Auch, wenn man glaubt, London gut zu kennen, hält die Stadt doch immer wieder Überraschungen bereit.
Big Ben, Tower, Buckingham Palace, London Eye, die Löwen am Trafalgar Square, den bunt leuchtenden Picadilly Circus, Madame Tussauds und all die anderen berühmten Sehenswürdigkeiten muss man zumindest einmal gesehen haben - das stimmt schon. Sie zeugen von der reichen Geschichte, der vielfältigen Kultur der britischen Metropole. Was aber die eigentliche Faszination von London ausmacht, das sind die vielen kleinen Geheimnisse, die diese Stadt nur denen verrät, die bereit sind, von den touristischen Pfaden abzuweichen und in wenig bekannte Regionen vorzudringen.
Das kann man erst einmal ganz sanft angehen, indem man einen der vielen geführten Rundgänge von London Walks wählt. Jeden Freitag etwa wartet eine Tour zu „geheimen Plätzen und versteckten Innenräumen“, die einen nicht nur zu aufgelassenen U-Bahn-Stationen, die heute hauptsächlich als Filmkulisse dienen, und der einstigen Uferkante samt alter Barke, tief in den Kellern des ehrwürdigen Somerset House führen, sondern auch ein wenig Feminismus und Militärgeschichte nahebringen.
EIN STÜCK UNBEKANNTES LONDON wartet dann auch in Brixton, einem Bezirk, in dem sich vorwiegend die afrokaribische Community angesiedelt hat. In der Vergangenheit gab es dort Rassenunruhen und Aufstände, heute besteht das Viertel immer noch aus Originalen und Exzentrikern, aber es haben sich dort auch die Hipster angesiedelt - was nicht alle Alteingesessenen freut. Das vertreibt schließlich so manches Traditionsgeschäft und sorgt für steigende Mieten. In diesem Mix aus Coolness und karibischer Lebensfreude entwickeln sich aber faszinierende neue Lokale, kleine Brauereien und ungewöhnliche Märkte, auf denen man Sachen kaufen kann, die man hierzulande nur vom Hörensagen kennt.
Legendär ist der Brixton Market in der berühmten Electric Avenue, womit man sich auch schon einen Ohrwurmeingefangen hätte. In diesem Umfeld sind auch viele Wandgemälde und Graffiti zu bestaunen: Sie zeigen etwa Michelle Obama, den Lokalmatador Michael oder - das berühmteste von allen - David Bowie. Mittlerweile ist es zu einer Kultstätte geworden, und immer wieder werden Blumen und Fotos für den verstorbenen Popstar abgelegt, der in diesem Viertel aufgewachsen ist.
Die spannende Geschichte der afrokaribischen Einwanderer in London, die zum Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg geholt worden sind, und die man, als sie nicht mehr gebraucht wurden, wieder abschieben wollte, dokumentieren die Black Cultural Archives. Und auf dem großen Windrush Square, benannt nach dem Schiff, das die ersten karibischen Arbeiter nach London brachte, wurde jüngst auch ein Denkmal für die im Dienste Britanniens im Krieg gefallenen Einwanderer errichtet. Ein wichtiges Zeichen für die schwarze Community.
NICHT ALLTÄGLICH IST AUCH DER FÜNFUHR- TEE IM KLASSISCHEN DOPPELDECKERBUS. Bei feinen Brötchen und Törtchen wird einem eine Rundfahrt zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten geboten. Da hat man ganz schön zu tun, seinen Tee, die kleinen Köstlichkeiten und die launig kommentierten Monumente der britischen Kultur unter einen Hut zu bringen. Wer es aber wirklich außergewöhnlich, exzentrisch und sehr sehr britisch mag, dem sei ein Besuch in Viktor Wynds Last Tuesday Society angeraten. In der unscheinbaren Mare Street in Hackney lockt das einladend gestaltete Portal in eine Welt voller Wunder und Kuriositäten.
Was im Erdgeschoß noch als ganz normale Bar mit schräger Gestaltung und ungewöhnlich großer Absinth-Auswahl durchgeht, entpuppt sich im Keller als durchgeknalltes Museum, Schreckenskammer, Treffpunkt für Seancen und skurrile Wunderkammer. Von Riesen- Knochen über Meerjungfrauen-Skelette, von Sexratgebern für irische Bauern bis hin zu in Rexgläsern gesammelten Fürzen von Popstars reicht die Sammlung des mysteriösen Exzentrikers Viktor Wynd. Ein Mann, der sich schon als Kind ein eigenes Kuriositätenkabinett gewünscht hat, und da die damals selten waren, einfach selbst eines geschaffen hat. Sein Alter ist ebenso geheimnisumwittert wie das meiste aus seinem Privatleben. Doch fügt er sich perfekt in die Reihe der eigenwilligen britischen Dandys ein. Und nach ordentlichem Absinth- Konsum findet man wohl auch den Sarkophag-Tisch mit eingebettetem Skelett gar nichtmehr so gruselig.
Zur Erholung kann man sich dann ein bisschen Hightech im japanischen Restaurant Inamo in Soho gönnen, wo man seine Tischplatte als Display für Bestellungen und Spiele nützen kann.
Vielleicht hilft auch etwas Luxus in der neuen Brasserie of Light im Kaufhaus Selfridges, die niemand Geringerer als Kunst-Star Damien Hirst gestaltet hat.
Oder etwas Schokolade im Rabot 1745 am Borough Market, ein hervorragendes Lokal, wo jedes einzelne Gericht mit einer Prise vom braunen Gold zubereitet wird. Das ist dann genauso vielfältig und überraschend wie ein Besuch im guten alten London.
Michaela Reichart, Kronen Zeitung
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