Gerade bei Autos ist immer häufiger von Entschleunigung in unserer hektischen Zeit die Rede. Oft soll das lediglich mangelnde dynamische Qualitäten kaschieren, manchmal tritt dieser Effekt aber tatsächlich ein. Der neue Range Rover Evoque etwa, der sich mit Standard-Fahrwerk und dem mittleren Benziner (250 PS) zum Test einfand, umfasst seine Insassen regelrecht mit einer Art Wohlfühlblase.
Nüchtern betrachtet ist der Evoque mit seinen 4,37 Meter Länge schlicht ein Kompakt-SUV. Tatsächlich fühlt er sich aber eine ganze Klasse höher an - wie ein rein äußerlich auf Kompaktformat eingekürztes Nobel-SUV. Hat man auf dem Fahrerplatz Platz genommen, ist von Kompaktheit nicht viel zu merken, denn die Karosserie wirkt von innen opulenter gestaltet als von außen. Das macht sie unübersichtlich, versetzt einen aber auch gefühlt in einen der großen Brüder des Evoque.
Von denen übernimmt er auch das Bediensystem mit den zwei Touchscreens und den variabel belegten Einstellrädern, das zwar nicht in letzter Konsequenz durchdacht ist (so blockiert Apple CarPlay das obere Display so lange, bis man das Handykabel abzieht), aber sehr elegant gestaltet und nach einiger Eingewöhnung ganz gut zu handeln ist. Einzig die Tasten am Lenkrad erwiesen sich zum wiederholten Mal als untauglich, z.B. den umständlichen Bordcomputer samt Menü am digitalen Tachodisplay zu bedienen, weil sie oft falsch auf Druck reagieren.
Doch jeder Ärger über solch lapidare Alltagsprobleme versickert in dem dicken Wattebausch, in den einen der Range Rover Evoque packt. Man sitzt entspannt in guten Leder-Fauteuilles (es gäbe auch umweltfreundliche Recycling-Bezüge) und gleitet vom Standard-Fahrwerk komfortabel gefedert und bedämpft durch die Landschaft. Dazu hört man entweder hervorragenden Sound aus den Lautsprechern oder eben nicht viel: Weil der Innenraum fein gedämmt ist, dringt kaum etwas von der schnöden Welt nach drinnen. Sogar der Zweiliter-Vierzylinder-Benziner hält sich im Hintergrund.
Der ist überhaupt ein feines Triebwerk, das wegen seiner akustischen Zurückhaltung gut zu dieser Version des Evoque passt. Auf deutschen Autobahnen mangelt es in Verbindung mit der Neungangautomatik nicht an Nachdruck. Allerdings wollen wir nicht verschweigen, dass der Range Rover Evoque P250 die angegebene Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h um 13 km/h verpasst hat (Tachoanzeige bei GPS-gemessenen 217 km/h: 225 km/h).
Womit wir wieder bei der Entschleunigung wären. Das Reisen ist die Domäne des Evoque in dieser Version. Man glaubt über die Autobahn zu schweben, hat genug Kraft, um keinen Stress zu bekommen, wenn man an einem, sagen wir, Mitbewerber ums schnelle Vorankommen vorbei möchte, merkt aber wenig vom Tempo. So kommt man abends entspannter an, als man morgens losgefahren ist.
Das ganze Fahrerlebnis ist auf Entkopplung von der hektischen Außenwelt angelegt, die Beziehung zwischen Fahrer und Welt ist keine direkte. Das heißt aber auch, dass die Lenkung eher indirekt arbeitet und wenig Gefühl für Kurvenradien vermittelt. Auch ein Tritt aufs Gaspedal, etwa an einer Einmündung beim Abbiegen, muss erst von einigen Instanzen gutgeheißen werden. Noch schnell vor herannahendem Querverkehr heraushuschen, wird man nicht oft versuchen.
Doch es passt zum Charakter. Wer die sportliche Seite des Evoque kennenlernen will (ja, die gibt es auch), muss das Adaptivfahrwerk samt Dynamik-Modus ordern. Dann wird der Brite zum Helden im Kurvenreich, wie wir im März auf griechischen Straßen erfahren durften. Die Charakter-Bandbreite ist beachtlich.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir sprechen hier nicht von lahm. Beim Sprint von 0 auf 100 vergehen nur 7,5 Sekunden möglich sein. Der Testverbrauch lag übrigens bei 11,5 Liter (NEFZ-Verbrauch 7,9 l/100 km).
Lustige Assistenzsysteme
Der Range Rover Evoque kann noch deutlich mehr als entschleunigen, etwa offroaden oder sich durchsichtig machen. Ja, wirklich: Über intelligente Kameras kann er (gegen Aufpreis) ein durchsichtiges Bild seiner selbst am Display darstellen und so zeigen, was sich vor und unter dem Auto befindet sowie wo genau die Räder gerade laufen. Das kann auch im Großstadt-Dschungel sehr hilfreich sein.
Kleinigkeiten sind es, die manchmal nerven können. Die Memory-Tasten für den elektrisch verstellbaren Fahrersitz liegen genau da, wo das Knie des Fahrers anliegt. Man muss seine Sitzposition also auf allen drei Tasten speichern, damit man nicht ständig unwillkürlich mit dem Sitz spazieren fährt (dass die Lehnenneigung auch darüber hinaus ein Eigenleben führte, dürfte eine Einzelfall-Schrulle des Testwagens gewesen sein). Was Klimaanlagen-Fans eher wenig stören wird, ist, dass man nicht mit offenem Fenster fahren kann, weil es sehr bald zu wummern beginnt (außer man öffnet auch noch ein anderes).
Unterm Strich …
… steht bekanntlich der Gesamtbetrag - der beträgt beim Testwagen (Range Rover Evoque P250 AWD SE) 71.444 Euro, samt 5144 Euro Extras wie dem gestochen scharfen Surround-Kamerasystem samt „ClearSight Ground View“ oder dem Panoramadach mit elektrischer Sonnenblende (Einstiegspreis für den frontgetriebenen P150 mit manuellem Getriebe ist 40.800 Euro). Eine schöne Stange Geld - weswegen diese Version in Österreich kaum jemand kauft (18 Prozent NoVA!).
Was schade ist, den der Wagen ist auf eine sehr britische Art entspannt. A gentleman will walk, but never run.
Warum?
Britische Eleganz vom Feinsten
Angesichts der Außenmaße sehr viel Platz innen
Auf angenehme Art entschleunigt
Warum nicht?
Wer‘s wirklich dynamisch mag, muss durch die Aufpreisliste.
Oder vielleicht …
… BMW X4, Mercedes GLC Coupé
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