Absolute Unabhängigkeit und klare Distanz zu Parteien und ihren Netzwerken: Das war ihm so wichtig. Sternstunden mit dem genialen Zeitungsmacher Hans Dichand im Vorhof der Macht: Zwentendorf. Hainburg. Sternwartepark. Meinungsfreiheit, die sich keiner kaufen kann.
Nein. Und ein Rufzeichen dazu. Jetzt passt es. Hans Dichand hat die Seite Eins an diesem dramatischen Sonntag auf einem Blatt Papier skizziert. So und nicht anders. Zwölf Zentimeter würde das „Nein!“ wohl groß werden, meint der Layouter. Ziemlich groß. Der Chef nickt.
Dichand hat das Handwerk des Schriftsetzers gelernt. Freie Meinung auf Papier. Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks revolutionierte die Welt. Nein! Zu Zwentendorf.
Niemand darf Hans Dichand in der Stunde danach stören. Nicht einmal die arme alte zahnlose Frau mit dem Kopftuch, die ihm fast jeden Tag frische Blumen ins Büro bringt und der er stets einen Schein zusteckt. Dichand schreibt seinen Cato. Das Pseudonym des römischen Feldherrn und Politikers hat er für seine Kommentare gewählt. Bruno Kreisky lässt an diesem schicksalsträchtigen Sonntag die Österreicher über die Kernenergie abstimmen.
Die „Krone“ ergreift schon viele Wochen vorher klar Partei: Für die Menschen, gegen dieses schon beinahe fertiggestellte Projekt mitten im Tullnerfeld, gegen das eine bunte Schar von Studenten, Forschern und besorgten Bürgern demonstriert. Immer mehr Wissenschafter kommen in der Zeitung zu Wort. Immer klarer werden ihre Aussagen. Die Stimmung dreht sich. Die Geburtsstunde der grünen Bewegung.
Die „Krone“ mit dem UNABHÄNGIG im Zeitungskopf hat es möglich gemacht. Und der geniale Instinkt des Gründers: Die Atomkatastrophe von Tschernobyl mit ihren verheerenden Auswirkungen auf Österreich ist wenige Jahre nach Zwentendorf die furchtbare Bestätigung. Explosionsartig verbreiten sich in den damals verstrahlten Gebieten die Karzinome. Manche hatten ja noch gehofft, Dichand ließe sich umstimmen. Denn sie hatten eine gute Gesprächsbasis: der sozialistische Sonnenkönig vom Ballhausplatz und der Herausgeber aus der Muthgasse.
„Das ist doch der Kreisky und sein Kieberer!“ Die schlagfertigen Wiener sind nicht verlegen, wenn sie Prominente sehen. Auf den Spaziergängen durch die hügeligen Weinberge von Döbling sprachen der Bundeskanzler und der für den Bewacher gehaltene Zeitungsgründer oft über die Probleme der Republik.
Doch ein Dichand lässt sich nicht beeinflussen, wenn ihn die Sorge um das Land bewegt. Unabhängig und überparteilich sollte diese neue „Illustrierte Kronen Zeitung“ sein, das hatte er sich bei der Gründung geschworen. Sonst habe es keinen Sinn.
Der Aufmacher. Die Schande von Hainburg. Darunter das Bild von Gendarmen, die an der Donau auf Studenten, Professoren und Frauen einprügeln. In Schwarzweiß. Einige Ausgaben später. Cato. Der Aufruf. Die Botschaft aus der Kälte. Sie sollten ausharren in den eisigen Nächten. Ihr Opfer, dargebracht in der Kälte der Au von Hainburg, würde so viel verändern, diese starren Betonköpfe in der Regierung, die das letzte Grün auf dem Altar des Wirtschaftswachstums zerstören wollten, müssten aufgeben. Hans Dichand zitiert seine amerikanische Lieblingsautorin Barbara Tuchman und ihre Thesen zur Torheit der Regierenden, die Fehleinschätzungen, die vieles auf der Welt ins Schlechte kehren.
Der entnervte Innenminister lässt sich das Gesetzbuch kommen. Volksaufwiegelung oder so. Man müsse einen Paragrafen finden, um Dichand zumindest ein paar Tage arretieren zu können. Es ist später Abend geworden. Der Chef sitzt an seinem Schreibtisch, nachdenklich angesichts der übermittelten Drohungen, nur eine Lampe leuchtet.
Die Republik im Ausnahmezustand. Das überharte Vorgehen der Exekutive, bei dem sogar das Anti-Terror-Kommando eingesetzt wurde, wirkt noch immer wie eine Schockwelle, die alle Gesellschaftsschichten erfasst. Man müsse da durch, sagt der Chef. Glaubt jemand, einen Dichand in Angst versetzen zu können?
Aus seinem Lebenslauf. Ein Torpedo trifft die „Leverkusen“ mit dem Soldaten Hans Dichand an Bord. Dichand kann mit letzter Kraft ins Innere des Schiffs klettern, da bäumt sich der versinkende Kreuzer wie ein sterbender Wal auf, und die Gewalt der Strömung spuckt den jungen Matrosen ins Freie. Er treibt stundenlang hilflos im Meer, ehe er gerettet wird. So setzt der Chef an diesem legendären Abend im Pressehaus noch nach. Gestärkt durch die prominentesten unabhängigen Wissenschafter des Landes. Ein Konrad Lorenz, ein Bernhard Lötsch. Kapazitäten von Weltruf haben sich der „Krone“-Kampagne angeschlossen.
Einige Tage später gibt Kanzler Fred Sinowatz auf und ruft zu Dialog und Nachdenkpause. Die wunderbare Flusslandschaft östlich von Wien ist heute ein berühmter Nationalpark. Ein älterer Hofrat und sein Sohn sind plötzlich in der Redaktion. Keiner kennt sie. Ein Anliegen. Etwas schüchtern tragen sie es vor. Der Sternwartepark vor ihrer Haustür soll nämlich zubetoniert werden. Dort wohnten nicht viele, aber es mache sie einfach traurig. Und die unabhängige „Krone“ könnte da vielleicht ein wenig helfen.
Hans Dichand kennt den Park nur vom Stadtplan her. Über Mittag fährt er hin, geht um das durch einen Zaun versperrte Gelände, überlegt lange und entscheidet dann schnell: Kupons in der „Krone“. Zum Unterschreiben. Sofort. Für den Sternwartepark. Waschkörbe voll kommen.
Bürgermeister Felix Slavik wird nervös und lässt den Apparat des Rathauses auf Hochtouren laufen. Alles in Ordnung in seiner Stadt, man müsse die „Krone“ in den Griff bekommen, die Kampagne stoppen. Doch die Wiener liefern immer mehr Beispiele für die Zerstörung kleiner Erholungsräume, die ihnen ans Herz gewachsen sind. Wissenschafter und selbst pensionierte Stadtplaner schließen sich der „Krone“ an.
In ihrer Not setzt die Politik eine Volksabstimmung an. Die Bürger sollen entscheiden. Rot bemalte Lautsprecherwagen fahren durch die Stadt, auch rund um das Pressehaus, und die Parolen vom notwendigen Bau im Park sind überall zu hören. „Machen S’ die Fenster zu!“, bittet Hans Dichand und schreibt einen letzten Aufruf.
Was am Tag der Abstimmung geschieht, gab es in dieser politischen Dynamik noch nie: Die Wiener entscheiden sich mit deutlicher Mehrheit für den Erhalt des Sternwarteparks.
Selbst Hans Dichand ist überrascht. Noch nie in der Geschichte hat eine unabhängige Zeitung in den starren Machtstrukturen dieser Millionenstadt so eine Bewegung in Gang gebracht und dann bei einer offiziellen Abstimmung die Bestätigung auf dem Stimmzettel dafür bekommen. Cato kalmiert. Man solle sich über das Ergebnis freuen, ein guter Tag für die Stadt. Aber es ist, wie es ist. Eine Woche später tritt der Bürgermeister zurück.
Die „Krone“ setzt eine neue Kampagne nach: Mehr Grün für Wien, für die Arbeiterbezirke und auch für die Innenstadt, Bäume sollen in der Hitze des Sommers Kühle spenden. Die Fußgängerzone Kärntner Straße entsteht, heute gilt Wien als lebenswerteste Stadt der Welt.
Demut vor dem Leser. Respekt vor den Fakten. Kraft zur Unabhängigkeit. Dr. Christoph Dichand und seine Familie garantieren diese Leitlinien. Sie tragen die „Krone“ im Herzen.
Ohne Unabhängigkeit ist alles nichts. Die Beispiele aus der Geschichte der 60 Jahre jungen „Krone“ verdeutlichen das ganz klar.
Hans Peter Hasenöhrl, Kronen Zeitung
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