„Der Reaktor ist so löchrig wie ein Schweizer Käse“ - mit diesen Worten zum slowakischen Atomkraftwerk Mochovce schockt nun ein AKW-Ingenieur die Welt. Beim „Krone“-Geheimtreffen in Bratislava warnt der Whistleblower vor einem drohenden Super-GAU und deckt horrende Sicherheitsmängel im Reaktor 3 des Schrottmeilers auf. Ist die Katastrophe noch zu stoppen?
„Das bin ich meinen Kindern schuldig! Ich kann einfach nicht mehr damit leben, von der drohenden Gefahr zu wissen und dennoch zu schweigen“, sagt Ingenieur Adam K. (Name geändert). Der 45-jährige dreifache Familienvater war jahrelang Techniker im AKW Mochovce.
Und dort hat er gesehen, wie aus einem „Sicherheitsprojekt“ genau das Gegenteil wurde. Denn Block 3 wurde durch Umbauarbeiten nicht sicherer, sondern zum Hochrisikoreaktor. Deshalb kann Adam sein Gewissen nicht beruhigen. Und er wagt etwas, das sich vor ihm noch niemand je getraut hat: Er packt aus! Im „Krone“-Interview listet er die Vielzahl an haarsträubenden Mängeln auf, zu denen es im Zuge der elendslangen (34-jährigen!) Bauphase in der Atomruine gekommen ist.
„Kuciak-Mord brachte mich zum Auspacken“
„Es sind unglaubliche Konstruktionssünden, die Block 3 und 4 zu Todesreaktoren machen könnten“, nimmt er sich kein Blatt vor den Mund. „Ich weiß, dass es bei uns in der Slowakei gefährlich ist, über Korruption, Mafia oder politische Machenschaften zu sprechen. Doch gerade die Ermordung des Journalisten Jan Kuciak im Vorjahr hat mich dazu bewegt, aus der Deckung zu gehen. Nicht feige zu sein. Darum sage ich heute, was Sache ist“, so der mutige Ingenieur.
Tausende Bohrungen löcherten Nuklear-Turm
Um die Identität des Whistleblowers nicht zu gefährden, sind auch wir als „Krone“-Team geheim angereist. Getarnt als Touristen, kamen wir mit dem Zug. Und die Heimreise traten wir als Ausflügler, eingebettet in eine Gruppe von Österreichern, mit dem neuen Twin-City-Liner an.
Treffpunkt der Enthüllung, bei der wir von der tickenden Zeitbombe erfuhren: ein belebtes Lokal mitten in der Stadt - sprich Sicherheit durch die große Touristenschar. Und nachdem wir zur Vorsicht die Videokamera im Café mit einem Kleiderständer verstellt hatten, legte Adam auch Beweisfotos vor. Und er erzählte Dinge, die Journalisten, die die Todeszone von Tschernobyl bereist, krebskranke Kinder und sterbende Liquidatoren kennengelernt haben, einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließen.
„Gleicht einem Emmentaler Käse“
„Durch eine Verstärkung der Ankerplatten sollte der nicht bebensichere Druckabbauturm verstärkt werden. Doch genau das Gegenteil ist eingetreten“, wiederholt Adam kopfschüttelnd. Auch wenn statische Gegebenheiten in einem AKW schwer zu beschreiben sind, so bringt der Ingenieur das Kernproblem rasch auf den Punkt: „Mit Diamantbohrern wurde die Metallhülle durchlöchert. Mit 10.000 Bohrlöchern durchsiebt. Nun gleicht der Turm einem Emmentaler Käse.“
„Welche Gefahr stellen Tausende Bohrlöcher dar?“, stellt Dr. Reinhard Uhrig, Nuklear-Experte von Global 2000, die Kernfrage. Beängstigende Antwort: „Sollte es in der Bebenzone rund um Mochovce zu Erschütterungen kommen, würde das Gebäude wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen. Ein Super-GAU wäre wohl die fatale Folge.“
Atomruine Mochovce: Die Zeitbombe tickt!
Nach 34 Jahren Bauzeit soll Reaktor 3 bald in Betrieb gehen: trotz veralteter Technologie und fahrlässiger Bauausführung! In 94 Tagen will der Energiekonzern Slovenské Elektrárne Reaktorblock 3 in Mochovce hochfahren. Nur 100 Kilometer von Österreich entfernt. „Seit Jahren kämpfen wir von Global 2000 und die große Anti-Atom-Familie des Landes gegen den völlig veralteten Reaktor aus Sowjetzeiten“, so Uhrig: „Die Sicherheitsvorkehrungen rund um die Atomruine sind eine einzige Farce. Und die von der Slowakei versprochene grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung hat es bis heute nicht gegeben.“
Kostenexplosion durch babylonische Bauarbeit
Zudem haben nicht qualifizierte Schweißer den unter Megadruck stehenden Sekundärkreislauf zusammengesetzt. Dank Recherchen und Bestätigung des Whistleblowers Adam K. wissen wir, dass verschiedenste Baufirmen völlig planlos neben- und nicht miteinander gearbeitet haben. „Durch die babylonischen Zustände auf der AKW-Baustelle, an der bis zu 7000 Leute gleichzeitig arbeiteten, ist es zur Kostenexplosion von 2,8 auf 5,4 Milliarden Euro gekommen“, so Global-2000-Expertin Patricia Lorenz.
Obwohl die Umweltschützer auf bestehende Probleme hingewiesen haben, schalteten Betreiber sowie die Atomaufsicht auf stur. Als Hohn wurden den Österreichern gar seitenweise geschwärzte Einträge vorgelegt. Eine technische Bewertung war somit praktisch unmöglich.
Auch Politik schaltet sich ein
Als Anti-Atom-Kämpferin der ersten Stunde setzt sich Wiens Umweltstadträtin Ulli Sima (SPÖ) seit Jahren gegen die „Wiederbelebung der desaströsen Ruine“ ein. Parteikollege Erwin Preiner stellt jetzt auch eine Parlamentarische Anfrage an Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP). Und da Niederösterreich als erstes Bundesland von der Radioaktivität bedroht wäre, warnt Landesvize Stephan Pernkopf (ÖVP): „Das AKW Mochovce ist ein Risiko für unsere und die slowakische Bevölkerung. Die Reaktoren 3 und 4 sind nach völlig veralteten Standards erbaut worden.“
Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) dazu unverblümt: „Die Slowakei darf keinen Reaktor in Betrieb nehmen, der europäischen Standards nicht entspricht!“ Angesichts der immer schneller tickenden Zeitbombe setzt Österreichs Anti-Atom-Familie von Global 2000 über Greenpeace bis zu den Müttern gegen Atomgefahr „nun endlich auf politischen Klartext und keine unverbindlichen, freundschaftlichen Nachbarschaftsplaudereien“.
Daten und Fakten:
Christoph Matzl und Mark Perry, Kronen Zeitung
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