Eine Mutter und ihre beiden erwachsenen Zwillingstöchter sind laut Polizei tatsächlich in ihrer Wohnung in Wien-Floridsdorf verhungert. „Eine gerichtliche Obduktion wurde durchgeführt. Nach aktuellem Stand kann von einem Tod durch Verhungern ausgegangen werden“, berichtete Polizeisprecher Patrick Maierhofer am Donnerstag. Der Todeszeitpunkt wird auf Ende März bzw. Anfang April geschätzt. Auch das Jugendamt gab am Donnerstag erstmals tiefere Einblicke in den schockierenden Fall.
Erst am Dienstag dieser Woche waren die Leichen der 45-jährigen Frau und ihrer beiden Töchter im Alter von 18 Jahren entdeckt worden.
Keine Vergiftung, keine Gewalt
„Eine erste toxikologische Untersuchung ergab keine Spuren einer Vergiftung. Detailuntersuchungen werden in den kommenden Wochen noch durchgeführt“, ergänzte Maierhofer am Donnerstag. Ein Gewaltverbrechen hatten die Ermittler des Landeskriminalamtes Wien schnell ausgeschlossen.
„Freiwillig gemacht oder in Kauf genommen“
Vieles deutete daraufhin, dass die Tragödie in der Wohnung in der Werndlgasse mit einer psychischen Erkrankung der Mutter zusammenhängen dürfte. Ob bzw. wie das zu einem offenbar freiwilligen Verhungern auch der 18-Jährigen geführt haben könnte, blieb zunächst unbeantwortet. Die Polizei machte aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes der Verstorbenen und aus Rücksicht auf Angehörige keinerlei Angaben zu solchen persönlichen Details, bzw. sind wohl auch für die Ermittler viele Fragen offen. „Nicht immer lässt sich alles restlos aufklären“, hieß es. Es sehe aber aus, „als wenn das beabsichtigt gewesen, freiwillig gemacht oder in Kauf genommen worden wäre“. Es sei bisher kein Motiv eruierbar und es gebe keine Abschiedsbriefe, sagte Maierhofer. Die Ermittler hätten in der Wohnung auch keine Lebensmittel finden können.
„Machte aus ihrer Sicht etwas Gutes“
Psychologe Cornel Binder-Krieglstein vermutet, dass die 45-Jährige unter Schizophrenie leiden könnte. Es bestünde daher laut dem Experten die Möglichkeit, dass ihr Stimmen gesagt hätten, sie müsste fasten oder etwa nur etwas Bestimmtes essen, um jemandem zu helfen oder Schlimmes abzuwenden.„Dann tut sie das - und aus ihrer Sicht macht sie etwas Gutes, etwas Wichtiges“, sagte der Experte.
„Ruhige Mädchen in der Pubertät"
„Es waren schüchterne Kinder, ruhige Mädchen in der Pubertät“, beschrieb Andrea Friemel von der Wiener Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) die Zwillinge. In der Schule seien sie als Integrationskinder geführt worden. Dabei spielte wohl eine nicht näher erläuterte „Entwicklungsverzögerung“ eine Rolle. Im Herbst 2016, nicht mehr schulpflichtig, wurden die Jugendlichen von der Schule abgemeldet.
Im Dezember 2016 kam die Familie daraufhin auch in Kontakt mit der Behörde. Ehrenamtliche Betreuer aus einem Mentorenprojekt schalteten das Jugendamt ein. Die „Abklärung der Situation“ endete im März 2017, ohne dass die MA 11 ab diesem Zeitpunkt noch eine Notwendigkeit für weitere Maßnahmen gesehen hätte. Das Amt habe sich, wie in solchen Fällen üblich, als Ansprechpartner für die Zukunft angeboten.
Zwillinge laut Magistrat nicht hilflos
„Es gab nichts in der Eigenwahrnehmung der Kolleginnen“, betonte Friemel. Wohl habe bei den Teenagern eine verzögerte Entwicklung vorgelegen, „die je älter die Kinder sind immer augenscheinlicher wird“. Über eine schwerere Beeinträchtigung geistiger oder physischer Art finde sich aber nichts in den Unterlagen. Die Zwillinge dürften demnach nicht hilflos gewesen sein. „Wäre so etwas wahrgenommen worden, hätte es automatisch mehr an Unterstützung, auch finanzieller Natur, gegeben.“ Die alleinerziehende Mutter hätten „finanzielle Themen“ augenscheinlich bedrückt.
Grundsätzlich sei festzuhalten, dass die Betreuung durch die Behörde im Frühjahr 2017 endete. Die Einschätzung des Jugendamts beziehe sich daher auf die Situation von vor zwei Jahren, betonte Friemel. Sie sei sehr bestürzt über den Tod der drei Frauen und habe keine Erklärung. „Es ist seither nichts mehr gemeldet worden“, weder von offiziellen Stellen, noch aus dem Umfeld oder von Verwandten.
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