Als eine Hälfte von Naked Lunch schrieb Herwig Zamernik heimische Indie-Musikgeschichte - mit seinem Fuzzman und den Singin‘ Rebels füllt er seit geraumer Zeit die Hallen. Diese Woche erscheint sein neues Album „Hände weg von allem“, das gleichermaßen Mundart-Dialekt, die Beatles, Funk und Elektronik umarmt. Im Interview nimmt sich der passionierte Vollblutmusiker einmal mehr kein Blatt vor den Mund, und philosophiert über die heimische Musikszene, seine Hassliebe zu Naked-Lunch-Partner Oliver Welter und warum man keine Angst vor Schlager haben sollte.
„Krone“: Herwig, am neuen Fuzzman-Album „Hände weg von allem“ sieht man dich auf dem Cover mitten in Wien am Zebrastreifen liegen. Ist das für dich als bekennenden Beatles-Jünger dein „Abbey-Road-Moment“?
Herwig Zamernik: Hände weg von allem und Hände weg von den Beatles. (lacht) Meine Affinität zu den Beatles brauche ich nicht leugnen, aber das steckt nicht dahinter. Wir haben den ganzen Tag Fotos gemacht und irgendwann bin ich umgefallen. Als das Bild entstand, gab es keine Assoziation, aber nachträglich ist die Ähnlichkeit schon cool.
Hände weg von den Beatles - ist das für einen Musiker die wichtigste Maxime? Die Band, die man selbst am meisten schätzt, nicht zu sehr nachzuahmen?
Es gibt aus fast jeder musikalischen Sparte Bands, die ich liebe. Ich bin ein totaler Fan vieler Sachen, hatte aber nie ein Idol, dem ich nacheiferte. Mich beeinflusst alles Mögliche und nicht nur etwas Bestimmtes.
„Hände weg von allem“ hört man schon als Kind von den Eltern als mahnende Warnung. Beginnt der Erzählstrang mit diesen frühkindlichen Erinnerungen?
Ich habe das von meinen Eltern gar nicht wirklich gehört. Der Titel ist für mich die mildere Stufe vom Abstandhalten. Es geht auch ums Deklarieren. Der Titel ist sehr zweischneidig. Einerseits will man immer, dass gesellschaftlich alles so bleibt, wie es ist. Andererseits will man im Leben Veränderung. Der Titel ist nicht extra politisch, aber es ist schon eine Thematik, mit der man sich länger beschäftigen kann. Wo ist es besser, die Hände davon zu lassen und wo sollte man lieber zupacken und was machen? Das nächste Drama kommt bestimmt und wir sind dabei. Manchmal ist es auch egal, ob man selbst wo hingreift oder nicht. Eine politische Konnotation gibt es bei mir immer, aber in dem Fall ist es zu eng gefasst. Das ist eher eine philosophische Sache. Es geht darum, wie die Welt so funktioniert. Die Menschheit ist ein interessantes Konvolut, wo die Tagespolitik nur ein kleiner Funken ist. Wie versuchen wir mit allem so umzugehen? Da gibt es viele Ansätze.
Hast du dir beim Hingreifen schon mal so die Finger verbrannt, dass du es seither lieber lässt?
Hunderte, Tausende Male. Du nicht? Ich will da gar nichts Bestimmtes herauspicken, das passiert ohnehin dauernd. Sei es künstlerisch oder menschlich.
Es ist ja auch einfacher „Hände weg von allem“ zu sagen, anstatt „pack ma’s an“.
Ich bin ein voller Anpacker und baue schon mein sechstes Studio. Ich habe mir auch mein Lotterlabel aufgebaut und war noch nie irgendwo angestellt. Ich mache immer, wonach mir gerade ist. Manchmal ist es aber doch so, dass ich etwas lieber nicht angefangen hätte. Aber die Leidenschaft treibt mich dann wohin. So war das auch mit dieser Platte. Das Studio zu bauen, war ein Mörderaufwand, aber im Herbst 2018 war die Entscheidung klar, dass ich anstatt mich und meine Arbeit zu hinterfragen, mich lieber mal wieder aus allem rausnehme und ein Album fertige.
War das Album also eine bewusste Flucht von der ganzen anderen Arbeit, die über dich kam?
Es war keine Flucht, aber hätte ich vor lauter Arbeit keine Muse mehr gefunden, Musik zu machen. Ich flüchte nicht schnell vor irgendwas und hinterfrage viel. Ich habe mich bewusster abgegrenzt als sonst und mir meinen Raum bestimmt. Ich habe nicht nur über mich, sondern über alles nachgedacht und das hat den Songwritingprozess vielleicht sogar verschärft.
Selbstständig zu sein bringt einerseits mehr Druck mit sich, andererseits mehr Freiheit. Überwiegt bei dir der Freiheitsgedanke, dem der Sicherheit?
Das ist schwer zu sagen, aber ich will das auch nicht als Pokal hochhalten. Ehrlich gesagt lasse ich mich von der Leidenschaft treiben. Wenn ich entscheide, ein Album zu machen, hinterfrage ich nicht warum und weshalb, sondern ich tue es einfach. Danach komme ich manchmal drauf, ich habe mir damit die Finger verbrannt, aber das passiert eher selten. Die große Fahne der Freiheit steht nicht über dem Ganzen, ich kann gar nicht anders arbeiten. Ein Stück weit ist es Getriebenheit, aber das klingt zu hart. Ich habe aber Lust und Freude und das überwiegt klar.
Das Album kann man durchaus so verstehen, dass du gerne den klassischen Österreicher und seinen Unwillen zur Veränderung skizzierst. Auf dich trifft das nicht zu, insofern sind Platte und Interpret ein Widerspruch in sich.
Vielleicht bin ich der klassische Nicht-Österreicher, aber in uns allen steckt einer. Wir sind alle mit der österreichischen Lösung vertraut. Es geht etwas in eine bestimmte Richtung, aber eben nur so halb. Ich bin durchaus bereit, Lösungen manchmal nur so halb durchzuziehen, was mich doch wieder zum klassischen Österreicher macht. Auf „Hände weg von allem“ habe ich es aber geschafft, mich von nichts abbringen zu lassen - warum auch immer.
Die österreichische Lösung kann manchmal ja auch sympathisch sein. Sie ist nicht perfekt, aber auch locker und zwangloser als eine „richtige“ Lösung.
Ein bisschen drüberpinseln und passt schon. Grundsätzlich finde ich das sympathisch und komme gut damit zurecht. Man kann schon gut dazu stehen. Wir funktionieren in der Gesellschaft so. Man sollte nur nicht damit kämpfen und hadern. Die Unsicherheit und das Hadern machen die Dinge kaputt.
Im Naturell des Österreichers liegt auch, dass er sich gerne von außen verunsichern lässt, wenn er etwas abseits der Norm tickt oder arbeitet.
In der Musik hatte ich das nie. Von Disharmonic Orchestra bis jetzt nicht. Das betrifft eher die Frage, ob ich einen Bausparer abschließen soll oder nicht. (lacht) Ich will eine andere Platte nicht abschwächen, aber es ist schon etwas anderes, wenn man eine Platte ganz alleine macht und nicht im Bandgefüge wie bei Naked Lunch oder Disharmonic Orchestra. Man muss sich bewusst mehr Raum nehmen und hat keinen, der einen abfängt oder pusht. Es fordert mehr Bestimmtheit.
Es ist mehr Arbeit und mehr Selbsthinterfragung, aber auch weniger Korrektiv, wenn man alleine ist.
Absolut richtig. Stefan Redelsteiner, mein Partner, ist für mich schon ein gutes Gegenüber, auch meine Freundin, aber das ist trotzdem etwas anderes, als wenn man gemeinsam konkret an Songs arbeitet und Dinge anpackt. Alleine schon einen Termin auszumachen zu zweit ist schon etwas ganz anderes, als wenn ich alles alleine mache. Es hat sich super angefühlt, mich nach niemanden richten zu müssen und manchmal ist mir diese Selbstbestimmung sehr wichtig.
Funktionierst du besser, wenn du alleine arbeitest?
Nicht immer, es schwappt hin und her. Genauso wie ich gerne Filmmusik oder Theaterprojekte produziere, nehme ich mir auch den Raum, ein Album komplett alleine zu machen. Man muss sich das richtig austarieren und im besten Fall plant man das so vorausschauend, dass man die richtige Balance findet.
Wenn du an einem Fuzzman-Album schreibst, bist du so in dieser Welt, dass du wirklich stringent darauf hinkomponierst, oder rutschen da schon Ideen raus, die auch wo anders Platz hätten?
Hier war es anders, weil ich mich konzentriert für Fuzzman-Lieder hingesetzt habe. Wenn ich aber so dahinarbeite und Projektsachen mache, dann passen viele Sachen während der Entstehung nicht, doch aus diesen Fetzen kann ich woanders etwas basteln. Es gibt kein fixes System dahinter. Warum das so ist, weiß ich nicht. Warum weiß jemand, der malt, dass das Bild grün oder das rot ist? Bei künstlerischen Berufen musst du dich etwas treiben lassen, um sie dann rational zu ordnen. Im besten Fall werden wir das alles nie erforschen, denn dann wäre alles kaputt.
Und die Mystik der Kunst wäre verloren.
Genau richtig. Ein Stück Mystik muss immer bleiben, sonst wäre es ja Wissenschaft.
Textlich bist du „alte Schule“ im positiven Sinne und singst über all die Höhen und Tiefen, die in Beziehungen und im Zwischenmenschlichen mitschwingen. Bist du ein klassischer Alltagsgeschichtenerzähler?
Es geht im Leben doch nicht um viel anderes. Die größte Herausforderung ist es, Beziehungen und Konstellationen zu ordnen und auf die Reihe zu kriegen. Miteinander auszukommen ist das Allerwichtigste, das Zentrum des Lebens. Offenbar funktioniert es ja doch, auch wenn es nicht immer so wirkt. Deswegen meinte ich auch, dass das Politische schon wichtig ist, aber der Umgang zwischen Menschen ist einfach das Wichtigste. Deshalb dreht sich fast alle Kunst darum. Nur um den Mond zu schreiben, geht auch nicht. Der ist im Endeffekt ja auch nur ein Stein.
Damit erwischt du natürlich jeden, weil sich jeder damit identifizieren kann. Bist du dadurch nicht automatisch mehr Volkssänger als andere selbsterklärte, die Lederhosen tragen und mit Schneuztücherl wehen?
Was soll ich dir jetzt dazu sagen? Ich mag eigentlich nicht über diesen Typen reden. Ich habe ihn immer verteidigt, aber irgendwann ist das gekippt, weil er eine Pfeife ist und kein cooler Kerl. Es gibt den Spruch „der Erfolg gibt Menschen recht“. Ich sehe das nicht so. Viele haben Erfolg und haben Riesenfehler begangen. Genauso stimmt es nicht, dass bei Misserfolg immer alles schlecht ist. Alle Menschen versuchen einen Weg zu finden, irgendwelche Wahrheiten zu finden. Entweder für sich selbst im Kleinen, oder als großes Ganzes. Ich suche auch nach der Wahrheit und dem richtigen Weg, um zu leben. Mehr können wir nicht.
Kommt man der Wahrheit mit Kunst näher?
Sicher. Ich komme für mich der Wahrheit nur so näher. Natürlich gibt es auch die Wahrheit der Naturverbundenheit. Wenn man auf einem großen Berg steht und die wunderschöne Welt liegt vor einem, hat das auch was Abstraktes und emotional nicht Packbares wie eine gute Musik, die einen umhaut. Das klingt spirituell und ist es auch. Ich bin kein religiöser Mensch, aber wohl spirituell.
Du lebst urban in Wien und bist immer gerne in der Natur. Musst du für die Inspiration zur Kreativität zwingend raus aus dem Städtischen, oder lässt sie sich auch fernab von Natur als solches finden?
Ich war immer in Städten und mir ist die Stadt vertraut, aber darin zu leben ist anders, als sie zu besuchen. Ich bin Naturmensch, aber auch Stadtmensch. Ich habe etwas gebraucht, um mit dem Lärm und dem Getriebe umzugehen, aber mittlerweile nehme ich es fast so wahr wie Natur. Dort fallen Steine und gehen Lawinen ab. Am Gürtel gehe ich um 3 Uhr in der Früh und treffe viele Angesoffene. Das ist in gewisser Weise auch Natur und beides macht Lärm. In der Natur findest du leichter Ruhe als in der Stadt, aber man kann Wege dafür finden. Dafür kann die urbane Ruhe oft noch ruhiger sein, weil man sich darum bemühen muss.
In sich selbst Ruhe zu finden, Abstand zu halten, fällt dem Menschen heute nicht mehr leicht. Thema soziale Medien und permanente, elektronische Erreichbarkeit.
Dagegen können wir uns auflehnen, wie wir wollen, aber diesen Dingen entkommen wir nicht mehr. Man muss sich dafür bewusster eigene Regeln setzen. Ein Neandertaler musste das nicht, aber der musste dafür dauernd laufen, um ein Stück Fleisch zu kriegen. Wenn ich etwas schreiben will, dann darf ich keine Mails checken und ins Netz schauen, sondern muss mich aus dem Getriebe rausnehmen. Beim Texten ist es wichtig, sich aus allem rauszunehmen, weil man sonst zu faul wird, wirklich nachzudenken. Willst du formulieren, musst du dich mit der Leere beschäftigen. Wenn ich etwa etwas mische, dann ist es sogar gut, wenn ich mal abgelenkt bin, um wieder frisch hineinzufinden. Ob es in den 70ern leichter war, in Ruhe ein Lied zu komponieren, weiß ich nicht. Damals gab es halt andere Problematiken.
Haben nicht vielleicht auch die Musiker in den 70er-Jahren gesagt, in den 50ern wäre alles viel einfacher gewesen? Unterliegen wir nicht alle einer komplett verklärten Romantik des früher?
Zu 100 Prozent ist das so. Verklärt ist genau das richtige Wort dafür. Früher war ja offenbar immer alles einfacher und besser, so denkt jeder.
Dasselbe Vorurteil wie „in der Musik ist schon alles gesagt, es gibt nichts mehr Neues“.
Das stimmt ja auch überhaupt nicht. Man könnte auch sagen, dass die Beatles alles gesagt haben, was die Popmusik braucht, aber das stimmt doch nicht. Es geht ja nicht darum, dass sich die Musik neu erfinden muss. Der Mensch hat das Bedürfnis, sich immer wieder auszudrücken. Der Ansatz, etwas Neues erfinden zu wollen in der Kunst, ist schon ein falscher. Wissenschaft erfindet neu und versucht, Strukturen besser zu machen. Kunst scheißt sich im besten Fall nichts.
Im Gegensatz zur Wissenschaft oder zum Sport ist die Kunst auch kein Wettkampf.
Sie sollte es zumindest nicht sein. Mich interessiert das überhaupt nicht, ob ein Refrain runter oder kommerzieller klingt oder nicht. Das ist nicht Sinn und Zweck der Kunst. Das Schöne an ihr ist, dass der kleine Mensch darin klein sein darf und muss. Das ist der Grund, warum ich das mache. Die Checker, die die Hits rauspfeifen, sind erfolgreicher, aber sind sie auch glücklicher?
Du changierst auf „Hände weg von allem“ zwischen Englisch, Deutsch und Kärntner Dialekt, fühlst dich überall zuhause. Sind die zwei englischsprachigen Songs „In The Cold“ und „River Of Love“ eigentlich bewusst die spritzigen, funkigen?
Ich muss zugeben, die Reihenfolge hat sich während des Prozesses ergeben. Es ist wie beim Hausbauen - zuerst schaufelst du einfach dahin und aus dem Haufen fertigst du dann die Feinheiten und es ergibt sich ein System. Es gab mehr englische Songs, aber die haben aus verschiedenen Gründen nicht raufgepasst.
Hat die Songanordnung bei dir bewusst einen konzeptionellen, inhaltlichen Unterbau?
Am Ende schon. Wenn man ein Albumhörer ist und sich darauf einlässt, dann wird auch klar sein, warum was wo steht und das alles verwoben ist, ohne partout ein Konzeptalbum zu sein.
Mein Lieblingssong ist die Piano-Ballade „Trümmer“. Die ist schon klar dein Paul McCartney-Moment auf dem Album…
Einer der vielen Beatles-Momente. (lacht) Ich habe mir wirklich noch nie beim Musikmachen gedacht, ich mache jetzt auf dieses oder jenes. „Trümmer“ ist ein Lied, das in ein paar Stunden stand. Der Text dauerte länger, aber das Piano war schnell da. Ich wollte das Lied dann auch nicht mehr verändern, weil es einfach so passte. Der Beatles-Moment ist eher der, dass die das damals auch konnten und so beließen. Viele Dinge sind Momentaufnahmen, die man nicht hinterfragt und analysiert, sondern einfach so hinstellt. Man muss den Moment erwischen, wo man das Lied nicht verschlechtbessert oder kaputtanalysiert. Das Lied ist eigentlich kaputt, weil es nicht perfekt produziert ist. Die Beatles hatten natürlich George Martin, aber auch den Mut, Momente pur einzufangen.
Vielen fehlt es heute in der Musik am Mut zum Unperfekten. Suchen die Hörer nicht gerade danach?
Die Menschen haben sich immer nach etwas gesehnt, wo sie sich selbst sehen. Man sieht sich in Dingen, die man nachempfinden kann. Es gibt auch Techno-Maschinenmusik, die genial ist. Perfektes und Maschinelles kann auch wirklich gut sein, aber wenn man richtige Songs machen will, wird das Einfangen von unperfekten Momenten wichtiger sein. Für den Erzeuger, als auch für den Rezipienten. Man muss offen sein dafür. Heute kann jeder mit einer Gratis-Freeware einen perfekten Track basteln. Jeder kann Quantisieren, Schneiden, Aufnehmen, Saubermachen, aber vieles klingt nicht mehr echt. In der Indie-Musik ist es heute schon normal, überall Autotune raufzuhauen. Mich interessiert das aber nicht, die Stimme damit glattzubügeln. Das ist langweilig, zumindest für mich.
Kurt Wagner alias Lambchop hat zum Beispiel auf seinen beiden letzten Alben bewusst Stimmverzerrer verwendet. Wohl auch, um alteingesessene Fans vor den Kopf zu stoßen.
Ein Traumkünstler. Er macht das bewusst, um zu verstören. Es ist ein Spiel mit Instrumenten und mit der Thematik. Mein Opener auf dem Album ist auch das genaue Gegenteil von allem, was ich mir selbst erwartet hätte, eine komplette Antithese. Deshalb finde ich Lambchop so genial, weil er sich selbst und alle seine Fans immer wieder verstört und das ist ungemein wichtig. Es gibt eben Platz für das Perfekte und Elektronische, aber auch für das Unperfekte. Ich habe mich selbst überrascht, verstört und auch befriedigt. Eine Albumaufnahme ist jedes Mal ein Wechselbad durch alle Gefühle. Verzweiflung und Zufriedenheit gehen oft Hand in Hand.
„Hände weg von allem“ wirkt wie ein Best-Of deiner eigenen Vorlieben. Ausladende Pop-Momente, Nostalgie-Dadaismus wie auf „Pferdeäpfel“, Western-Zitate, Funk und Elektronisches. Gar nicht so leicht, das alles kongruent zu verbinden…
Wenn man Erfahrung hat, verzweifelt man nicht, wenn man alleine arbeitet und vielseitig unterwegs ist. Du lässt dich nicht so einfach aus der Bahn werfen, weil du mehr Geduld hast. Anstatt gleich alles anzuzünden, gehst du halt am Abend raus, trinkst 18 Bier und probierst es morgen in Ruhe von vorne. Man kriegt die Ruhe, weil man weiß, dass es solche Phasen geben muss. Man vertraut auch darauf, dass sich am Ende alles zu einem Haus entwickelt, in dem man gerne wohnt.
Im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern hast du schöne Popmomente, die nur haarscharf am Kitsch vorbeischrammen. Du hast aber keine Angst davor. „Wir sagen nichts“ ist etwa fast schon eine Schlagernummer.
Lustig, dass du auch „Wir sagen nichts“ nennst. Neben „Trümmer“ war das die zweite Nummer, die schnell fertig und mit der ich sofort zufrieden war. Ich habe überhaupt keine Angst vor Kitsch und vor Schlager. Bei den letzten Alben hieß es immer, ich würde ironischen Anarcho-Schlager machen. Das empfand ich aber nie so. Ich mache einfach Schlager. Nicht, weil ich den Begriff so cool finde, sondern weil es viele schöne Lieder gibt, die mich uneingeschränkt berühren und mitnehmen. Warum sollte ich davor Berührungsängste haben? Ich habe auch keine Berührungsangst vor Grindcore. Es gibt knallende Scheiben, die so bolzen, dass es mir jede Pore öffnet. Es gibt keinen Grund, mich auch nur irgendwo zu limitieren. Wenn ich darüber nachdenke, dass ich mit 16 bei Disharmonic Orchestra einfach auf USA-Tour gefahren bin - das ist völlig gaga eigentlich. Dadurch hat sich aber der ganze Weg für mich manifestiert. Ich weiß schon zu schätzen, dass sich damals aus irgendeinem Zufall ergeben hat, dass ich Musikant sein darf. Diese Band hat den Grundstein dafür gelegt. Wer fährt in dem Alter schon um die Welt und spielt vor einem Haufen headbangender Vögel? Für mich das das Normalste auf der Welt. 500 Leute haben uns zugejubelt und wir haben trotzdem im Schlafsack am Boden geschlafen und bekamen gerade so viel Gage, dass es mit dem Sprit zur nächsten Stadt reichte. Hätte sich das damals nicht so ergeben, wäre ich wohl doch Tischler geworden - was auch sehr cool gewesen wäre.
Bist du jemand, der uneingeschränkt zugibt, dass er Applaus bei Konzerten braucht?
Sicher, den brauchen wir alle. Ein Konzert ist aber mehr als das. Es ist die größtmögliche Form der Umarmung als Musikant mit den Menschen, die einem in dem Moment scheinbar verstehen oder Ähnliches erleben wollen. Der Applaus ist schon wichtig, aber der Austausch ist das, warum man es macht.
Du hast dich jetzt zweimal als Musikant bezeichnet. Musikanten sind eher Unterhalter als Musiker, manchmal auch solche, die zu Playback in Fernsehsendungen schunkeln.
Ich habe mir das schon angewöhnt. Meine Combo, die Singin‘ Rebels, das sind echte Musikanten. Die spielen nur live und können das auch fünf Stunden machen. Ich bin ja viel schlechter, werde schneller oder langsamer oder höre mittendrin auf, aber die fahren immer mit. Besser geht es nicht.
Ist der Song „Ein Stern der keinen Namen trägt“ eine bewusste Schlagerhommage, oder zielt er ganz woanders hin?
Es ist kein Nik-P.-Moment. Der Titel war erst durch die Strophe klar, aber ab dem Moment war es natürlich ein Spiel damit. Zuerst war aber die Thematik des Songs da und der Querverweis kam dann dazu und hat mit Schlager absolut nichts zu tun. Weder thematisch, noch musikalisch. Ich weiß natürlich, dass dieser Titel extrem prägnant ist in diesem Land. Ich kenne Nik P. nicht, aber alles, was ich von ihm gesehen habe, wirkt unglaublich sympathisch. Als ich mit dem Fuzzman begann, habe ich früher oft gesagt, dass mir die „Indienazis“ so am Arsch gehen. Das ist natürlich ein hartes Wort, aber es hat eher damit zu tun, dass alle immer glauben, die Schlagerkünstler wären solche Pfeifen. Das ist totales Unrecht. Die Künstler brennen dafür. Du hast nirgendwo im Leben Erfolg, wenn du nicht dafür brennst, was du machst. Warum manche Musiker sich darüber erheben und immer glauben, dass Schlager nur berechnend ist, verstehe ich nicht. Alle Schlagermenschen, die ich persönlich traf, sind unkomplizierter und unkalkulierter als die Indie-Leute, die so wahnsinnig cool sein wollen.
Oft sind die ach so Toleranten intoleranter, als sie glauben.
Ich will nicht die Toleranten ankreiden, ich sehe mich selbst als Gutmensch. Politisch sind das alles gefährliche Begriffe, aber musikalisch nervt es mich einfach wahnsinnig. Wo ist denn Indie-Musik in der Form entstanden? Kurt Cobain wollte sicher nicht auslösen, dass irgendwann Indie-Soldaten herumrennen und sich über alle erheben, die nicht in ihre Schablone passen. Das ist ein völliger Widerspruch. Eigentlich ist mir das Thema mittlerweile wieder wuascht. Ich habe weder Berührungsängste mit dem Schlager, noch würde ich mich darüber hinauserheben. Vielleicht sage ich deshalb, dass ich Musikant bin. Weil es ein geringgeschätzter Begriff für einen Musiker ist, ich das aber wahnsinnig gerne bin. Ich mache ja auch keine E-Musik, sondern bin schon Unterhalter.
Ist „Schwieriger Mensch“ eine autobiografische Nummer?
(lacht) Alles ist autobiografisch. Diese Nummer ist weniger konkret und mehr gefühlt autobiografisch. Beim schwierigen Menschen gibt es keine Begebenheit, die etwas genau beschreibt. Es ist ein Gefühl, das mir vertraut ist. Manchmal muss man auch verstehen, wenn Menschen sich von einem abwenden in bestimmten Situationen. Vielleicht muss man sich eingestehen, dass man selbst nicht so einfach ist. Das Alter bringt viele Erkenntnisse, die manchmal weh tun und manchmal gut tun, weil man sich nicht mehr so viel Druck macht. Am Ende des Songs heißt es aber auch „ein schwieriger Mensch wird dich immer verstehen“. Das ist dann das Positive daran.
Der schwierige Weg im Leben kann auch fruchtbarer sein als der leichte.
Mein Vater hat mir immer gesagt, ich würde den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Das habe ich so nie empfunden. (lacht) Das ist ja gar nichts Schlechtes. Was ist denn schlimm daran? Ich weiß gar nicht, ob es gut ist, dass man schwierig ist, aber man kommt sich halt nicht aus. Es gibt immer etwas zu ändern. Sobald man mit sich selbst zufrieden ist, kann man sowieso aufhören.
Abschließend - bei Naked Lunch geht es offenbar auch bald weiter?
Genau, da fangen wir bald wieder an. Oliver und ich haben so eine lange Geschichte, das ist immer anstrengend für uns beide, uns gemeinsam in einen Raum zu sperren. Eine harte Beziehung, die viel Arbeit erfordert. Sie ist aber fruchtbar, immer noch. Deshalb macht es noch Sinn, weiterzumachen. Ich freue mich schon darauf, denn jetzt haben wir eh lange pausiert. Im Juni fangen wir einmal an und wir haben gesagt, wir lassen offen, ob und wann das Album fertig wird. (lacht) Das ist halt anders, als meine Sologeschichte. Jetzt gibt es zwei Parteien, die wirklich daran arbeiten müssen, dass sie zusammenfinden. Nicht so sehr künstlerisch, sondern eher privat. Aber wir gehen offen mit den Tücken unserer Beziehung um.
Live in Österreich
Mit dem neuen Album und seinen Singin‘ Rebels geht der Fuzzman im Mai auf große Österreich-Tour. Zu sehen ist das Package am 16. Mai im Grazer ppc, am 18. Mai im Wiener WUK, am 24. Mai im Dornbirner Spielboden und am 25. Mai in der ARGEkultur Salzburg. Weitere Infos und Karten erhalten Sie unter www.oeticket.com.
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