Bedroht und verleumdet: ORF-Reporter Christian Wehrschütz („Ein Agent des Kreml!“) ist im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zwischen die Fronten geraten. Mit Conny Bischofberger spricht er über seine Flucht nach vorne, kafkaeske Schikanen und die Rückkehr in den Krieg.
Seine Live-Berichte aus der umkämpften Ostukraine sind Kult. Diese Woche richtete der langjährige ORF-Korrespondent einen Hilferuf an seinen Arbeitgeber und die österreichische Bundesregierung. Er warnt vor einer potentiellen Bedrohung durch „militante, ultranationalistische Gruppen“ und fordert ein diplomatisches Einschreiten: „Es sind bereits zwei Journalisten ermordet worden, und ich habe sicher nicht die Absicht, der nächste zu sein“, so Wehrschütz, dem der ukrainische Geheimdienst die Akkreditierung im Frontgebiet verweigerte, weil er ein „prorussischer Propaganadist“ sei. Seinem Team war die Akkreditierung mit dem Verweis auf „fehlenden Patriotismus“ verweigert worden. Wehrschütz wird auf einer Liste als „Agent des Kreml“ geführt, was in der Ukraine lebensbedrohlich sein kann.
Am Freitag traf ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz den ukrainischen Botschafter in Wien zu einem klärenden Gespräch. Auch Außenministerin Karin Kneissl schaltete sich ein und kritisierte den „beispiellosen Vorgang“ sowie das „bedauerliche Unverständnis für die Bedeutung der Medienfreiheit“ - und wurde von der ukrainischen Vizepremierministerin prompt attackiert. Die „Krone“ erreichte Wehrschütz auf Heimaturlaub in Österreich. Interviewanfragen zweier großer russischer Fernsehanstalten hat er abgelehnt. „Ich will Russland keine Munition gegen die Ukraine liefern“, sagt er.
„Krone“: Herr Wehrschütz, hat der Weihnachtsfriede heuer eine besondere Bedeutung für Sie?
Christian Wehrschütz: Weihnachten war für mich als Fest der Familie immer wichtig. Aber wenn man in Gegenden arbeitet, wo es Krisen, Armut und Krieg gibt, dann bekommt das Wort „Weihnachtsfrieden“ eine andere Dimension.
In der Ukraine herrscht seit 2014 Krieg, Sie berichten seither von dort. Warum haben Sie sich erst jetzt an die Öffentlichkeit gewandt?
Das war ein schleichender Prozess. Die Arbeitsbedingungen sind immer ungemütlicher geworden. Im März wollten wir zum Beispiel in der Hafenstadt Mariupol einen Beitrag zum Streit um das Asowsche Meer drehen. Da hat man uns 17 Tage von Pontius zu Pilatus geschickt, es war ein bürokratischer Spießrutenlauf. Die Genehmigung bekamen wir dann im Herbst, wenige Wochen vor der Eskalation im Asowschen Meer. Mit Hängen und Würgen habe ich die Akkreditierung für die Frontgebiete noch bis 4. Dezember bekommen. Meinem Team wurde sie verweigert mit dem Hinweis, sie hätten prorussischen Kräften Interviews gegeben, was völlig aus der Luft gegriffen ist! Und mir nun auch.
Wie erklären Sie sich die Ablehnung Ihres Antrags?
Es erinnert mich an Franz Kafka, „Der Prozess.“ Eine anonyme Bürokratie hält dich in Schach. Zum ersten Mal seit fünf Jahren bin ich abgeblitzt mit der Begründung, ich sei ein russischer Propagandist.
Trifft Sie diese Beschuldigung?
Ich weise sie natürlich aufs Schärfste zurück. Im Grunde ist es eine Beleidigung, die mich als Mensch nicht trifft. Sie zeigt einfach, dass es kein Verständnis mehr für objektive Berichterstattung gibt und dass man sich meine Berichte offensichtlich auch nicht wirklich anschaut.
Wie sind Sie denn zwischen die Fronten geraten?
Schauen Sie, ich bin ein Grenzgänger. Ich berichte nach bestem Wissen und Gewissen von beiden Seiten und halte mich immer strikt an die ukrainische Gesetzgebung. Meine Aufgabe ist nicht, Partei zu ergreifen. Wenn man das hier nicht goutiert, kann ich das nicht ändern.
Gibt es Objektivität im Krieg?
Ja, ich glaube schon. Jedenfalls den Versuch, das zu zeigen, was auf beiden Seiten geschieht. Der Zuschauer kann sich dann selbst ein Urteil bilden. Ich gebe keine Meinungen vor. Ich recherchiere.
Fühlen Sie sich nun unter Druck gesetzt?
Ich würde es nicht Druck nennen, sondern eher Schikane. Das gilt nicht nur für einige ukrainische Behörden. So habe ich beispielsweise seit eineinhalb Jahren keinen Zugang mehr zum Kriegsgebiet um die Stadt Luhansk. Da haben mir die prorussischen Rebellen die Akkreditierung aus welchen Gründen auch immer verweigert. Wir haben es immer wieder probiert. In Donezk gab es bisher kein Problem, obwohl ich dort genau so unangenehme Fragen stelle wie überall.
Zwei Journalisten sind in der Ukraine bereits ermordet worden. Haben Sie Angst?
Erstens: Ausländische Journalisten sind insgesamt weniger gefährdet als inländische Journalisten oder Journalisten einer Kriegspartei. Aber es gibt sehr wohl ein Bedrohungspotential, vor allem wenn man auf diese Weise diffamiert wird. Bereits vor zweieinhalb Jahren ist mein Kamerateam in Kiew beim Filmen einer Demonstration attackiert worden. Auch damals wurde uns vorgeworfen, wir wären russische Agenten oder stünden im Dienste Russlands. Mit Hilfe der Polizei konnte man diese Leute abhalten, dass sie möglicherweise handgreiflich geworden wären. Die Stimmung wird immer aufgeheizter. Mit diesen Stimmungen muss ich leben, aber ich muss auch aufzeigen, dass unsere Arbeitsbedingungen sehr schwierig geworden sind.
Warum wollen Sie unbedingt Ihr Leben aufs Spiel setzen?
Da möchte ich zwei Dinge dazu sagen. Erstens ist das eine Frage, die ich sehr wohl auch mit unseren ORF-Sicherheitsbeauftragten bespreche. Zweitens habe ich eine Verantwortung, auch für mein Team. Das sind fünf Personen, zwei davon leben in Donezk, gegen sie gibt es Schikanen. Man lässt sie an Kontrollposten lange warten, man filzt sie, und so weiter.
Mit welchem Gefühl sind Sie im Kriegsgebiet der Ostukraine unterwegs?
Wenn ich in eine Stadt fahre, die mit Artillerie beschossen wird, wo Scharfschützen lauern, dann muss ich mir bewusst sein, dass ich in Gottes Hand bin. Ich sehe die Journalisten im Krieg im Grunde genommen so wie Formel-1-Rennfahrer, nur werden wir schlechter bezahlt. Auch uns zwingt keiner, dort herumzufahren, deswegen erwarte ich mir weder Mitleid noch irgendeine Form von Heroisierung. Generell gilt für die gesamte Ukraine: Ich wünsche mir nur einigermaßen normale Arbeitsbedingungen und eine faire Behandlung, sonst nichts.
Stichwort „In Gottes Hand“. Schicken Sie manchmal ein Stoßgebet zum Himmel, wenn es brenzlig wird?
Mein Fahrer Igor macht jedes Mal ein Kreuzzeichen, wenn wir an einer Kirche vorbeifahren. Ich schließe mich dem an. Wir sind ja oft sieben Stunden unterwegs, auf schlecht geräumten löchrigen Straßen, bei Schneefall. Da bin ich immer froh, wenn ich heil ankomme, da muss noch gar kein Krieg sein.
Was sagt eigentlich Ihre Frau?‘
Sie sagt - und so hält sie es auch: „Der Tod ist einem vorbestimmt.“ Wir sind alle Familienväter, keiner ist von irgendeinem Todestrip besessen, und abgesehen vom Kriegsgebiet gibt es ja auch keine unmittelbare Bedrohung. Aber wenn der Geheimdienst mich als Propagandist der Russen listet, dann könnten sich gewisse Gruppen sehr wohl sagen: „Dem zeigen wir’s jetzt!“
Trotzdem wollen Sie zurück in den Krieg. Wann geht es wieder los?
Voraussichtlich Mitte Jänner. Es gilt ja noch die Waffenruhe, obwohl es immer wieder Verletzungen und Verstöße gegeben hat. Man muss aber klar sagen, dass heute viel weniger geschossen wird, auch an den Frontlinien, als noch vor zwei Jahren.
Tragen Sie eigentlich eine kugelsichere Weste?
Nein, denn gute Scharfschützen schießen einem in den Kopf. (Lacht) Aus Versicherungsgründen tragen wir gelegentlich Splitterschutzwesten, aber nur, wenn wir ganz vorne an der Front sind.
Glauben Sie, dieser Konflikt wird in absehbarer Zeit gelöst?
Es wäre zu wünschen, denn draufzahlen tut die Zivilbevölkerung, die massiv leidet. Und man darf nicht vergessen, dass irgendjemand diese Gebiete wieder aufbauen wird müssen und zwar mit massiver finanzieller Hilfe. Je länger es dauert, umso höher wird der Preis - abgesehen vom menschlichen Leid, das sowieso unermesslich ist.
Wie viele Tote haben Sie in den letzten vier Jahren in der Ukraine gesehen?
Allein durch den Absturz des malaysischen Passagierflugzeugs einige Hundert. Das war ein fürchterlicher Anblick, wo wir aus Pietät sehr wenige Bilder, die wir gedreht hatten, auch auf Sendung gebracht haben. Aber wir sind natürlich auch immer wieder mit Gefallenen konfrontiert. Das mag jetzt etwas merkwürdig klingen, aber diese Menschen haben es hinter sich. Die viel größere Sorge bereitet mir der Anblick der Hinterbliebenen und jener Menschen, die aufgrund des Krieges unter extrem schwierigen sozialen Bedingungen leben müssen - auf beiden Seiten der Frontlinie.
Was war das Schlimmste, was Sie gesehen haben?
Wenn Kinder, Zivilisten und Soldaten Minenopfer geworden sind, denen fehlt dann ein Fuß oder ein Arm. Diese jungen Menschen haben ihre Gesundheit verloren oder geopfert, sie müssen ein Leben lang daran tragen. Das tut am meisten weh.
Wenn Ihnen etwas zustoßen sollte, war es das dann Wert?
Nein… Aber ich kann mich nicht davonschleichen. Das geht einfach nicht.
Herr Wehrschütz, in der Ukraine hält sich ja seit sehr langer Zeit auch Peter Seisenbacher versteckt. Haben Sie versucht, ihn zu finden?
Natürlich. Der Fall Seisenbacher wirft die Frage auf, ob die Justiz in der Ukraine korrekt handelt. Denn wenn Seisenbacher wirklich nur den österreichischen Pass hätte, der ihm aberkannt wurde, und er kein politisches Asyl in der Ukraine bekommt, dann hätte er sich nur 90 Tage dort aufhalten dürfen. Ich halte es nicht für ein Zeichen von seriöser Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und Österreich, dass dieser Fall noch immer in Schwebe ist.
Wer beschützt ihn?
Das weiß ich nicht und da will ich auch nicht spekulieren, aber offensichtlich haben seine Rechtsanwälte bisher in vielfältiger Weise geschickt das ukrainische Justizsystem ausgenützt, um sehr viele Dinge zu verzögern. Für mich war Peter Seisenbacher, nachdem ich selbst einmal Judo gemacht habe, ein Idol. Aber ein Kämpfer rennt nicht davon, der hat sich zu stellen.
Ein Leidenschaftlicher Reporter
Geboren am 9. Oktober 1961 in Graz. Der Vater ist Uni-Professor, die Mutter Geschäftsfrau. Jus-Studium abgeschlossen, Slawistik-Studium abgebrochen. Beim ORF seit 1991, Balkan-Korrespondent seit Ende 1999. Aus der Ukraine berichtet Wehrschütz seit der Maidan-Revolution 2014, als Russland die ukrainische Halbinsel Krim annektierte. Privat ist der Milizoffizier (Dienstgrad Major) mit Elisabeth verheiratet und hat zwei Töchter und ein Enkelkind. Wehrschütz spricht acht Fremdsprachen, darunter Russisch und Ukrainisch.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.