Österreich hat etwas Besseres verdient! Das sagte mir unlängst ein Bekannter, der vor knapp 20 Jahren für die ÖVP in der Politik arbeitete. Das hat mich nachdenklich gemacht. Wenn ich mit Nachbarn, Freunden oder Arbeitskollegen über Politik diskutiere, werden völlig unterschiedliche Ansichten deutlich.
Da wollen die einen stärkere sozialpolitische Schwerpunkte, die anderen mehr private Initiativen. Manche vertreten liberale Standpunkte, andere wollen klassisches Law and Order. Manche wünschen sich schärfere Regeln in gesellschaftlichen Fragen wie etwa bei der Fristenregelung und gleichgeschlechtlichen Ehe. Andere wollen maximale Freiheit bei höchstpersönlichen Entscheidungen.
Das sind unterschiedliche Vorstellungen und Erwartungen, die eine Demokratie wertvoll machen und die wir aushalten müssen.
Wahrscheinlich sind derzeit viele Wähler der Regierungsparteien erstaunt. Ein neuer Stil, ein neues Regieren wurde uns versprochen. Straffere Asylgesetze, mehr Mitbestimmung bei politischen Entscheidungen, mehr Aufmerksamkeit für die kleinen Leute. Doch ich habe das Gefühl, dass da bisher recht wenig angegangen wurde.
Den Ärmsten nimmt man den letzten Rest Würde. 800.000 Österreicher leben an oder unter der Armutsgrenze, der Mittelstand weiß oft nicht mehr, wie bei allen anfallenden Kosten des Alltags das tägliche Leben zu bezahlen ist.
Und worüber diskutieren wir jetzt, wofür müssen wir uns international rechtfertigen?
Widerliche Rattengedichte sind das Thema. Oder Liederbücher, in denen Juden der Tod gewünscht wird, und Mitglieder der Regierung, die Veranstaltungen des rechtsextremen Milieus besuchen. Diese Liste ließe sich fortsetzen.
Dabei stehen uns, wenn wir uns die Prognosen in Europa ansehen, wirtschaftlich harte Zeiten bevor. Doch über Problemlösungen, die unser aller Leben besser und sicherer machen, wird vergleichsweise wenig diskutiert, weil sich Mitglieder einer Regierungspartei nicht zu benehmen wissen. Zum Schaden unseres Landes.
Österreich hat sich vor gut 70 Jahren der Haltung „Nie wieder“ verpflichtet. Und das sollten nicht bloß Worte sein. Das ist wichtig für unser Land, wichtig für unser internationales Ansehen. Nur so können Österreichs Unternehmen Arbeitsplätze schaffen, die Touristen unsere wunderbare Heimat besuchen, nur so behalten und gewinnen wir international Verbündete.
Ich bin nur ein bisschen älter als Sie, Herr Bundeskanzler, und ich frage Sie: Ist es das, was Sie wollten? Wünschen wir uns diese Politik für unsere Kinder? Neue frische Ideen, die Modernisierung unseres Landes haben Sie versprochen. Jetzt aber verheddert sich unser Land in die immer gleichen Unappetitlichkeiten. Ich möchte, dass wir in einer freien, demokratischen Gesellschaft aufwachsen können. Nicht ständig eingeholt vom gestrigen Mist, von Leuten, die unsere Geschichte nicht kapiert haben.
Sie wollten Kanzler aller Österreicher sein. Stattdessen werden immer dieselben Gruppen bevorzugt, während andere zu den Verlierern Ihrer Politik zählen.
Wenn Sie irgendwann eine Familie gründen, werden Sie Ihren Kindern die besten Chancen ermöglichen. Wunderbar! Warum aber nehmen Sie anderen Familien und deren Kindern diese Möglichkeiten, das Beste aus ihrem Leben zu machen, egal wie dick der familiäre Geldbeutel ist? Auch Sie haben als Schüler und einige Zeit als Jus-Student die Angebote dieses Landes genützt. Geben Sie mit Ihrer Politik bitte auch jenen, die nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen sind, eine faire Chance.
Geht es uns wirklich besser, wenn es vielen in Österreich schlechter geht? Jetzt haben Sie die politische Kraft, die Modernisierung unseres Landes umzusetzen, und gleichzeitig den sozialen Frieden, auf den wir in Österreich immer stolz waren, zu sichern. Beides ist möglich. Für alle - nicht nur für wenige.
Ihr Martin Grubinger
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