Armbrust-Morde

„Bis zum Suizid – das hatten wir lange nicht mehr“

Ausland
16.05.2019 10:52

Im mysteriösen Fall der drei Toten in Passau und zwei Toten in Wittingen liegt das Motiv für die Bluttaten nach wie vor im Dunklen. Ermittelt wird im Umfeld der beteiligten Personen: Medienberichte vermuteten in dem 53-Jährigen einen „Guru“. Laut der Psychologin Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen in Wien müsse zunächst einmal die Dynamik der Beziehungen geklärt werden: „Dass es bis zum Suizid geht, hatten wir lange nicht mehr.“

Ein Fall wie in Deutschland sei extrem selten. Zu Massensuiziden im Rahmen von Sektengruppierungen sei es zuletzt öfter in den 1990er-Jahren gekommen, etwa bei den Sonnentemplern in Frankreich und Belgien oder „Heaven‘s Gate“ in den USA, davor gab es das Jonestown-Massaker, sagte Schiesser am Mittwoch. Generell seien in dem Bereich mittlerweile vielmehr „kleinteilige“ Gruppierungen beherrschend. „Vereinnahmungen oder Zirkel, bei denen sechs, sieben Frauen einem Anführer oder Guru hörig sind, die ihr ganzes Leben auf diesen Mann ausrichten, sind nicht so selten“, meinte die Expertin. „Dass es aber bis zum Suizid geht, das hatten wir schon lange nicht mehr.“ Bekannt gewesen sei der 53-jährige vermeintliche „Guru“ der österreichischen Bundesstelle für Sektenfragen jedenfalls nicht.

In dieser Pension nahe Passau wurden die drei Leichen gefunden. (Bild: AP)
In dieser Pension nahe Passau wurden die drei Leichen gefunden.

BDSM-Verhältnis und sektenartige Strukturen
„Man muss in dem Fall, bei dem natürlich noch viel spekuliert wird, schauen, welche Dynamik es in diesen Beziehungen gab“, erklärte Schiesser. Eine so starke Beeinflussung könne sektenartige Strukturen haben, es könne aber auch gut sein, dass es sich um ein BDSM-Verhältnis handelte (Abkürzung für die Begriffe Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism; Sammelbegriff für Sexualpräferenzen, zu denen u.a. Dominanz und Unterwerfung oder auch - freiwillige - Körperverletzungen gehören; Anm.). Ob der 53-jährige Mann überhaupt der Leiter einer möglicherweise bestehenden Gruppierung gewesen sei, wisse man nicht.

„Der Wunsch, zu einer Elite anzugehören“
Dass Frauen Männern hörig sind, mitunter bis zur Selbstaufgabe, sei ebenfalls nicht selten, eine solche Unterordnung komme auch in Beziehungen häufig vor, meinte Schiesser. „Das ist auch keine rein weibliche Sache, da kommen durchaus Männer zu uns zur Beratung. Vielleicht betrifft es aber mehr Frauen, weil diese stärker auf Soziales konditioniert wurden oder eher den Wunsch haben, etwas Besonderes zu sein, einer Elite anzugehören.“

Zwei der Toten lagen Hand in Hand auf dem Bett des Gästezimmers. (Bild: Markus Wenzel)
Zwei der Toten lagen Hand in Hand auf dem Bett des Gästezimmers.

„Liebevolle Vaterfigur, die sie nie hatten“
Frauen seien möglicherweise eher auf der Suche nach einer „liebevollen Vaterfigur, die sie nie hatten“ und ließen sich daher leichter auf ein derartiges Verhältnis ein. Bei solchen „Gurus“ hätten Frauen dann „Prinzessinnenstatus“ - die Männer würden vorgeben, das „Besondere“ in ihnen zu sehen. Dabei arbeiten sie häufig mit „Zuckerbrot und Peitsche“, umschrieb die Psychologin - einmal liebevoll, dann wieder abwertend - was diese Beziehungsdynamik noch intensiviere. „Das ist immer ein schleichender Prozess. Ich nehme an, dass sich das auch in diesem Fall über eine längere Zeit entwickelt hat“, so Schiesser.

Selbsttötung als eine Art „Reset-Knopf“
Eine Gruppe habe zudem immer eine Sogwirkung. „Da entsteht eine Blase, eine Echokammer, in der sie sitzen. Man verliert den Blick nach außen“, erläuterte die Psychologin. „Ich tippe darauf, dass es ein bestimmtes Motiv hinter dem aktuellen Fall gibt, da muss irgendwas sein. Man muss sich die Frage stellen, gab es ein gemeinsames Ziel, eine gemeinsame Idee, die die Beteiligten verfolgt hatten?“ So behaupte beispielsweise eine Amerikanerin, dass Selbsttötung eine Art „Reset-Knopf“ sei und wolle das auch ihrer großen Gefolgschaft in den sozialen Medien weismachen.

(Bild: AFP/dpa/Christophe Gateau)

Bei der Mittelalter-Szene, in der sich die Beteiligten bewegt haben sollen, gebe es keineswegs „automatisch Überschneidungen“ mit der BDSM-Szene, so Schiesser. „Die Mittelalter-Szene ist viel zu bunt. Die Lust am Verkleiden ist vielleicht beiden gemeinsam. In Österreich gibt es mehrere Vereine, die Mittelalterfeste organisieren. Da geht‘s um das Aussteigen aus der Realität, vielleicht um die Sehnsucht nach einem einfachen Leben. Oft sind das richtige Nerds, die sich sehr gut mit dieser Zeit auskennen.“ Bei den Beratungen der Bundesstelle für Sektenfragen komme die Mittelalter-Szene nicht oft vor, meist seien die Fälle im Esoterik-Bereich angesiedelt.

(S E R V I C E - Informationen und Beratung unter: www.bundesstelle-sektenfragen.at; Tel.: 01/5130460; Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums. Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich auch Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich.)

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