Die Zahl blutiger Beziehungstaten an Frauen nimmt dramatisch zu. Zurück bleiben verzweifelte Familienangehörige - des Opfers, und des Täters. Wie eine Frau aus Niederösterreich. 2016 ermordete ihr Vater ihre Mutter. In der „Krone“ spricht die Tochter nun über ihr Leben nach der Tragödie.
Es ist ungewöhnlich warm für die Jahreszeit, der Himmel tiefblau; am vergangenen Mittwoch, in St. Valentin (Niederösterreich). Alexandra Leitner schaut aus dem Küchenfenster ihrer Erdgeschosswohnung, zieht die Vorhänge zu: „Ich mag die Sonne nicht mehr“, sagt die 36-Jährige, „weil sie meine Erinnerungen so stark macht.“ An die Tragödie ihres Lebens - die in einem Sommer geschah. Damals, am 30. Juli 2016, „als mein Vater meine Mutter ermordete“.
„Mit ihrem Tod brach meine Welt zusammen“
Nach jahrzehntelangem Ehemartyrium war es Kornelia F. (53) endlich gelungen, sich von ihrem gewalttätigen Mann, Josef, zu trennen. Gerade erst hatte sie eine eigene Wohnung in Ried im Traunkreis (Oberösterreich) bezogen. Ein Schritt, den der 56-Jährige nicht akzeptieren wollte. Er lauerte der Frau in ihrem neuen Zuhause auf, schlug mit einer Hacke auf sie ein, versetzte ihr unzählige Messerstiche.
„Mit dem Tod meiner Mama “, schluchzt Alexandra Leitner, „brach meine Welt zusammen.“ Und bis heute sind sie geblieben, die quälenden Fragen, „wie ich die Tat vielleicht hätte verhindern können.“ Denn es gab Vorzeichen, alarmierende Vorzeichen: „Mein Vater hat meine Mutter oft mit Mord bedroht, sie geschlagen, zuletzt sogar gewürgt.“ Kornelia F. hatte ihren Mann deswegen angezeigt, „er machte daraufhin einen Suizidversuch und kündigte bereits im Spital an, dass er meine Mama nun endgültig auslöschen werde.“
Doch weder die Justiz, noch seine Ärzte hielten ihn für gefährlich: „Ich warnte vor ihm, sprach über meine schlimmsten Befürchtungen, wahrscheinlich nicht nachdrücklich genug ...“ In den ersten Wochen nach dem Verbrechen „befand ich mich in einer Art Trancezustand, es fiel mir schwer, das Geschehene zu begreifen. Ich glaubte, in einem Albtraum gefangen zu sein - aus dem ich bald aufwachen würde.“
„Und dann fiel ich in ein tiefes seelisches Loch“
Dann das Erkennen, „dass meine Mama wirklich tot ist - und ich fiel in ein tiefes seelisches Loch“. Die Verkäuferin schaffte es nicht mehr zu arbeiten, sie kapselte sich von der Außenwelt ab: „Hätte sich mein Mann nicht so sehr um mich gekümmert, wären nicht meine drei Kinder gewesen, die mich brauchten - ich hätte mich umgebracht.“
Im Februar 2017 der Prozess gegen ihren Vater: „Ich sah ihn auf der Anklagebank sitzen, mit zusammengekrümmtem Rücken, und ich verstand mich selbst nicht: Er tat mir plötzlich leid. Ich spürte, dass die Liebe zu ihm nicht ganz verschwunden war. Trotz allem ...“ Alexandra Leitner sprach mit ihrer Psychotherapeutin über diese verwirrenden Gefühle, „sie riet mir, Papa im Gefängnis zu besuchen, mit ihm zu reden. Also fuhr ich zu ihm, in die Justizanstalt Garsten.“ Das Treffen, es war grauenhaft.
„Ich fragte ihn, warum er Mama töten musste“
Seine Antwort? „Er sprach bloß davon, dass sie alleine die Schuld an seiner Tat trage. Damit löschte er das letzte bisschen Zuneigung, dass ich noch für ihn empfunden hatte, aus.“ Wenige Wochen später wurde bei Josef F. Krebs diagnostiziert, er starb am 1. Oktober 2017, in einem Spital in Steyr: „Ich weiß nicht, warum - aber einen Tag vor seinem Tod bin ich zu ihm ins Krankenhaus gefahren. Kraftlos, abgemagert lag er vor mir, ich sagte zu ihm: ,Ich verzeihe dir.’“
„Manchmal glaube ich, dass sie noch lebt“
Wie gehen ihre Geschwister mit dem Drama um? „Mein Bruder ist Sozialpädagoge, psychologisch geschult, er versucht, uns allen eine Stütze zu sein.“ Eine Schwester habe sich „total in sich zurückgezogen, sie geht kaum noch außer Haus.“ Am Schlimmsten die Situation der Jüngsten: „Sie war erst 18, als unsere Mama ermordet wurde. Für sie gab es danach keine Ziele mehr, sie weinte ständig. Vor zwei Monaten ging es ihr so schlecht, dass sie stationär in einer Nervenklinik aufgenommen werden musste.“
Alexandra Leitners Zustand, jetzt? „Es bleiben diese Momente, in denen ich noch immer nicht begreife, dass meine Mama nicht mehr da ist, wie vor Kurzem, als ich mich in den Finger geschnitten hatte und am Weg zum Arzt in mein Handy die Nummer meiner Mutter tippte ...“ Trotzdem, „ich merke, dass ich langsam zu mir zurück finde. Ich bin wieder fähig, einen Job auszuüben. Ich knüpfe Kontakte zu alten Freunden. Aber es gibt noch immer Tage, an denen ich zusammenbreche: Am Geburtstag meiner Mama, an ihrem Sterbedatum, zu Weihnachten. Und ich fürchte mich vor jedem Sommer.“ Wenn es warm ist und die Sonne scheint. Wie im Juli 2017.
„Er ist in der Hölle!“
„Ich bin ein gläubiger Mensch“, sagt Alexandra Leitner und schaut auf ein Bild ihrer Mutter: „Deshalb weiß ich, dass ich sie wiedersehen werde. Im Himmel.“ Und der Vater, wo ist er? „In der Hölle.“
„Der Weg zurück ist oft lang“
Psychotherapeut und Trauma-Experte Reinhard Pichler über das Leid der Angehörigen von Verbrechensopfern.
„Krone“: Es scheint schwieriger verkraftbar zu sein, einen geliebten Menschen durch Mord zu verlieren, als infolge einer Krankheit...
Reinhard Pichler: Ein Tod, der plötzlich eintritt, bedeutet großes Leid für die Hinterbliebenen - in der Regel ein viel größeres, als wenn er nach einer langen Krankheit geschieht, und dann meistens auch schon als Erlösung empfunden wird. Außerdem hatten in diesem Fall die Angehörigen Zeit, Abschied zu nehmen, langsam, über einen oft langen Zeitraum hinweg. Wenn ein Verbrechen geschehen ist, kommt hinzu, dass sich dem Opfer nahestehende Personen ständig mit dem Gedanken auseinandersetzen, ob sie die Tat vielleicht irgendwie verhindern hätten können. Wodurch in ihnen peinigende Schuldgefühle entstehen.
Wie kann den Betroffenen geholfen werden?
Manche von ihnen haben genug Kraft in sich, um mit solchen Dramen alleine fertig zu werden, andere schaffen das nur mit psychotherapeutischer Begleitung.
Die wie angelegt sein muss?
Wichtig ist, die Patienten zunächst nicht mit ihrer Tragödie zu konfrontieren. Sondern sie zuerst psychisch so weit zu stabilisieren, dass sie wieder fähig werden, ihren Alltag zu meistern. Erst danach darf die Aufarbeitung des Geschehenen beginnen. Denn andernfalls kann es zu schweren Retraumatisierungen mit weitreichenden Folgen kommen.
Martina Prewein, Kronen Zeitung
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