Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zum „Fall Clementinum“ sind jetzt abgeschlossen. Fünf frühere Pflegekräfte des Heims stehen unter dem dringenden Verdacht, wehrlose Patienten aufs Grausamste gequält zu haben.
Vor wenigen Tagen, im Haus Clementinum, im niederösterrreichischen Kirchstetten. Unten, im Erdgeschoss, im Café des Heims, sitzen Patienten in kleinen Gruppen zusammen, manche auf Sesseln, andere in Rollstühlen. Fast alle von ihnen sind körperlich schwer beeinträchtig, aber ihre Gehirne funktionieren noch, und jetzt reden sie wieder einmal über das, was hier geschehen sein soll. Über grauenhafte Handlungen, begangen an anderen Heimbewohnern.
„Wir haben davon nie etwas bemerkt“, sagt ein Mann und seine Freunde nicken zustimmend. „Wir alle“, erzählen sie dann, „haben von von Verwandten, über die Dramen, die neben uns passiert sind, erfahren.“ Und nun werden sie von ihren Söhnen, Töchtern, Enkelkindern ständig gefragt, „ob wir eh gut behandelt werden.“ Ist das so? „Ja, wir fühlen uns wohl...“
Unglaubliche Vorwürfe
Dutzenden Menschen, den besonders Bedürftigen, kaum fähig, sich zu artikulieren – dürfte es anders ergangenen sein. Kot und Alkohol sei ihnen in die Augen, die Genitalien, den Mund und in Wunden gerieben worden; sie hätten nackt im Winter bei offenem Fenster schlafen müssen, Schläge bekommen und es wäre mit diversen Gegenständen an zu sexuellem Missbrauch gekommen – so die Erkenntnisse der Ermittler.
13 in dem Heim Verstorbene wurden mittlerweile exhumiert, in den sterblichen Überresten zweier Opfer befanden sich Rückstände harntreibender Medikamente, die ihnen nicht nicht verordnet worden waren.
Die mutmaßlichen Täter: fünf Pflegekräfte, vier Frauen und ein Mann. Sieben ihrer ehemaligen Kollegen haben in den vergangenen Monaten vor der der Staatsanwaltschaft zu Protokoll gegeben, dass sie schon lange vor Oktober 2016 – damals flog der Skandal auf – an Patienten Spuren von Gewalt entdeckt und darüber ihre Vorgesetzten informiert hätten: „Doch keiner von ihnen hat reagiert.“
„War so blöd, das zu glauben“
Wie konnte das sein? „Wir sind alle blauäugig gewesen“, so ein ehrenamtlicher Helfer zur „Krone“: „Obwohl ich mich oft über Vorkommnisse wunderte, dachte ich nie an Böses.“ Was waren diese Vorkommnisse? „Ich sah die Beschuldigten wehrlose Frauen in Rollstühlen herumschieben, die Heimbewohnerinnen trugen kurze Röcke, Netzstrümpfe, ihre Gesichter waren stark geschminkt und sie hatten brennende Zigaretten im Mund. Wenn ich mich erkundigte, was das solle, wurde mir erklärt, die alten Damen hätten früher ein ausschweifendes Leben geführt. Deshalb bereite es ihnen Freude, manchmal sexy hergerichtet zu werden. Und ich war so blöd, das zu glauben.“
Den „Horror-Pflegern“ wird Quälen, Vernachlässigen und sexueller Missbrauch wehrloser Personen vorgeworfen, für eine Anklage wegen Mordes liegen zu wenige Indizien vor.
Der Tod einer alten Dame
Aloisia M. war mit 75, nach einem Sturz, ins Clementinum gekommen. Ihre Bewegungsfreiheit war eingeschränkt, aber sonst galt sie als „voll fit“. 18 Jahre hindurch. Aus bis dato nicht restlos geklärten Umständen verschlechterte sich Anfang 2016 ihr Zustand rapide, sie wirkte schwach, dement, konnte sich kaum noch artikulieren. Ein paar Monate später, im Juli, erlag sie einem „plötzlichen Herztod“, in einer Nacht, in der die fünf Beschuldigten für ihre Versorgung zuständig gewesen sind. Die Leiche der Frau wurde exhumiert, in ihren sterblichen Überresten waren Rückstände von Medikamenten, die sie nicht hätte einnehmen dürfen.
„Sie fühlten sich stark und mächtig“
Gerichtspsychiaterin Sigrun Rossmanith über Menschen, die Lust und Spaß daran haben, anderen Böses anzutun.
„Krone“: Was geht in Menschen vor, die Freude empfinden, wenn sie völlig wehrlose Personen quälen?
Sigrun Rossmanith: Sie fühlen sich bei ihren Taten stark und mächtig, gleichen dadurch Gefühle der Schwäche aus, bedienen damit ihre eigenen - in der Regel sehr massiven - Defizite.
Und sie empfinden bei ihren Verbrechen kein Mitleid - nie?
Nein, im Gegenteil. Je ausgelieferter ihnen ihre Opfer sind, desto größer ist ihr Lustgewinn. Mechanismen, denen meist lschwer sadistische und narzisstische Neigungen zugrunde liegen.
Nach außen hin sollen die Beschuldigten jedoch freundlich und eher unauffällig gewirkt haben.
Oft braucht es eben bloß die passende Gelegenheit, um Böses zu tun. Sollten die Vorwürfe gegen die fünf Pflegekräfte aus dem Clementinum stimmen, kann es durchaus sein, dass sie von ihren Familien und Freunden als liebevoll wahrgenommen wurden.
Martina Prewein, Kronen Zeitung
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