Rund 14.500 Fans sorgten in der ausverkauften Stadthalle noch einmal für ordentlich Lärm. Ihre Lieblinge, die Rock-Legenden KISS, sollen Wien angeblich das allerletzte Mal ihre Aufwartung gemacht haben. Dafür ließen sie sich nicht lumpen und kredenzten den treu ergebenen Anhängern eine Bombastshow, die vor Hits und Effekten nur so strotzte und traurig gewahr machte, wie sehr sie einmal fehlen werden.
Der wievielte Abschied ist das eigentlich? Kann man das noch ernst nehmen? Und warum funktioniert das ewige „Goodbye“ bei den Fans eigentlich immer noch so locker und erfolgreich wie ein abgeklärter Taschenspielertrick? Mit den sogenannten „Farewell“-Touren lässt sich der Rubel eben noch einmal ordentlich rollen, schließlich bekommt jeder treue Anhänger die prompte Panik, das letzte Stelldichein auf einheimischen Boden verpassen zu können. Doch Lebewohl heißt nicht gleich Lebewohl - das weiß man schon seit geraumer Zeit. Die Scorpions schießen seit ihrem ersten „Auf Wiedersehen“ Album um Album in den musikalischen Orbit, Sir Elton John hat sich heuer schon doppelt in Wien verabschiedet, soll aber gerüchteweise schon Pläne für ein weiteres Wiedersehen schmieden und die Kult-Rocker KISS haben sich schon zum Millennium aus dem Staub gemacht - aber nur in den Interviewspalten und am Papier, denn man tauschte einfach die Originalmitglieder Ace Frehley und Peter Criss gegen Tommy Thayer und Eric Singer und machte bis heute weiter.
Ende ist realistisch
Auf der sogenannten „End Of The Road“-Welttour soll nun aber wirklich Schluss sein. Angesichts des drohenden 70ers der beiden Urmitglieder Gene Simmons und Paul Stanley und anhaltender Stimmprobleme des Letztgenannten könnte das „neue Ende“ wesentlich realistischer sein. Aber KISS - „the hottest band in the world“ - wären nicht KISS, würden sie es zum Abschluss nicht noch einmal richtig krachen lassen. Überraschungsmomente gibt es für treue Fans schon seit Jahren nicht mehr, doch in punkto Entertainment mit gitarrenlastiger Musikbeschallung rangieren die New Yorker auch im 47. Karrierejahr an der absoluten Spitze. Ob KISS aber wirklich an der kompletten „Spitze des Olymps“ stehen, wie Simmons in einem Interview betonte, bleibt fraglich. Mit neuen Songs oder Studioalben will er sich in Zeiten des Streamings ohnehin nicht mehr abgeben und auch die Nachlassverwaltung hat schon mal etwas besser funktioniert. Seine Solotour verlief letzten Sommer qualitativ (Songs) als auch quantativ (Besucheranzahl) eher schlecht als recht, aber das wäre ohnehin wieder ein ganz anderes Kapitel.
KISS sind eine einzige Effektpalette und anhand der Schminke sehen die Altstars auch immer noch gleich frisch aus wie vor 40 Jahren. Ein nicht unerheblicher Vorteil, wenn man die Stromgitarre würdevoll durchs Rentenalter ziehen möchte. Und fürwahr - explosiver als mit „Detroit Rock City“ kann man auch kaum in ein Set starten, das mehr als zwei Stunden lang nur aus Hits besteht, aber trotzdem mindestens weitere zwei Stunden voller Hits vermissen lässt. Wie es sich für eine ordentliche Abschiedsvorstellung gehört, spielen sich KISS quer durch ihre reichhaltige Diskografie und schippern dabei vorwiegend an den Chartbreakern vorbei. Da setzt man auf alte Hadern wie „Deuce“, denkt an die Disco-Zeiten („I Was Made For Lovin‘ You“) zurück und lässt hymnisches Mitsing-Potenzial („Heaven’s On Fire“, „Lick It Up“) erkennen. Dazwischen bleibt genug Zeit für ausufernde Soli, Simmons‘ programmatische Feuerspuckereien, einen durch die Halle segelnden Stanley und allerlei Zungenspiele. Eine Show, direkt aus dem Unterhaltungs-Lehrbuch, die aber zu keiner Sekunde langweilt und von wundervoller Zeitlosigkeit durchzogen ist.
Religiöse Segnung
Die verbale Kommunikation mit dem Publikum wird natürlich auf ein Minimum beschränkt. Immerhin hat man hier galaktische Rockgötter vor sich und keine „Jeans-tragenden Langweiler“, wie Simmons einst standardisierte Rockbands und deren Ideenlosigkeit bezeichnete. Unlängst meinte er auch, was KISS machen würden, wäre wichtiger als wenn der Papst am Ostersonntag eine Rede hält. Die 14.500 treu ergebenen Anhänger in der restlos ausverkauften Stadthalle sehen das genauso. Ihre Religion besteht aus vier geschminkten Fantasten, die Bibel ist die KISS-Diskografie und die Segnung bekommen sie in Form einer fulminanten Show erteilt. Ein bisschen eine Mischung aus harmlosem Kindergeburtstag und altertümlichem Geisterbahnfeeling, mit dem nötigen Sinn für Selbstironie und allgemeinen Humor. Da bleibt zumindest wenig Platz für die Dinge, die langjährige Fans am Ende vielleicht doch gerne gesehen hätte: selten gespielte oder obskure Songs. Doch keine Chance - bei der Hit-Maschinerie gibt es keinen Millimeter Platz für Experimente oder Kursabweichungen.
So ganz können KISS die jahrelange Routine ob des stets ähnlich laufenden Sets nicht ablegen, aber die bloße Spielfreude und der Wiedererkennungscharakter der einzelnen Songs sorgen für ein kurzweiliges und vor allem feuriges Erlebnis. Ob KISS nun wirklich den österreichischen Schwanengesang aufs Parkett gelegt haben, bleibt abzuwarten. Die „End Of The Road“-Tour dauert ohnehin noch eine Zeit lang an und wird einmal quer um den gesamten Globus kreuzen. Einen Festivalauftritt 2020 sollte man aber vielleicht nicht ganz ausschließen und falls Simmons, Stanley und Co. doch einmal die unbändige Lust aufs Golfspielen oder Strandliegen packt, dann können sie ja immer noch eine Idee aus den letzten Jahren umsetzen - nämlich einfach die eigenen Kinder oder talentierte Nachwuchsmusiker unter das KISS-Make-Up stecken, und die Band damit endgültig so unsterblich machen, als sie ohnehin schon jetzt von vielen gesehen wird. Und falls nicht, war dies heute ein mehr als gelungener Abschied.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.