„Krone“: Beim Firmenchef mag das treibende Motiv schlichte Gier gewesen zu sein. Aber was bringt so viele Leute unter den Mitarbeitern dazu, sich großteils schwarz bezahlte Löhne und dazu auch noch betrügerisch Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Mindestsicherung und womöglich auch noch die Wohnbeihilfen unrechtmäßig zu holen?
Eduard Brandstätter: Das Ziel einer gierigen Person besteht nicht etwa darin, reich zu sein, sondern reicher. Also über ein gesundes Maß hinaus zu besitzen. Gier findet sich zwar in allen gesellschaftlichen Schichten, aber bei Hilfsarbeitern, die sich Leistungen erschleichen, handelt es sich wahrscheinlich eher um ganz andere Motive.
„Krone“: Vielleicht ein Gefühl der Benachteiligung durch die Gesellschaft, das durch Geld kompensiert werden soll?
Brandstätter: Das Gefühl, im Leben, vor allem in der Kindheit, viel zu kurz gekommen zu sein, kann schon eine wichtige Rolle spielen. So eine Form von Ungerechtigkeitsempfinden, das dazu führt, dass man sich einfach nimmt, von dem man glaubt, dass es einem zusteht. Aber es gibt vielfältige Ursachen, deren Zusammenspiel von Person zu Person auch ganz verschieden sein kann.
„Krone“: Wie stark könnte das Motiv sein: Die da oben richten es sich eh dauernd, ich mir – auf weit niedrigerem finanziellen Niveau – also auch.
Brandstätter: Das müsste man näher untersuchen. Prominente Steuerhinterzieher landen ja öfter auch vor dem Richter und in den Medien, das kann schon abschreckend wirken.
„Krone“: Also letztlich geht’s doch um das subjektive Gerechtigkeitsempfinden?
Brandstätter: Das weiß man aus der Arbeitspsychologie, da gibt es Belege und Daten: Wenn jemand meint, er verdiene zu wenig, dann wird er halt mit der Arbeitsleistung herunterfahren.
„Krone“: Oder er schaut, dass er irgendwie zu erheblich mehr Geld kommt.
Brandstätter: Damit er es wieder als gerecht empfindet. Da sind wir aber mehr im Ungerechtigkeitserleben und viel weniger bei der Gier.
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