Mit „No Roots“ gelang der jungen Pop-Künstlerin Alice Merton vor knapp zwei Jahren ein Überraschungserfolg, der ihr Leben für immer verändern sollte. Nun veröffentlicht die 25-Jährige mit „Mint“ endlich ihr Debütalbum, auf dem sie nicht nur die turbulenten letzten Jahre rekapituliert, sondern auch tief in ihr Seelenleben blicken lässt. Das alles aber mit großer Hitgarantie!
So mancher Mitarbeiter der etablierten Mainstream-Plattenfirmen wird sich heute mit Sicherheit in den Hintern beißen, wenn er den rasanten Aufstieg von Alice Merton mit dem Fernglas beobachten muss. Als sie ihre im Dezember 2016 veröffentlichte Erfolgssingle „No Roots“ nämlich zum Klinkenputzen bei den Branchengrößen präsentierte, waren die konsterniert, weil ihnen das alles zu wenig eingängig und zu wenig eigenständig klang. Der Rest ist Geschichte und an der schreibt die 25-Jährige munter weiter - heute wohl sogar mit einem erleichterten Durchschnaufen, dass ihr der Weg in die Selbstständigkeit einst aufgezwungen wurde. Der Stand heute: rund 1,4 Millionen verkaufte Songs, etwa 340 Millionen Streams, Gold- und Platinauszeichnungen von Deutschland über Österreich und Frankreich bis in die USA, Aufnahme in die Billboard-Charts und TV-Einladungen von James Corden und Jimmy Fallon. Das alles mit einem einzigen Song und ohne Album im Rücken.
Weltweit unterwegs
Dass es zu diesem mehr als zwei weitere Jahre gedauert hat, ist einerseits dem Perfektionismus der Protagonistin und andererseits dem dichten Terminkalender zu verdanken. Im Prinzip befand sich Merton die letzten zwei Jahre fast durchgehend auf Tour und schaffte das mehr als seltene Kunststück, dies- und jenseits des großen Teichs zu reüssieren. Dass mit einem so großen Hit auch eine Menge Druck mitkommen würde, versteht sich von selbst. Auch wenn ihr mit „Hit The Ground Running“ und „Leash Out“ zwei weitere starke und gut aufgenommene Singles gelangen, wurde die gebürtige Kanadierin doch immer an ihrem Top-Hit gemessen. Daher ist es auch wenig verwunderlich, dass sie ihn schlussendlich auf das nun erscheinende Debütalbum „Mint“ gepackt hat. Zu stark sind musikalische Identität und Erfolg mit diesem Song verknüpft. Außerdem erweist er sich als idealer Brückenbauer für die weiteren gesamt zehn Tracks, die Merton nicht in einem neuen, aber deutlich vielseitigeren Licht zeigen.
Wie gewohnt referiert Merton auf dem Album über ihr eigenes Leben und all die Erfahrungen die sie in den letzten Jahren machte. Teilweise im Rekordtempo, ohne große Vorbereitung, Netz und doppeltem Boden. Die Vita der multinationalen Leidenschaftsmusikerin ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Hin- und hergerissen zwischen ihren Heimaten Kanada, Deutschland, USA und Großbritannien, geschult in der Pop-Akademie Mannheim, auf die Karriereleiter gesprungen im deutschen Kreativitäts-El-Dorado Berlin. Von dort weg wieder Weltenbummeln - von einer Tourstation zur nächsten. Mit mehr oder weniger großem Erfolg, aber stets inbrünstig und der Leidenschaft folgend. Merton-Fans werden mit „Mint“ auf jeden Fall ihre Erfüllung finden, denn ihrem einzigartig klingenden Indie-Pop, der eigentlich schon im Mainstream stattfindet, fügt sie auch manch interessante Überraschungen bei. Etwa das melancholische „Honeymoon Heartbreak“, das direkt aus der Lana-Del-Rey-Hitschmiede stammen könnte, oder aber auch den ungemein fröhlichen Albumcloser „Why So Serious?“, auf dem sich Merton mit brillanter Souveränität auf Formatradio-Pfade wagt.
Mut zur Offensive
Mutig war Merton auch in der Vermarktung. Gemeinsam mit ihrem besten Freund und nunmehrigen Manager Peter Grauwinkel hat Merton mit Paper Plane Records ihr eigenes Label gegründet, das Album mit der zweiten Vertrauensperson Nicolas Rebscher produziert und die Songs allesamt selbst geschrieben. „Ich bin sehr selbstkritisch“, gab sie in einem Interview bekannt, „aber ich habe gelernt, dass man vieles einfach nicht erzwingen kann. Man kann nicht planen, ob ein Song zum Hit wird. Darum muss man einfach die Musik machen, auf die man stolz ist und die ehrlich ist.“ Inhaltlich behandelt „Mint“ das Losgelassensein, die Rastlosigkeit und schlussendlich auch Heimatlosigkeit der Künstlerin, deren Bühne die ganze Welt ist. Songs wie „Learn To Live“, „Homesick“ oder „Trouble In Paradise“ lassen keine Zweifel aufkommen. „2 Kids“ ist eine wundervoll-platonische Liebeserklärung an ihren besten Freund, auf „I Don’t Hold A Grudge“ rechnet sie mit einem Freund ab, der sie in einer wichtigen Phase ihres Lebens im Stich gelassen hat.
Merton ist ganz im Gegensatz zu ihrer Rolle in der Öffentlichkeit niemand, dem es grundsätzlich leichtfällt, aus seinem Herz eine Mördergrube zu machen. In der Musik, hinter den Melodien und selbstgeschriebenen Texten findet sie trotz der Öffnung nach außen aber ausreichend Platz, um sich in ihr immer kleiner werdendes, ganz privates Refugium zurückzuziehen. Der Albumtitel wurde übrigens nicht willkürlich gewählt, denn „Mint“ (zu Deutsch: „Minze“) spielt in Mertons Leben eine wichtige Rolle. „Vor allem wenn es um meine Ängste geht“, sagt sie im Interview mit laut.de, „wenn ich Angst habe, ist das Einzige, was mir hilft Minze. Sei es in Form von Minztee, Kaugummi oder was auch immer.“ Das Rampenlicht sollte für Merton momentan kein großes Problem mehr darstellen - und „Mint“ sie in neue Karrieresphären katapultieren. Nur sehr wenig Indie-Pop klingt so stark nach Mainstream wie der ihre.
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