„Orbanisierung“
Eine Medienwelt, wie sie Strache gefällt
Regierungskritische Medien werden finanziell unter Druck gesetzt, Journalisten gefeuert. Hetzkampagnen sind an der Tagesordnung. Willkommen in Viktor Orbans Medienlandschaft.
Ein Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Tochter, Schwester oder Enkelin. 18 Jahre alt. Geht in ein Gymnasium, 120 Kilometer von Wien entfernt, sagen wir also: Waidhofen an der Ybbs. Bei einer Protest-Veranstaltung kritisiert sie den hypothetischen Kanzler Heinz-Christian Strache. Zugegeben - nicht ganz fein. „Jugendsprech“ halt.
Stellen Sie sich vor, dieser Kanzler lässt daraufhin die von ihm kontrollierten medialen Bluthunde los. Im gleichgeschalteten ORF bezeichnet der „ZiB“-Anchor das Mädchen öffentlich als „Hure“, veröffentlicht ihre - veränderten - Zensuren und stellt das Mädchen als debile „Proll-Frau“ dar. Regierungsnahe Medien zahlen Geld für den, der ihr unter den Rock fotografiert. Stellen Sie sich vor, das ist Ihre Tochter, Schwester oder Enkelin.
Unmöglich? Ist passiert. Im orbanisierten Ungarn. Mit der mittlerweile 19-jährigen Blanka Nagy aus Kiskunfélegyháza, 120 Kilometer von Budapest entfernt.
Strache träumte von „Orbanisierung“
Ex-Vizekanzler Strache träumte im Ibiza-Video (siehe unten) von so einer Medienlandschaft wie in Ungarn. Einer „Orbanisierung.“ Doch was bedeutet das? 2010 erließ Orban ein neues Mediengesetz. Zunächst wurden alle öffentlich-rechtlichen Medien „gleichgeschaltet“, bald auch die privaten. Journalisten wurden zu „ausgewogener Berichterstattung“ gezwungen, die nationale Identität soll im Vordergrund stehen. Wer sich weigerte, wurde gefeuert.
Das ging leicht, da es in Ungarn keinen Kollektivvertrag für Journalisten gibt. „Zensur ist nicht das Problem“, sagt Journalist Andras Stumpf von „Valaszonline“ zur „Krone“, sondern die Wirtschaft. Firmen, die in regierungskritischen Medien inserieren, werden unter Druck gesetzt. Zeitungen wie „Magyar Hang“ müssen im Ausland drucken. „Wir haben bei sieben Druckereien in Ungarn angefragt. Keine wollte uns“, so Journalist Csaba Lukacs.
Medienkontrolle dank Oligarchen-Konzern
Orbans ausführendes Organ bei der Gleichschaltung ist der Oligarch Lorinc Meszaros. Durch Mittelsmänner wie den Österreicher Heinrich Pecina vereinte er 500 Medien in der „Mitteleuropäischen Presse- und Medienstiftung“ (KESMA). Auch ein großer deutscher Medienverlag verkaufte seine Anteile zunächst an Pecina, dieser an Meszaros - in Wahrheit das zentrale Medien-Kontrollorgan von Orbans Fidesz-Partei.
„Das war eigentlich ungesetzlich“, sagt Stumpf. „Aber Orban erklärte es zu nationalem Interesse und musste deswegen die Wettbewerbs- und Medienbehörde nicht informieren.“ „Valaszonline“ und „Magyar Hang“ haben keine Büros. Man trifft sich in Wohnungen. Drohanrufe sind Alltag, Familienmitglieder von kritischen Journalisten verlieren nicht selten ihren Job. Den Mund halten kommt für sie dennoch nicht infrage. Auch nicht für Blanka Nagy. Theaterwissenschaften will sie studieren. Der Zugang zur Uni wird ihr wahrscheinlich verwehrt. Auch das kommt nicht selten vor. In einer Welt, wie sie wohl nur Strache gefällt.
Daten und Fakten: Was bedeutet „Orbanisierung“?
- Die Glaubwürdigkeit von Journalisten wird durch gezielte Desinformation untergraben.
- Kritische Medien werden ökonomisch geschwächt, regierungsnahe mit Steuergeld finanziert. Eines der größten Blätter des Landes, die Gratis-Zeitung „Lokál“ mit einem Umfang von 16 Seiten, erschien beispielsweise im Dezember 2018, während der Anti-Orban-Proteste, mit nur zwei (!) Geschichten im Blatt. Der Rest war mit Fidesz-Inseraten oder Werbung „befreundeter“ Firmen gefüllt.
- Journalistenfragen bei „Pressekonferenzen“ sind selten, kritische Medien werden von selbigen oft ausgeschlossen. „Magyar Hang“ war vor drei Wochen erstmals seit einem Jahr wieder zugelassen.
- Die größte Reichweite erlangt Orban mit den regionalen Blättern. Deren Kern wird jedoch von Budapest gesteuert. Sechs bis acht Seiten nimmt die Propaganda-Berichterstattung über die Orban-Regierung ein. Diese ist überall gleich.
- Neben der Medienlandschaft hat Orban auch die unabhängige Justiz ausgehebelt. Wichtige Posten wurden mit Fidesz-Mitgliedern besetzt. Damit hat die Regierungspartei nicht nur die drei Gewalten (Legislative, Exekutive und Justiz) inne, sondern mit den gleichgeschalteten Medien auch die sogenannte Vierte Macht.
Clemens Zavarsky, Kronen Zeitung
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