„Breivik gab Segen“

Moscheen-Terror: Das Manifest des Massenmörders

Ausland
15.03.2019 12:04

Es sind Schreckensmeldungen, die an die Wahnsinntaten von Anders Behring Breivik erinnern: Ein Schwerbewaffneter stürmt zwei Moscheen in der neuseeländischen Großstadt Christchurch und schießt auf alles, was sich bewegt. Die verheerende Bilanz: mindestens 49 Tote, Dutzende Verletzte mit Schusswunden. Hauptverdächtig ist der 28-jährige Australier Brenton Tarrant, der seinen mutmaßlichen Massenmord nicht nur per Helmkamera mitfilmte, sondern auch ein mehr als 70-seitiges Manifest des Hasses verfasst hatte - und sich dabei just auf den Norweger Breivik beruft.

Brenton Tarrant während seiner Wahnsinnstat (Bild: AP)
Brenton Tarrant während seiner Wahnsinnstat

Landesweit höchste Alarmstufe
Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern sprach von einem „außergewöhnlichen und beispiellosen Gewaltakt“, landesweit wurde am Freitag die höchste Alarmstufe ausgerufen.

Die Al-Noor-Moschee im Zentrum von Christchurch: Hier starben mehr als 40 Menschen. (Bild: APA/AFP/TESSA BURROWS)
Die Al-Noor-Moschee im Zentrum von Christchurch: Hier starben mehr als 40 Menschen.

Drei Festgenommene mit „extremistischen Ansichten“
Unklar ist noch, ob der Mann alleine handelte oder Mittäter hatte. Insgesamt seien drei Personen in Gewahrsam, unter ihnen eine Frau, teilte die Polizei mit - allesamt hätten „extremistische Ansichten“. Einer von ihnen, wohl Tarrant, wurde bereits unter Mordanklage gestellt. Auf einem Video (siehe unten) ist zu sehen, wie mehrere bewaffnete Beamte den mutmaßlichen Schützen aus einem weißen Auto ziehen, das zuvor offensichtlich gerammt worden war.

Video zeigt Festnahme des Hauptverdächtigen:

Schreckenstat live gestreamt, Hass-Manifest gepostet
Australiens Premier Scott Morrison bestätigte die Festnahme eines „rechtsextremen, gewalttätigen Australiers“ - damit dürfte Tarrant gemeint sein. Besonders schockierend: Der Verdächtige streamte sein Massaker live auf Facebook - insgesamt 17 Minuten lang (krone.at zeigt im Video oben bewusst lediglich die Anfangsszenen).

Bilder aus dem Stream, unmittelbar bevor das Blutbad beginnt (Bild: ASSOCIATED PRESS)
Bilder aus dem Stream, unmittelbar bevor das Blutbad beginnt
(Bild: ASSOCIATED PRESS)

„Kurzer Kontakt“ mit Breivik
Zu dem Livestream veröffentlichte der 28-Jährige ein Manifest, über das der britische „Guardian“ schrieb, es erkläre auf 73 Seiten die Gedankenwelt des Täters. Er habe damit eine „Atmosphäre der Angst“ erzeugen und Gewalt gegen Muslime provozieren wollen, zitierte die Zeitung aus dem Dokument mit dem Titel „The Great Replacement“ (Der große Austausch). Der Mann behaupte, „kurzen Kontakt“ mit dem Massenmörder Breivik gehabt zu haben, der ihm für seine Attacken seinen „Segen“ erteilt habe. Die Nachrichtenagentur AFP bezeichnete das Manifest mittlerweile als authentisch.

Massenmörder Breivik stand bei der Wahnsinnstat in Christchurch zumindest geistig Pate. (Bild: EPA)
Massenmörder Breivik stand bei der Wahnsinnstat in Christchurch zumindest geistig Pate.

Mit Ach und Krach durch die Schule, dann Geld mit Kryptowährung gemacht
Über sich selbst schreibe Tarrant, er sei „ein normaler weißer Mann aus einer normalen Familie, der beschlossen hat, aufzustehen, um die Zukunft für sein Volk sicherzustellen“. Seine Eltern hätten schottische, irische und englische Wurzeln, er habe eine „normale Kindheit ohne große Probleme“ gehabt. Die Highschool habe er „mit Ach und Krach“ abgeschlossen, eine Universität habe er nicht besucht. Für kurze Zeit habe er gearbeitet - laut australischen Medien unter anderem als Fitnesstrainer -, bevor er erfolgreich in die Kryptowährung Bitconnect investiert habe und mit diesem Geld gereist sei.

Mit automatischen Gewehren ging der Schütze von Christchurch in eine Moschee und schoss auf alle Menschen, die er sah. (Bild: Screenshot twitter.com)
Mit automatischen Gewehren ging der Schütze von Christchurch in eine Moschee und schoss auf alle Menschen, die er sah.

Täter über sich selbst: „Introvertiert, Ethno-Nationalist, Faschist“
Er sei ein „weitgehend introvertierter Charakter“, ein „Ethno-Nationalist“ und „Faschist“, stehe in dem Manifest. Radikalisiert habe er sich nach der Niederlage der Rechtspopulistin Marine Le Pen bei der französischen Präsidentschaftswahl 2017 sowie dem Tod eines elfjährigen Mädchens bei einem islamistischen Lkw-Anschlag in Stockholm im selben Jahr. Seine Taten habe er etwa zwei Jahre lang geplant, drei Monate lang habe er die konkreten Tatorte in Christchurch im Visier gehabt. Neuseeland habe er gewählt, um zu zeigen, dass es „nirgends auf der Welt sicher ist“.

Ein Großaufgebot der neuseeländischen Polizei am Haupt-Tatort (Bild: APA/AFP/TESSA BURROWS)
Ein Großaufgebot der neuseeländischen Polizei am Haupt-Tatort

Bezug auch zu Wiener Türkenbelagerung?
Ein niederländischer Sender ortete gar einen Österreich-Bezug: RTL Nieuws berichtete von Aufnahmen vom Tatort, auf denen ein Schriftzug mit dem Namen Ernst Rüdiger von Starhemberg zu sehen sei. Der Feldmarschall hatte 1683 die Verteidigung Wiens bei der Zweiten Wiener Türkenbelagerung geleitet. Auf den Magazinen von Tarrants Gewehr seien die Namen von historischen Persönlichkeiten geschrieben gewesen, die gegen die Osmanen gekämpft hatten - unter ihnen auch Starhemberg. Zudem nehme das mittlerweile als authentisch ausgewiesene Livestream-Video Bezug auf die christlichen Kreuzzüge des Mittelalters und Neonazi-Symbole.

Ein Idol der alten und neuen Rechtsextremisten: Ernst Rüdiger von Starhemberg (Bild: Wikipedia (gemeinfrei))
Ein Idol der alten und neuen Rechtsextremisten: Ernst Rüdiger von Starhemberg

Terrorexperte Neumann: Anleihen an „alte“ und „neue“ Rechte
Der Titel des Manifests („Der große Austausch“) geht auf eine aus Frankreich stammende rechtsextreme Verschwörungstheorie zurück, wonach die Bevölkerung in Europa durch Zuwanderer ersetzt werden soll, deren Geburtenrate deutlich höher sei. Der österreichische Terrorexperte Peter Neumann, Berater von Kanzler Sebastian Kurz, erklärte auf Twitter, der Täter habe sowohl bei Konzepten der „alten“ als auch der „neuen“ sowie der „populistischen“ Rechten Anleihen genommen, Breivik habe als „Inspiration“ gedient.

Premierministerin: „Gut vorbereiteter Terroranschlag“
Neuseelands Regierungschefin Ardern bezeichnete die Taten als „Terroranschlag, der offenbar gut vorbereitet war“ (siehe Video unten). Die Festgenommenen seien nicht auf Terrorlisten verzeichnet gewesen.

Bomben an Autos entschärft
Neben den Massakern in den Gotteshäusern hatten Tarrant und allfällige Mittäter wohl weitere Gräueltaten geplant: An Autos seien zwei Sprengsätze gefunden worden, so Ardern - auch an jenem des Hauptverdächtigen. Außerdem wurde eine Moschee im Studentenviertel von Christchurch unter Polizeischutz gestellt. Einer der Verhafteten habe ausgesagt, dass auch ein Anschlag auf diese Einrichtung geplant gewesen sei, man habe den Plan aber geändert.

Schwer bewaffnete Spezialkräfte in Christchurch (Bild: APA/AFP/TV NEW ZEALAND/LAURENT FIEVET)
Schwer bewaffnete Spezialkräfte in Christchurch

Angriff auf Hunderte Gläubige zum Freitagsgebet
Laut Augenzeugenberichten begann der Angriff auf die Al-Noor-Moschee im Zentrum von Christchurch gegen 13.45 Uhr Ortszeit (1.45 Uhr MEZ). Dort hatten sich zur Mittagsstunde mehr als 300 Menschen zum Freitagsgebet versammelt. Ein bewaffneter Mann - offenbar Tarrant - drang in das Gebäude ein und schoss mit einer Schnellfeuerwaffe um sich. Zeugen beschrieben den Täter als einen weißen Mann, der einen Helm, einen Tarnanzug und eine kugelsichere Weste trug.

Geschockte Augenzeugen nach dem Blutbad (Bild: ASSOCIATED PRESS)
Geschockte Augenzeugen nach dem Blutbad

„Mindestens 50 Schüsse, können auch Hunderte gewesen sein“
Einer der überlebenden Gläubigen, Mohan Ibrahim, berichtete der Zeitung „New Zealand Herald“ von einem „Schockmoment“. „Dann haben alle Leute angefangen davonzulaufen.“ Ein anderer Zeuge, Ahmad Al-Mahmoud, sagte: „Es fielen mindestens 50 Schüsse, sehr schnell hintereinander. Können auch Hunderte gewesen sein.“ Auch Kinder seien erschossen worden. Nach der Tat, der mindestens 41 Menschen zum Opfer fielen, sperrte die Polizei das Gelände um die Moschee weiträumig ab.

Die Polizei beschützt Zeugen des Angriffs auf die Al-Noor-Moschee. (Bild: AP)
Die Polizei beschützt Zeugen des Angriffs auf die Al-Noor-Moschee.

Kurze Zeit später fielen auch in einer anderen Moschee im Vorort Linwood Schüsse. Sieben Menschen starben dort. Eine weitere Person erlag im Krankenhaus ihren Verletzungen. Der genaue Ablauf der Attacken ist auch Stunden danach noch unklar.

Eindringlicher Appell an Muslime, zu Hause zu bleiben
Aus Sorge vor weiteren Angriffen riegelte die Polizei Schulen und andere öffentliche Gebäude ab. An die Bevölkerung - insbesondere an Muslime - appellierte sie, zu Hause zu bleiben: „Unter keinen Umständen sollte irgendjemand im Land jetzt zu einer Moschee gehen.“

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