Historische Niederlage
May landet mit Brexit-Deal schweren Bauchfleck
Es kam, wie es von vielen befürchtet worden war: Das Parlament in London hat am Dientagabend das mit der Europäischen Union vereinbarte Austrittsabkommen mit einer großen Mehrheit von 432 zu 202 Stimmen abgelehnt und der konservativen Regierungschefin Theresa May damit eine historische Niederlage beschert. Neben der Opposition votierte auch ein großer Teil der regierenden Konservativen gegen den Deal. Damit droht nicht nur ein ungeordneter Austritt Großbritanniens aus der EU am 29. März, sondern auch eine Phase politischer Instabilität.
118 Tory-Abgeordnete - mehr als ein Drittel der Konservativen im Unterhaus - lehnten das EU-Abkommen ihrer Parteichefin Theresa May ab. 196 Abgeordnete aus Mays Partei stimmten für den Deal, auch drei Labour- und drei unabhängige Abgeordnete unterstützten das Ausstiegsabkommen, wie Sky News berichtete. Die konservative Regierungschefin trat trotz des mehr als eindeutigen Neins am Dienstag nicht zurück.
„Das Haus hat gesprochen, die Regierung wird zuhören“
May sagte nach Bekanntwerden des Ergebnisses: „Das Haus hat gesprochen und die Regierung wird zuhören.“ Sie kündigte an, sich bis kommenden Montag zum weiteren Vorgehen zu äußern. Spekulationen über eine bevorstehende Brüssel-Reise wurden nicht bestätigt. Die Premierministerin hatte im Unterhaus noch einmal eindringlich für das Abkommen geworben.
„Größte Niederlage in der demokratischen Ära“
Laut BBC ist es die deutlichste Niederlage im Parlament seit den 1920er-Jahren. Mit einem Abstand von 230 Stimmen rangiere das Brexit-Ergebnis demnach deutlich vor einem Abstimmungsergebnis aus dem Jahr 1924, bei dem der Abstand 166 Stimmen betrug. Die Niederlage am Dienstag sei „die größte Niederlage einer Regierung in der demokratischen Ära“ Großbritanniens, hieß es beim „Guardian“.
Abgestimmt wurde nach einem jahrhundertealten Ritual, indem sich die Abgeordneten durch zwei Türen in die Lobby zurückzogen. May hatte in ihrem Schlussstatement noch einen letzten verzweifelten Versuch unternehmen, Labour-Abgeordnete zum Überlaufen zu bewegen.
Corbyn kündigt Misstrauensvotum an
In der britischen Politik stehen nun die Zeichen auf Sturm. Oppositionsführer Jeremy Corbyn kündigte unmittelbar nach der Abstimmung ein Misstrauensvotum gegen Premierministerin May an. Die Ablehnung des Brexit-Deals mit 432 zu 202 Stimmen sei „eine katastrophale Niederlage“ für die Regierung, die schwerste Niederlage einer Regierung seit den 1920er-Jahren, sagte der Chef der Labour Party.
Im Fall von Neuwahlen könnte sich der 69-Jährige Chancen auf das Amt des Regierungschefs ausrechnen. Das von Labour beantragte Misstrauensvotum soll nun bereits am Mittwoch stattfinden. Verliert May das Misstrauensvotum, könnte das zur Bildung einer neuen Regierung führen. Andernfalls könnten Neuwahlen angesetzt werden.
Vorausgesetzt sie übersteht das Misstrauensvotum, will May kommenden Montag ihren Plan B vorlegen. Spätestens sieben Sitzungstage später - also am 31. Jänner - muss die Regierung über den Plan B abstimmen lassen. Die Abgeordneten könnten den Plan B ändern und eine engere Anbindung an die EU fordern oder sogar ein zweites Referendum. Am 29. März um 23 Uhr britischer Zeit tritt das Vereinigte Königreich dann aus der Staatengemeinschaft aus - falls der Brexit nicht auf Wunsch Großbritanniens verschoben wird.
Tusk dringt auf positive Lösung
EU-Ratspräsident Donald Tusk forderte umgehend nach der Ablehnung des Brexit-Vertrags im Unterhaus Klarheit von Großbritannien. Wenn ein Abkommen unmöglich sei, niemand aber einen Austritt ohne Vereinbarung wolle, „wer wird dann letztlich den Mut haben zu sagen, was die einzige positive Lösung ist?“, schrieb er auf Twitter.
Junker bedauert Ausgang des Votums
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärte auf Twitter, er nehme den Ausgang der Abstimmung mit Bedauern zur Kenntnis. Das Risiko eines ungeordneten Austritt Großbritanniens aus der EU sei damit gestiegen. Man hoffe den Weg zu vermeiden, bereite sich aber darauf vor. Das Vereinigte Königreich müsse nun seine Absichten so bald wie möglich klarmachen. „Die Zeit ist beinahe abgelaufen.“
Kurz schließt Nachverhandlungen aus
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat nach dem Scheitern des Brexit-Abkommens im Londoner Unterhaus Nachverhandlungen ausgeschlossen. „Es wird jedenfalls keine Nachverhandlungen geben“, teilte er am Dienstagabend mit. Der Ball liege nun in London, äußerte Kurz die Hoffnung auf „mehr Klarheit seitens Großbritanniens, was das zukünftige Verhältnis zur EU betrifft“.
„Großbritannien muss vor allem selbst wissen, was das Ziel ist“, sagte Kurz. "Die Hand der EU bleibt jedenfalls ausgestreckt, um einen Hard Brexit zu verhindern und ein möglichst enges zukünftiges Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien sicherzustellen. Österreich ist aber auch auf einen Hard Brexit entsprechend vorbereitet, falls es dazu kommen sollte.
EU-Abgeordnete befürchten harten Brexit
Nach der breiten Ablehnung des Brexit-Deals im britischen Unterhaus befürchten EU-Abgeordnete nun einen harten Brexit. Manche hoffen auf ein zweites EU-Referendum über den EU-Austritt in Großbritannien. Der sozialdemokratische Fraktionschef Udo Bullmann sagte vor einem Treffen mit dem EU-Brexit-Chefverhandler am Dienstagabend in Straßburg: „Die Briten sollen sagen, wie es weiter geht.“
Vor der historischen Schlappe für Mays Brexit-Abkommen war am Dienstagabend bereits ein von Brexit-Hardlinern innerhalb der regierenden Konservativen eingebrachter Abänderungsantrag spektakulär abgeschmettert worden. Lediglich 24 Abgeordnete votierten für einen Antrag, mit dem die umstrittene Auffanglösung („Backstop“) für Nordirland faktisch aus dem Abkommen gestrichen werden sollte. 600 Mandatare lehnten den Antrag des Abgeordneten John Baron ab.
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