Die Demokratie lebt
Istanbul: Neuwahl endet für Erdogan in Debakel
Bei diesem mit Spannung erwarteten Test ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan durchgefallen: Der Oppositionskandidat Ekrem Imamoglu hat die Bürgermeisterwahl in Istanbul klar gewonnen. „Wer Istanbul verliert, verliert die ganze Türkei“, hatte Erdogan vor den Kommunalwahlen am 31. März noch getönt. Für Erdogan-Verdrossene ist der Erfolg der Opposition ein Zeichen dafür, dass politischer Wandel möglich ist. Einige sehen in Imamoglu schon den nächsten Präsidenten der Türkei. Wahlsieger Imamoglu selbst sagte, die Istanbuler hätten den „Ruf der Demokratie verteidigt“.
Es war der Tag der Entscheidung in der Bosporus-Metropole Istanbul, der Entscheidung zwischen dem Kandidaten der islamisch konservativen AKP von Staatspräsident Erdogan und dem säkularen Kandidaten der republikanischen Volkspartei CHP. Für Erdogan selbst ging es dabei aber um viel mehr als das Amt des Bürgermeisters in der 15-Millionen-Stadt. Der Sieg Imamoglus gilt als herber Rückschlag für den türkischen Präsidenten und seine regierende AKP.
Klarer Sieg für Oppositionskandidaten
Imamoglu erhielt am Sonntag nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu rund 54 Prozent der Stimmen, sein Gegner, der ehemalige Ministerpräsident Binali Yildirim, kam auf 45 Prozent. Der Abstand zwischen den beiden Kandidaten betrug 778.000 Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben von Anadolu bei 84,4 Prozent und damit etwa auf dem gleichen Niveau wie bei der ersten Wahl Ende März. Wahlberechtigt waren rund 10,5 Millionen Menschen.
Yildirim gestand seine Niederlage am Sonntag ein. In einer Rede fast zeitgleich mit den ersten Ergebnissen gratulierte er seinem Rivalen von der oppositionellen CHP und wünschte ihm viel Glück für seine künftigen Aufgaben. „Ich wünsche unserem Freund Ekrem Imamoglu, dass er Istanbul gute Dienste erweist“, so der unterlegene AKP-Kandidat.
Und auch Erdogan selbst gratulierte dem Wahlsieger. „Der Wille des Volkes hat sich heute erneut gezeigt“, schrieb der türkische Präsident am Sonntagabend im Kurzbotschaftendienst Twitter. „Ich gratuliere Ekrem Imamoglu, der laut den inoffiziellen Ergebnissen die Wahl gewonnen hat.“
Imamoglu sieht Sieg als „neuen Beginn“ für die Türkei
Imamoglu bezeichnete seinen Sieg als „neuen Beginn“ für die Türkei. „Nicht eine einzelne Partei, sondern ganz Istanbul und die Türkei haben diese Wahl gewonnen“, sagte er am Sonntagabend. Der Wahlsieger sagte, die Istanbuler hätten den „Ruf der Demokratie verteidigt“. Die ganze Türkei habe gewonnen. Er habe eine „heilige Aufgabe“ übernommen und werde sein Amt „mit Leib und Seele“ ausführen. Imamoglu kündigte zudem an, Erdogan bald zu besuchen. Er wolle „in Harmonie“ mit ihm zusammenarbeiten.
Imamoglu hatte die erste Bürgermeisterwahl am 31. März knapp gewonnen. Die AKP hatte daraufhin seinen Sieg angefochten und der Opposition „Diebstahl an den Urnen“ vorgeworfen. Unter ihrem Druck annullierte die Wahlkommission Anfang Mai die Wahl schließlich. Die Entscheidung begründete die Behörde unter anderem damit, dass in einigen Fällen die Vorsitzende der Wahlräte - anders als gesetzlich vorgesehen - keine Beamten gewesen waren. Die Annullierung wurde international kritisiert.
Die nun am Sonntag abgehaltene Neuwahl wurde national wie international aufmerksam beobachtet. Vielen galt sie als Test für den Zustand der Demokratie im Land. Zehntausende Menschen waren sogar extra aus dem Urlaub zurückgekehrt (siehe Video unten), um ihre Stimme abgeben zu können.
Experte sieht „kolossale Niederlage“ für Erdogan
Der Politikwissenschafter Berk Esen von der Bilkent Universität in Ankara nannte den Sieg Imamoglus eine „kolossale Niederlage für Yildirim, aber auch für Erdogan“. „Er hat sich verspekuliert. Der Abstand zwischen den beiden Kandidaten war so hoch, dass es keinen Sinn machte, weiter zu beharren“, sagte Esen. Er erwarte, dass die AKP-Führung nun versuchen werde, die Bedeutung der Wahl herunterzuspielen.
Für Erdogan ist der Verlust der Wirtschaftsmetropole eine Niederlage mit weitreichenden Konsequenzen. Er hatte selbst seine politische Karriere 1994 als Bürgermeister von Istanbul begonnen. „Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei“, hat Erdogan einmal gesagt. Der Sieg in Istanbul wird die CHP in der ganzen Türkei stärken, während die AKP mit dem Verlust der Kontrolle über die Stadtverwaltung wichtige Ressourcen verliert.
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