Sie fürchtete sich nicht vor dem Grapscher - jene junge Frau, die dem Angreifer einen Nasenbeinbruch zufügte. Sie braucht auch keinen Prozess zu fürchten. Nur - ist dies eher eine Ausnahme oder Regel?
Setzt euch zur Wehr, helft euch selbst! Besucht Selbstverteidigungskurse! Frauen wird das oft genug eingetrichtert. Und dann agiert eine Frau in der Silvesternacht in Wien genau so, wie es sein soll - und soll deshalb vor Gericht stehen müssen? Sie muss es nicht, jene Frau, die einem Grapscher das Nasenbein gebrochen hat. Notwehr, klar! Warum hat man für diese Erkenntnis aber Monate gebraucht?
Der Paragraf 3 im Strafgesetzbuch regelt ganz klar, was Notwehr ist. Und beschreibt auch gleich Notwehrüberschreitung (siehe Daten & Fakten unten). Aber schauen wir uns das genauer an. Voraussetzung für einen Notwehrakt ist auf jeden Fall, dass der Angriff rechtswidrig und strafrechtlich relevant ist. Das Recht auf Notwehr hat man immer nur genau zum Zeitpunkt eines Angriffs - späte Rache genießt man lieber subtil und kalt oder gar nicht! Merkt ein Angreifer, dass er den Gegner, die Gegnerin unterschätzt hat, und tritt den Rückzug an, muss man das im Opferfall ebenfalls tun.
Auch „Vermögen“ unter Notwehrparagraf geregelt
Anders aber ist die rechtliche Sachlage bei einem Flüchtenden mit Beute, etwa der gerade geraubten Handtasche. Da darf man nachlaufen, ein Haxl stellen, festhalten, bis die Polizei kommt - und sogar nachschießen (vorausgesetzt, man hat einen Waffenschein)! Denn vom Notwehrparagrafen geschützt ist nicht nur die eigene Unversehrtheit und Freiheit, sondern auch „Vermögen“. Allerdings gibt es hier seit Neuestem eine Bagatellgrenze - einen geklauten Bleistift wird man also nicht mit der Waffe verteidigen dürfen, außer er ist von einer Nobelmarke und viele Hundert Euro wert.
Apropos Waffe. Viele vergessen, dass es Waffen gibt, die man im Notwehrfall auch ohne Waffenschein einsetzen darf: Frauen lange Fingernägel z.B. oder den Schlüsselbund. Die Zähne etwa oder der Regenschirm. Das kann dem Gegner alles wehtun und ihn außer Gefecht setzen. Aber Achtung: Auch in einer Notwehrsituation darf man niemanden stärker verletzen als nötig! Kompliziert bzw. sogar verboten ist der Einsatz von Pfefferspray. Er ist nur beim Angriff eines Tieres erlaubt, sonst müsste man den Gebrauch einem Täter zuvor ankündigen!
Wann man doch vor Gericht landet
Notwehr kann nicht angeklagt werden, sie kann nur beurteilt werden. Die Anklagepunkte reichen von Körperverletzung bis Mord! Reine Notwehr wird freigesprochen, Notwehrüberschreitung meist verurteilt. So wie bei jenem Sohn, der die Familie vom „Tyrannen“ befreite - seinem Vater. Mit einem tödlichen Messerstich. Urteil: sechs Monate bedingt, weil er nicht nur sich, sondern auch seine Mama und die Geschwister geschützt hat.
Fälle von Notwehr vor Gericht
Die Grenze ist schmal zwischen Gewaltverbrechen und Sich-zur-Wehr-Setzen. Stirbt der Angreifer dabei, prüft der Staatsanwalt.
Sie wurden von Räubern mit einer Waffe bedroht - der Juwelier und seine Frau in Wien. Die Komplizen rafften Schmuckstücke zusammen und bekamen gar nicht mit, dass der Geschäftsmann auch plötzlich eine Waffe in der Hand hielt - und schoss. Der Räuber taumelte noch auf die Straße, brach dort tödlich getroffen zusammen. Es gab zwar ein Ermittlungsverfahren gegen den Juwelier, aber das dauerte nur kurz. Berechtigte Notwehr, weil nicht nur sein Hab und Gut, sondern auch sein Leben bedroht war. Kein Prozess. Was jedoch blieb, waren die psychischen Schäden beim Ehepaar - man hatte jemand erschossen. Die beiden sperrten das Geschäft zu.
Mit einem Schal hatte die 37-jährige Chinesin ihre ältere Kollegin erwürgt, die ebenfalls als „Masseuse“ gearbeitet hatte. Im Streit hatte diese einen Porzellanteller zerbrochen und war mit den Scherben auf die Jüngere losgegangen. „Meine Mandantin hatte Todesangst“, so der Verteidiger. Notwehr-Überschreitung, obwohl sie die Tote danach noch gewaschen hatte.
Mutter, zwei kleinere Kinder und er, der 15-jährige Inder, waren in der Wohnung in Wien, der Vater auf Geschäftsreise, als der betrunkene Onkel läutete und randalierte. Am nächsten Tag lag der Mann tot im Stiegenhaus. Ob er sich mit dem Messer nur gewehrt oder Mutter und Geschwister geschützt hat, wurde nie geklärt. Urteil: neun Monate teilbedingt.
Daten und Fakten
Gabriela Gödel, Kronen Zeitung
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