Anatomie des Terrors
Das Ende naht: Aufstieg und Fall des IS-Kalifats
Die US-Politik hatte durch haarsträubende Fehler den Terror-„Staat“ IS verursacht. Nach dem „Aus“ am Erdboden und der letzten Schlacht der Fanatiker um ihre Hochburg Baghouz im östlichen Syrien naht auch das Ende des Cyber-Kalifats im Internet. „Krone“-Experte Kurt Seinitz analysiert Aufstieg und Fall des Terrorstaats.
1. Mai 2003: US-Präsident George W. Bush verkündet an Bord des Flugzeugträgers Abraham Lincoln den Sieg über Iraks Saddam Hussein („Mission accomplished“). Dieser wohl dümmste und mutwillig vom Zaun gebrochene Krieg des Jahrhunderts war zugleich auch die Geburtsstunde des seltsamsten und grausamsten Terror-Phänomens dieses Jahrhunderts gewesen: des „Islamischen Staates“.
Am 29. Juni 2014 proklamierte der frühere irakische Gefangene der USA, Abu Bakr Al-Baghdadi, in Mossul sein Kalifat (Ein Kalif ist der Führer aller - sunnitischen - Moslems in der Nachfolgerschaft Mohammeds).
In den Wochen davor hatte die IS-Terrormiliz ganz Nordirak überrannt bis vor die Tore von Bagdad. Die von den USA aufgebaute neue irakische Armee rannte davon.
Washington hatte Struktur des Irak nicht verstanden
Wie konnte das geschehen? Washington hatte vor dem Krieg keine Ahnung von der inneren Struktur des Irak gehabt; dass zum Beispiel Saddam Hussein zugleich der Führer der sunnitischen Minderheits-Elite im mehrheitlich schiitischen Irak gewesen war. Die USA entwaffneten (nur unzureichend) Saddams sunnitische Truppen und schickten sie nach Hause. Der von den USA eingesetzte Regierungschef Nuri al-Maliki führte ein Vergeltungsregime gegen die Sunniten.
Das alles war das Gebräu gewesen, aus dem der Kalif seinen Terror-Staat rührte unter dem Motto: mit Feuer und Schwert zurück in das „Goldene Zeitalter“ des Islam!
IS profitierte vom Bürgerkrieg in Syrien
Als dann noch der Bürgerkrieg in Syrien dem Höhepunkt zustrebte, konnte das IS-Kalifat dort nach und nach auch die (sunnitischen) Widerstandsgruppen gegen das alawitisch-schiitische Assad-Regime inhalieren. Unter großer Symbolkraft wurde die Grenze zwischen Syrien und Irak niedergerissen. Diese war als Folge des Zusammenbruchs des Osmanischen Reichs 1918 von den britischen und französischen Imperialisten zwischen ihren Machtbereichen auf der Landkarte gezogen worden.
1923 hatte der Führer des neuen türkischen Staates, Kemal Pascha Atatürk, das Kalifat als osmanisches Herrschaftsinstrument abgeschafft - die Sehnsucht der Sunniten nach einem übergeordneten Führer („Papst“) der Moslems ist bis heute nicht gestorben.
Im neuen IS-Kalifat des Abu Bakr Al-Baghdadi sollte nur noch nach den (teils missverstandenen und primitiv interpretierten) Gesetzen der Scharia regiert werden. Das alles entwickelte sich zu einem albtraumhaften Tugendterror, der in blutigen Mordorgien gipfelte. Sogenannte Apokalyptiker (die es auch in Teheran gibt) hatten das große Sagen, wonach erst die schmutzige Welt vernichtet werden müsse, um auf deren Ruinen den reinen Gottesstaat errichten zu können.
Identitätskrise der Moslems im Westen
Dieser real gewordene Albtraum übte eine seltsame Anziehungskraft auf die Identitätskrise der Moslems in der westlichen Welt (inklusive Russland) aus. Im IS-Kalifat konnten sie ihre Vergeltungsfantasien austoben. Zu Tausenden strömten sie in „ihren“ Pseudo-Staat, um sich das Paradies zu verdienen.
Allein der Name „Kalif“ bürgte dafür, dass zahlreiche islamische Widerstands- und Terrorgruppen in der Welt dem Kalifat ihre Treue schworen und sich nach ihm benannten - obwohl sie in der Realität herzlich wenig mit dem Terror-„Staat“ in Mittelost zu tun haben.
Interessanterweise gelang es dem IS nicht, im benachbarten Afghanistan Fuß zu fassen. Dort dulden die sunnitischen Taliban keine Konkurrenz neben sich, und weite Gebiete Afghanistans sind schiitisch geprägt. Etwa das Volk der Hazara oder die Stadt Mazar-e Scharif. Sie ist, wie der Name „Wallfahrtsort des Edlen“ schon sagt, ein angebliches Grabmal des Kalifen Ali, des Stammvaters der Schiiten.
Auch gelang es dem IS nicht, in Palästina Fuß zu fassen. Einerseits sind die Palästinenser zu gescheit dazu, andererseits duldet die Hamas in Gaza keine Konkurrenz, und Israel sorgt für das Übrige.
Terrororganisationen haben keinen Erfolg
Terror kann viel Unheil anrichten, Terrororganisationen haben aber letztlich keinen Erfolg. Es hat sich noch jede Terrororganisation selbst zu Tode gemordet, und so wird auch die Fortsetzung des IS-Kalifats, das Cyber-Kalifat im Internet, keine Zukunft haben.
Vergleiche zum IS-Kalifat kann man ziehen aus dem Aufstieg und Fall der legendären schiitischen Mördersekte der Assassinen im Zeitalter der Kreuzfahrer. Damals sandte der „Alte vom Berg“ seine Jünger nach Haschischgenuss (davon auch der Name) mit vergifteten Dolchen aus. Sie waren der Schrecken der Kreuzfahrer und sunnitischen Herrscher. Auch Sultan Saladin erhielt von ihnen einen „Denkzettel“. Die Assassinen wurden von den Mongolen ausgerottet. „Überlebt“ hat im Französischen und Italienischen nur der Name Assassin(o) für Meuchelmörder
Kurt Seinitz, Kronen Zeitung
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