Zum ersten Mal ist das Grazer Schauspielhaus Partner der Autorentheatertage in Berlin. Neben einem umjubelten Gastspiel mit „Die Revolution frisst ihre Kinder“ feierte man auch eine Uraufführung: „ruhig blut“ von Eleonore Khuen-Belasi ist eine philosophische Suche nach den Rissen im gesellschaftlichen Asphalt.
„Es ist für uns ein mordsmäßiger Erfolg, Teil dieses Festivals zu sein“, freut sich Schauspielhaus-Intendantin Iris Laufenberg bereits vor der ausverkauften Premiere von „ruhig blut“ in den Kammerspielen des Deutschen Theater in Berlin. 130 junge Dramatiker haben ihre Texte für die Autorentheatertage 2019 eingereicht, eine Fachjury wählte drei Gewinner aus, einen davon brachte das Schauspielhaus als Neo-Partner (bis dato hat die Wiener Burg Österreich vertreten) zur Uraufführung: „Wir stellen uns da völlig uneitel in den Dienst des Textes“, erklärt Laufenberg.
Grazer Uraufführung in Berlin
Und dennoch hat Regisseurin Clara Weyde eine nicht ganz unspektakuläre Umsetzung für das Debüt der 25-jährigen Philosophin Eleonore Khuen-Belasi als Theaterautorin gefunden. In „ruhig blut“ erzählt die gebürtige Südtirolerin von einer gesellschaftlichen Infrastruktur, die Risse bekommen hat: Der Bordstein, auf dem sie drei namenlose Figuren ihr Lager aufschlagen lässt, droht unter ihren Füßen zu zerbröckeln. Aus den Ritzen im Asphalt, der bei ihr zu einer eigenen Figur wird, brodeln unbekannte und längst vergessen geglaubte Ängste hoch, die die Grenzen des Möglichen verrücken. Plötzlich sehen sich „die da oben“ mit einem möglichen Umbruch (oder gar Zusammenbruch?) konfrontiert. Sie reagieren mit hysterischer Ratlosigkeit und Parolen wie: „Der Bordstein gehört uns“ oder „Nur Besitz hilft gegen Armut“. Auf die Fakten, die von einer Kommentatorin (Anna Szandtner) eingebracht werden, scheint keiner zu hören.
Weyde lässt „die da oben“ (Henriette Blumenau, Florian Köhler, Nico Link) wie Spinnen in einem starren Netz des althergebrachten Miteinanders (Bühne: Thea Hoffmann-Axthelm) hängen, das Julia Gräfner von unten zu sprengen droht: „Wo ist mein Narrativ?“, fragt sie mit immer größerem Nachdruck und wird so lange ignoriert, bis sie (auch darstellerisch) zur Naturgewalt mutiert und das gesellschaftliche Netzwerk endgültig zerreißt. Und so hängen am Ende nicht nur die Darsteller, sondern das ganze System in der Schwebe.
Spannendes Debüt
Khuen-Belasi schafft in ihrem Debüt einen dramatischen Schwebezustand zwischen konkreten Gegenwartsbezügen und philosophischen Verallgemeinerungen, zwischen thematischer Ernsthaftigkeit und sprachlichem Humor, der nicht nur das Premierenpublikum in Berlin begeistern dürfte.
Ab 4. Oktober ist „ruhig blut“ dann in Graz zu sehen. Das Schauspielhaus ist auch 2020 wieder Partner der Autorentheatertage in Berlin. Alle Infos und Karten finden Sie hier.
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