Star führt in Umfragen
Ein Komiker will an die Spitze der Ukraine
Der TV-Showstar Wolodimir Selenskij hat in der Ukraine den Präsidentschaftswahlkampf beherrscht. Das amtierende Staatsoberhaupt Petro Poroschenko muss nun um sein Amt fürchten.
Am Sonntag wird in der Ukraine ein neuer Präsident gewählt. An der Spitze von 39 (!) Kandidaten auf einem 80 Zentimeter langen Stimmzettel steht ein TV-Komiker. Angesichts der absurden Zustände im zweitgrößten Staat Europas vielleicht gar nicht so ungewöhnlich wie es den Anschein haben mag. Er könnte das geringere Übel sein.
An erster Stelle liegt laut Umfragen der Schauspieler, Filmproduzent, Komiker und TV-Held Wolodimir Selenskij (41) mit 28 Prozent. Der amtierende Präsidenten Petro Poroschenko (53) und die notorische Demagogin Julia Timoschenko (58) rittern mit 16 bis 17 Prozent um den zweiten Platz für die Stichwahl im April. Laut Umfragen würde Selenskij dann seine Rivalen schlagen.
Das zeigt: Trotz der viel kritisierten Zustände und trotz aller Defizite ist die Ukraine eine Demokratie. Menschen in anderen Staaten der Ex-Sowjetunion wären froh, wenn sie überhaupt solche Wahlen haben könnten.
Spaß-„Präsident“ will nun der echte werden
Selenskij ist seit 2015 Quotenkaiser der TV-Show „Diener des Volkes“ (siehe Video unten), die als Polit-Satire in der Regel Präsident Poroschenko auf die Schaufel nimmt. Selenskij spielt einen Tollpatsch, der plötzlich zum Präsidenten gewählt wird und in den Abgründen der ukrainischen Politik herumstolpert. Sein Bekanntheitsgrad ist 100 Prozent.
In der Rolle des Komikers Selenskij kann sich das Volk in seinen Sorgen des Alltags wiederfinden. Als Grund, in die echte Politik zu gehen, gab er einmal an: „Die politische Elite hat sich vom Volk entfernt, egal, ob sie in der Regierung oder in der Opposition sitzt.“
Im Schatten eines Oligarchen
Die Show läuft auf 1plus1, dem populärsten TV-Sender des Landes, der sich im Eigentum des Oligarchen Ihor Kolomoiskij befindet. Dieser hat mit Poroschenko ein Hühnchen zu rupfen.
Selenskijs Kandidatur wäre ohne die Unterstützung durch Kolomoiskij unmöglich gewesen, die der Oligarch im Luxus-Exil so begründet: „Er ist ein Symbol des Generationswechsels. Die Ukraine braucht nicht einen Selenskij, sondern Millionen Selenskijs.“ Am Silvesterabend 2018 strahlte der Kanal pünktlich um Mitternacht anstelle der traditionellen Neujahrsansprache des Staatspräsidenten eine Erklärung von Selenskij aus, in der er seine Kandidatur ankündigte.
Der ukrainische Politik-Experte Witalij Portnikow sagte im TV-Sender Espresso: „Sollte Selenskij die Wahl gewinnen, dann würde in Wirklichkeit Kolomoiskij die Macht übernehmen. Wenn ein Kandidat für ein solches Amt keine politische Partei hat, dann ist er immer Teil eines anderen Systems. Wenn Selenskij Teil des Systems Kolomoiskij ist, dann ist Kolomoiskij in diesem Spiel der Hauptakteur.“
Ein Phänomen wie Donald Trump
Der Politikwissenschaftler Wolodymyr Fesenko vergleicht Selenskij mit US-Präsident Donald Trump und hält „eine Wiederholung des Phänomens“ für möglich. Denn als Trump seine Präsidentschaftskampagne begonnen habe, hätten ihn wenige Menschen ernst genommen. Das habe ihn nicht gehindert, die Wahl zu gewinnen.
Selenskij bekommt die Stimmen jener vielen enttäuschten Menschen, die der Politik einen Denkzettel verpassen wollen. In seinen Shows spielt Selenskij den unbeholfenen Geschichtslehrer Wasyl Holoborodko, der unerwartet Präsidentschaftswahlen gewinnt. Jetzt könnte daraus Ernst werden ...
Poroschenko punktet mit Kirchengründung
Der amtierende Präsident Poroschenko punktet mit der Durchsetzung einer vom Moskauer Patriarchat unabhängigen Ukrainisch-Orthodoxen Kirche. Er gewann dazu die notwendige Zustimmung des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel/Istanbul. Seit der Eroberung von Konstantinopel durch die Osmanen 1453 waren die dortigen Kirchenoberhäupter im Schatten des aufsteigenden Moskauer Patriarchats gestanden, behielten aber kirchenjuristische Vorrechte.
Darüber hinaus ist Poroschenko einer der ukrainischen Oligarchen. Entgegen seines Versprechens, sich nach seiner ersten Wahl vom Firmenimperium zu trennen, ist dessen Wert während der Amtszeit sogar noch gestiegen. Poroschenko war ein prominenter Name in den „Panama Papers“ über die Steuerschlupflöcher.
Julia Timoschenko im dritten Anlauf
Die begnadete Demagogin Julia Timoschenko, Ex-Ministerpräsidentin, Ex-Häftling, versucht es zum dritten Mal. Sie verspricht allen alles. Die durch halbseidene Erdgasgeschäfte reich gewordene Oligarchin (Spitzname „Gasprinzessin“) versteht es virtuos, als weiblicher Robin Hood der kleinen Leute aufzutreten.
Kurt Seinitz, Kronen Zeitung
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