Trümmer und Tragödien

Ein Lokalaugenschein in der Hölle von Mossul

Ausland
20.03.2019 06:00

Der Albtraum wird wahr als Zainab schläft. Die Granate bohrt sich um Mitternacht ins Haus der Familie in nordirakischen Mossul. Schreie, Rauch. Dann ist alles dunkel. Als die Frau die Augen wieder öffnet, spürt sie das linke Bein nicht mehr. Die Eltern wollen Zainab verarzten, doch die Blutung lässt sich nicht stillen.

Weil Bomben herunterprasseln, können sie ihre Tochter nicht ins Spital bringen. Gefangen in der Hölle auf Erden - und die Geisterstunde wird zur halben Ewigkeit. Eine Blutkonserve des Nachbarn rettet der 23-Jährigen das Leben. Im Morgengrauen kann sie ins Krankenhaus, um 5 Uhr Früh wird das Bein amputiert.

Beim „Krone“-Lokalaugenschein in Mossul, in etwa ein Jahr nach Zainabs Martyrium, ist vom Spital nur noch ein Betongerippe übrig. Eine Trümmerfrau (Bild unten) sammelt Patronenhülsen ein. 18 Euro bekommt sie vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen dafür pro Tag. „Ich habe Kinder“, erzählt sie, „die Arbeit ist hart, aber so bringe ich alle durch“, während ein Trupp Stahlrohrbetten vorbeirollt.

Im gepanzerten UN-Auto geht es mit Daniela Krejdl, Programm-Managerin Naher Osten der Austrian Development Agency (ADA), zum Zentrum.Wo einst die Altstadt war, türmt sich Geröll. Aussteigen ist wegen der Minen verboten. Endzeitstimmung wie im Terminator-Film nach dem Sieg der Maschinen. Die Gebäude, die noch stehen, sind von Einschusslöchern zersiebt, wie etwa die katholische Kirche. Ikonen sind tausend Scherben.

Ein Araber mit einer Gebetskette in der Hand zwängt sich aus einer Ruine und steuert das Viertel rund um die Al-Nuri-Moschee an. Im Gebetshaus mit dem eingestürzten Minarett hatte IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi 2014 das Terrorkalifat ausgerufen und das dunkelste Kapitel der einst von Saddam Hussein geschätzten Metropole am Tigris eingeläutet. Erst drei Jahre später wurde Mossul von irakischen Truppen, Peschmerga, schiitischen Milizen und mit US-Hilfe befreit.

Schauplatzwechsel in den Osten der Stadt und man taucht in eine andere Welt ein. Burschen verkaufen Tee aus Thermoskannen, aus einem Billard-Lokal ertönt Techno. An der Universität herrscht Aufbruchsstimmung. In der Mensa, direkt neben der von den Islamisten abgefackelten Bibliothek, gibt es Lammeintopf.

Auch Zainab ist mittlerweile wieder zuversichtlich. Durch das Internationalen Roten Kreuz hat sie eine Prothese erhalten. Sie träumt von einem Job als Sekretärin.

„An Frieden kann ich langfristig dennoch nicht glauben“, warnt ein Einheimischer zum Abschluss hinter vorgehaltener Hand. Die Saat des Kalifats sei wie ein Krebsgeschwür

Auf der Ausfahrtstraße von Mossul flimmert die Luft. Wie eine Fata Morgana zeichnet sich einer der vielen Checkpoints im Wüstensand ab. Für uns geht es retour ins sichere Erbil, der Hauptstadt des irakischen Kurdistan. Die Menschen von Mossul bleiben zurück.

Gregor Brandl, Kronen Zeitung

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