Armbrust-Morde

Die Psyche des Gurus – und seiner Jüngerinnen

Ausland
19.05.2019 06:00

Torsten W. war der typische Psychopath. Charismatisch, manipulativ - und völlig gefühlskalt. Aber seine Untergebenen hielten ihn für gottgleich, bedingungslos befolgten sie alle seine Befehle. Am vergangenen Wochenende gingen vier Frauen mit ihm in den Tod (siehe auch Video oben).

Es muss – so die vorläufigen Ermittlungsergebnisse der Kripo – noch vor Sonnenaufgang gewesen sein, als sich Torsten W. (53), Kerstin E. (33) und Farina C. (30) am 10. Mai in den weißen Pick-up des Mannes setzten und von Borod, Rheinland-Pfalz, losfuhren; in Richtung Österreich. Vielleicht machten sie auf dem 700 Kilometer langen Weg Pausen, vielleicht trafen sie auf der Strecke Bekannte; vielleicht besuchten sie, wie schon so oft davor, wieder einmal irgendeinen altertümlichen Flohmarkt.

„Wir wissen leider erst wenig über den genauen Ablauf der Reise“, sagt ein Polizeibeamter. Als gesichert gilt lediglich: In den frühen Nachmittagsstunden überquerten die drei die Grenze. Und: Gegen 16 Uhr kauften sie in einem Geschäft in Oberösterreich drei Armbrüste. Jene Waffen, mit denen in der Nacht darauf eine Wahnsinnstat geschehen sollte. In einer Frühstückspension am Rande von Passau.

In dieser Pension nahe Passau wurden die drei Toten gefunden. (Bild: APA/dpa/Lino Mirgeler)
In dieser Pension nahe Passau wurden die drei Toten gefunden.
Zwei der Toten lagen Hand in Hand auf dem Bett des Gästezimmers. (Bild: Markus Wenzel)
Zwei der Toten lagen Hand in Hand auf dem Bett des Gästezimmers.

Fünf Tote – und viele Fragezeichen
Die Deutschen bezogen dort um 22 Uhr ein Zimmer, kurz darauf kam es zu dem Unfassbaren. Im Auftrag von Torsten W. und Kerstin E. – sie waren ein Paar – schoss Farina C. mehrere Pfeile in die Köpfe und Oberkörper der beiden; danach richtete sich die 30-Jährige selbst.

Am 13. Mai dann die Entdeckung eines weiteren Dramas. Gertrud C. (35), die Lebensgefährtin von Farina C., und eine zweite Frau, Carina U. (19), hatten in einer Wohnung in Wittingen, Niedersachsen, mit Gift Selbstmord begangen. Fünf Menschen, die eng miteinander verbunden gewesen sind, schieden beinahe zeitgleich freiwillig aus dem Leben. Warum?

In diesem Haus in Wittingen wurden die Leichen zweier Frauen gefunden. (Bild: AFP/dpa/Christophe Gateau)
In diesem Haus in Wittingen wurden die Leichen zweier Frauen gefunden.
Ein Tatort-Ermittler vor dem Haus in Wittingen, in dem zwei Tote gefunden wurden. (Bild: AFP/dpa/Christophe Gateau)
Ein Tatort-Ermittler vor dem Haus in Wittingen, in dem zwei Tote gefunden wurden.

Was ist die Vorgeschichte der Tragödie? Torsten W. scheint die Hauptrolle darin gespielt zu haben. Der Mann, ein typischer Psychopath. Charismatisch, extrem manipulativ – und völlig empathielos. Jemand, der es schafft, die Defizite anderer Menschen blitzschnell zu erkennen, sich zunutze zu machen; immer mehr, immer mehr – bis er sein Ziel erreicht hat: die Psyche seiner Opfer zu brechen, sie zu willenlosen Werkzeugen für seine eigenen grauenhaften Bedürfnisse zu machen. Farina C., Kerstin E., Gertrud C. und Carina U. – sie alle waren einfache Opfer für ihn.

Doch, die Frauen galten als intelligent und tüchtig, vor ihrer Bekanntschaft mit dem „Meister“ stachen sie sogar durch besondere Leistungen hervor. Farina C., eine Bäckerin, bekam mehrmals Preise für ihre außergewöhnlichen Tortenkreationen; Gertrud C. hatte ihr Lehramt-Studium in Rekordzeit geschafft; Kerstin E. soll einmal eine gefragte Visagistin gewesen sein und Carina U. eine Vorzugsschülerin, die an Erfinderwettbewerben teilnahm.

Die Leichen von Torsten W. und Kerstin E. (links) lagen im Bett. Gertrud C. (2.v.l.), die Lebensgefährtin von Farina C. (3.v.l.) und Carina U. (rechts) begingen in einer Wohnung in Wittingen Selbstmord. Auch Farina C. richtete sich selbst. (Bild: APA/dpa/Christophe Gateau, zVg, krone.at-Grafik)
Die Leichen von Torsten W. und Kerstin E. (links) lagen im Bett. Gertrud C. (2.v.l.), die Lebensgefährtin von Farina C. (3.v.l.) und Carina U. (rechts) begingen in einer Wohnung in Wittingen Selbstmord. Auch Farina C. richtete sich selbst.

So machte er sich seine Opfer gefügig
Aber ihnen allen war auch gleich, dass sie trotz ihrer Begabungen nie wirklich an sich selbst glaubten und ihnen Rückschläge, die sie privat oder beruflich erlitten, in einem unangemessen großen Maß nahegingen. Diese Schwäche war der Punkt, an dem Torsten W. einhakte.

Zuerst gab er seinen „Auserwählten“ das Gefühl, wichtig für ihn zu sein; er hörte aufmerksam zu, wenn sie mit ihm über ihre Probleme sprachen, er gab ihnen Ratschläge. Und wenn er sie dazu gebracht hatte, zu denken, er wäre der einzige Mensch auf dieser Welt, der sich für sie interessierte, zeigte er sein wahres, sein böses Gesicht. Benahm sich wie ein Tyrann, forderte von ihnen totale Unterordnung ein, zwang sie zu absurden Dingen. Quälte sie.

(Bild: APA/dpa/Christophe Gateau)

Wie kam Torsten W. einst mit seinen späteren Jüngerinnen in Kontakt, wo hat er sie gefunden? Fest steht: Sie waren nicht die ersten - und einzigen - Menschen, an denen er seine Machtfantasien in die Realität umsetzte. Von Jugend an ging er Jobs nach, in welchen er - ohne besondere Ausbildungen vorweisen zu müssen - „Chefpositionen“ einnahm.

Er verkehrte in okkulten Kreisen
Er arbeitete als Karatetrainer und Reitlehrer, er gab privat Fahrstunden und leitete Selbstverteidigungskurse. Mädchen, Burschen, junge Frauen und Männer waren seine Schüler; die meisten von ihnen schätzen ihn, zumindest anfangs, wegen seines Humors, seiner „flotten Sprüche“, seiner vorgegaukelten Einfühlsamkeit und Hilfsbereitschaft.

Jene, die kaum Freunde oder Schwierigkeiten mit ihren Familien hatten, gerieten rasch in seinen Bann - und waren in der Folge dazu bereit, viel für ihn zu tun. Ihm einen Teil ihres Gehalts zu überlassen; ihm zu dienen, in vielerlei Hinsicht. Indem sie sein Haus putzten oder sich von ihm in Ketten legen ließen - wenn er Lust verspürte, seine sadistischen Triebe auszuleben.

Er gehöre zu den wenigen starken Männern auf dieser Welt, erklärte Torsten W. seinen Untergebenen, und dass Frauen „naturgemäß“ die untersten Plätze in der Gesellschaft einnehmen würden. Wahnideen, die umso massiver wurden, je mehr er sich mit der Geschichte des Mittelalters beschäftigte. Seit etwa zehn Jahren war er Mitglied eines Rittervereins, und er verkehrte in okkulten Zirkeln. Seine Jüngerinnen mussten zuletzt stets lange schwarze Kleider tragen.

(Bild: AFP/dpa/Christophe Gateau)

Gesundheitlich angeschlagen
Es gibt Hinweise, dass der 53-Jährige in den vergangenen Monaten gesundheitlich angeschlagen war. Sprach er deshalb plötzlich so oft über sein angebliches Schicksal, 2019 - im 500. Todesjahr seines großen Idols, Kaiser Maximilian I. - „diese Erde verlassen zu müssen“?

In der Burg Wels - dort, wo der „letzte Ritter“, ein begnadeter Armbrustschütze, - einst gestorben ist - findet derzeit zum Gedenken an ihn eine Ausstellung statt. Haben Torsten W., Kerstin E. und Farina C. sie vor ihrer Wahnsinnstat besucht? „Auch das“, sagt ein Polizeisprecher, „ist noch Gegenstand von Erhebungen.“ In diesem Kriminalfall, dessen Hintergründe möglicherweise niemals vollständig geklärt werden können. Weil die Überlebenden aus Torsten W.s Zirkel ihrem Meister sogar noch jetzt zutiefst ergeben sind - und in Verhören schweigen.

„Er fand ihre wunden Punkte“
Psychiaterin Sigrun Rossmanith analysiert das Seelenleben von Torsten W. - und das seiner Opfer.

Sigrun Rossmanith, Gerichtspsychologin (Bild: Martin Jöchl)
Sigrun Rossmanith, Gerichtspsychologin

„Krone“: Wie konnte es möglich sein, dass Torsten W. vier Frauen dazu brachte, mit ihm in den Tod zu gehen?
Sigrun Rossmanith:
 Diese Tat hat sicherlich eine lange Vorgeschichte, deren Hintergründe in den Viten aller Betreffenden zu finden sind.

Wie schätzen Sie den Mann ein?
Er war vermutlich ein Meister der Manipulation - und damit auch ein guter Menschenkenner. Ich gehe davon aus, dass er sich seine Opfer genau ausgesucht hat.

Nach welchen Kriterien?
Sie mussten bedürftig sein. Sie kämpften wahrscheinlich mit Problemen, beruflich oder privat. Torsten W. nutzte diese Defizite, er gab den Frauen Halt, indem er vorgab, das Beste für sie zu wollen - und zu wissen, was das Beste für sie sei. Nach dieser Gehirnwäsche schotteten sich die Opfer von ihrem bisherigen Umfeld - von ihren Familien und Freunden - völlig ab. Denn plötzlich hatten nur noch der Mann und seine Gedankenwelt für sie Bedeutung.

Welche Rolle spielte Sex in W.s Zirkel?
Sex war vermutlich ein Werkzeug des Mannes, um seine Untergeben noch mehr an ihn zu binden.

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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