„Moralische Pflicht“
Weltkrieg: Athen fordert von Berlin 290 Mrd. Euro
Griechenland unternimmt einen neuen Anlauf für Reparationsforderungen für die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Am Mittwochabend hatte das griechische Parlament beschlossen, eine diplomatische Offensive zu starten, damit das Land deutsche Reparationen erhält. Eine Kommission schätzte die Ansprüche auf rund 300 Milliarden Euro. „Dieser Anspruch ist unsere historische und moralische Pflicht“, sagte Ministerpräsident Alexis Tsipras nach einer zwölfstündigen Debatte. Die Regierung in Berlin wies die Forderungen entschieden zurück: „Die Haltung der Bundesregierung ist unverändert: Die Frage nach deutschen Reparationen ist juristisch wie politisch abschließend geregelt“, sagte ein Regierungssprecher am Donnerstag.
Unter der Besatzung Hitler-Deutschlands von April 1941 bis September 1944 wurden rund 300.000 griechische Staatsangehörige getötet. Die Nazis verübten zahlreiche Massaker, etwa in Lyngiades, Distomo, Kalavryta, Kandanos oder Viannos. Außerdem nahm die Besatzungsmacht 1942 bei der griechischen Zentralbank einen Zwangskredit auf, der damals auf knapp 500 Millionen Reichsmark beziffert wurde und heute mit Zinsen einige Milliarden Euro wert wäre.
Tsipras: „Chance, dieses Kapitel zu schließen“
Tsipras erklärte, er habe das Thema nicht mit der schweren Finanzkrise der vergangenen Jahre und den Schulden des Landes verquicken wollen. Jetzt aber, nach dem Ende der internationalen Hilfsprogramme, sei der richtige Zeitpunkt. „Es ist ein historisch, ethisch und emotional beladenes Thema“, sagte er. „Wir haben jetzt die Chance, dieses Kapitel zu schließen.“ Wichtig sei ihm, mit Deutschland auf Augenhöhe und freundschaftlich zusammenzukommen.
Auch Opposition für Reparationsforderungen
Mit großer Mehrheit stimmte das Plenum am Mittwochabend für eine Vorlage des Parlamentspräsidenten Nikos Voutsis, mit der die griechische Regierung aufgefordert wird, alle notwendigen diplomatischen und rechtlichen Schritte einzuleiten. Zunächst soll es sich dabei um eine sogenannte Verbalnote handeln, üblicherweise die schriftliche Nachricht eines anderen Staates an das deutsche Außenministerium. Auch der griechische Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis, dessen konservative Partei in Meinungsumfragen führt, stellte sich hinter die Forderungen.
Bei der Debatte hatte es zuvor im Laufe des Tages bittere Momente gegeben, etwa als Augenzeugenberichte von Nazi-Massakern in griechischen Dörfern verlesen wurden. Aber auch die Populisten nutzten die Gunst der Stunde: Tsipras wolle mit den Reparationsforderungen nur Stimmen für die im Oktober anstehende Parlamentswahl gewinnen, hieß es. Die rechtsextreme Partei Goldene Morgenröte machte gar eine ganz eigene Rechnung über die Reparationen auf. Höhe: 400 Milliarden Euro. Von Deutschland sei ohnehin nichts zu erwarten, warnten hingegen andere Parlamentarier: „Die deutsche Seite ist der Meinung, dass sie das Thema mit der Zahlung von 160 Millionen Mark an die Opfer und der Aufnahme von rund 420.000 Gastarbeitern abgegolten hat“, sagte Oppositionspolitiker Vasilis Leventis.
Deutsche Regierung stützt sich auf Vertrag zur Wiedervereinigung
Tatsächlich sieht Deutschland das Thema als erledigt an. Die Regierung in Berlin stützt sich dabei auf den 1990 zur Wiedervereinigung unterzeichneten Zwei-plus-Vier-Vertrag. Die Frage nach Reparationen sei juristisch wie politisch demnach abschließend geregelt, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. Juristen und Historiker beider Länder sind sich jedoch uneins über das Anrecht der Griechen auf Reparationen. Der Konflikt könnte schließlich vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag landen.
Stellt auch Polen Reparationsforderungen an Deutschland?
Auch aus Polen könnten demnächst Reparationsforderungen kommen. Das Parlament in Warschau hat zu dem Thema eine Kommission eingesetzt, dessen Vorsitzender Arkadiusz Mularczyk am Donnerstag forderte, sich den griechischen Beschluss zum Vorbild zu nehmen. „Die Entscheidung des griechischen Parlaments zeigt, dass die Internationalisierung der Angelegenheit in Sachen Kriegsreparationen aus Deutschland realistisch ist“, schrieb der nationalkonservative PiS-Politiker bei Twitter. Laut Medienberichten könnten sich die Forderungen auf 800 Milliarden Euro belaufen.
Aus Polen wurden zwar seit 2017 aus Kreisen der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) wiederholt Forderungen nach Entschädigungen aus Deutschland für den Zweiten Weltkrieg laut. Offizielle Ansprüche der Regierung gab es bisher aber nicht. Die von Mularczyk geleitete Parlaments-Arbeitsgruppe will ihren Bericht noch in diesem Jahr vorlegen.
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