dem es nur Glück gibt“. Trotzdem, „der Schmerz wird immer bleiben“.
Ihre Mutter, sie ist tot. „Mitte 2005 konnte ihre Leiche identifiziert werden, ich bekam eine Urne mit ihrer Asche“. Aber von ihrer Tochter fehlt bis heute jede Spur.
„So oft bin ich nach Thailand gereist, um einen Anhaltspunkt zu finden, was mit ihr geschehen sein könnte. Denn ich spüre ganz stark in mir, dass sie noch lebt.“ Bei Einheimischen, „die sie damals, im Chaos, versorgt“ und in der Folge „behalten“ hätten: „Sie glaubt sicherlich, diese Leute wären ihre Eltern.“
Alexandra wäre jetzt 16, „also in einem Alter, in dem sie einiges zu hinterfragen beginnt. Und bis heute hat sie wahrscheinlich immer nur seltsame Erklärungen dafür bekommen, warum sie völlig anders aussieht als ihre angeblichen Verwandten.“ Sana Brauners große Hoffnung: „Vielleicht beginnt sie im Internet zu recherchieren, erkennt sich auf einem Foto - und nimmt in der Folge mit mir Kontakt auf.“
Jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde wartet die 51-Jährige auf eine Nachricht von ihrem geliebten Kind: „Ich weiß es einfach: Wir werden wieder zusammen sein.“ Irgendwann.
Martina Prewein, Kronen Zeitung
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