2200 neue Anzeigen
Missbrauch: „Akten mit Furchtbarem vernichtet“
Seit dem Beginn des Pontifikats von Papst Franziskus im März 2013 sind im Vatikan 2200 neue Anzeigen wegen Kindesmissbrauchs durch Geistliche eingetroffen. Die Aufarbeitung läuft. Am Samstag räumte der deutsche Kardinal Reinhard Marx im Rahmen der Missbrauchskonferenz aber schwere Versäumnisse bei früheren Fällen ein: „Akten, die die furchtbaren Taten dokumentieren und Verantwortliche hätten nennen können, wurden vernichtet oder gar nicht erst erstellt.“
Nicht die Täter, sondern die Opfer seien „reglementiert“ und ihnen sei „Schweigen auferlegt“ worden, so Marx. „Festgelegte Verfahren und Prozesse zur Verfolgung von Vergehen wurden bewusst nicht eingehalten, sondern abgebrochen oder außer Kraft gesetzt“, kritisierte der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz in seinem Vortrag.
„Die Rechte von Opfern wurden gleichsam mit Füßen getreten und sie der Willkür Einzelner ausgeliefert. Dies sind alles Geschehnisse, die dem zutiefst widersprechen, wofür die Kirche stehen sollte.“ Der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen sei daher zu einem „nicht geringen Teil“ auf Machtmissbrauch in der Verwaltung der katholischen Kirche zurückzuführen.
Papst Franziskus hatte die Konferenz am Donnerstag mit einem Ruf nach „konkreten und wirksamen Maßnahmen“ gegen sexuellen Missbrauch eröffnet. Auf seine Einladung waren die 114 Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenzen weltweit nach Rom gereist. Sie sollen noch bis Sonntag über Konsequenzen aus den Missbrauchsskandalen in vielen Ländern beraten, welche die Kirche in den vergangenen Jahren zutiefst erschüttert haben. Österreich ist durch Kardinal Christoph Schönborn vertreten.
Seit 2010 sei die Zahl der Anzeigen im Vatikan kontinuierlich gestiegen. „Dieser Trend könnte ein stärkeres Vertrauen in die kirchliche Justiz seitens der Opfer bezeugen“, erklärte der bekannte italienische Enthüllungsjournalist Emiliano Fittipaldi in einer Reportage für das italienische Nachrichtenmagazin „L‘Espresso“. Er veröffentlichte Zahlen aus dem Disziplinarbüro der Glaubenskongregation.
Allein 2017 seien im Vatikan 410 Anzeigen eingetroffen, die von der Glaubenskongregation als „glaubwürdig“ betrachtet werden. 2016 waren es 415 Anzeigen. In jenem Jahr seien 16 Priester wegen Missbrauchs laisiert worden. 2015 waren im Vatikan 518 Kindesmissbrauchsfälle angezeigt worden, 2014 waren es circa 500, im Jahr 2013 401.
Wie viele Priester aus Amt entlassen wurden, ist nicht bekannt
Eine genaue Zahl der Priester, die Franziskus seit Beginn seines Pontifikats wegen Missbrauchs laisiert habe, sei nicht bekannt, so Fittipaldi. Nur in außerordentlichen Fällen wie jenem des Ex-Kardinals Theodore McCarrick teile der Vatikan die beschlossene Entlassung aus dem Priesteramt mit. Der 88-Jährige war in einer Untersuchung der Glaubenskongregation des Vatikans des sexuellen Fehlverhaltens gegenüber Minderjährigen und Erwachsenen schuldig befunden worden. Erschwerend kam der Umstand des Machtmissbrauchs hinzu.
Fittipaldi kritisierte das Schweigen des Vatikans bei Missbrauchsfällen. So habe der Vatikan 2015 der Staatsanwaltschaft der lombardischen Stadt Cremona Informationen über einen von der Glaubenskongregation verurteilten italienischen Priester verweigert. Dieser wurde von der italienischen Justiz zu vier Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt.
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