Fast alle pilgern direkt in die berühmteste Stadt Galiciens, zur Kathedrale in Santiago de Compostela. Dabei gibt es in diesem äußersten, so ganz anderen Zipfel Spaniens noch viel mehr zu entdecken. Vor allem zahlreiche kulinarische Versuchungen.
Spätestens seit Hape Kerkeling dann mal weg war, pilgert wieder alles nach Galicien – um, wie könnte es anders sein, zu pilgern. Durch den schönen Landstrich Spaniens ziehen sich die letzten Kilometer des berühmten Jakobswegs bis zum (fast) finalen Höhepunkt, der Kathedrale in Santiago de Compostela. Zu Fuß zur inneren Einkehr zu gelangen ist heutzutage wieder so in wie einst im Mittelalter.
Wer Hunderte Kilometer in den Beinen hat, könnte zurzeit ein wenig enttäuscht sein vom Ziel. Denn die Kathedrale gleicht im Inneren einer Baustelle, sie wird auf Hochglanz gebracht für das 2021 anstehende Heilige Jahr (das sich immer dann jährt, wenn der Namenstag des Apostels Jakobus, der 25. Juli, auf einen Sonntag fällt). Das imposante Portal erstrahlt zwar schon im neuen alten Farbglanz und auch den Apostel kann man wie gewohnt am Altar umarmen, im Hintergrund begleitet einen aber das stetige Hämmern und Bohren der Handwerker, was der inneren Einkehr wohl wenig Ruhe gönnt.
Da im Heiligen Jahr dem Büßenden gleich auf einen Schwung alle Sünden kollektiv erlassen werden, sollte man die Pilgerreise vielleicht ohnehin ein wenig verschieben - und bis dahin noch ein paar kulinarische Sünden anhäufen. Und die gibt es in Galicien zuhauf. Galicien mit „c“ wohlgemerkt, buchen Sie einen Urlaub in dem mit „z“, landen Sie nicht in Spanien, sondern in Polen oder der Ukraine. Sicher auch schön, aber dazu ein anderes Mal ...
Ein bisschen Irland in Spanien
Galicien ist ein ungewöhnlicher Flecken Spaniens. Er liegt so am nordwestlichsten Zipfel Europas, dass man dahinter einst das Ende der Welt vermutete. Zumindest das europäische Festland endet hier so sehr, dass man schon mit einem Fuß in Irland oder Schottland zu stehen scheint. Flamenco und Kastagnetten, brütend heiße und trockene Sommer, Stierkämpfe und so manch anderes klassisches Spanien-Klischee sucht man hier vergeblich. Stattdessen präsentiert sich die Landschaft saftig grün, dank des großzügigen Regens, der fast schon ein Markenzeichen Galiciens ist, die Sommer sind dank der atlantischen Brise mild – und statt Kastagnetten geben hier Dudelsäcke den Ton an. Auch die keltischen Kreuze in den Städten, am Wegesrand und auf den so typischen Hórreos, den auf Stelzen stehenden Mais- und Getreide-Speichern, erinnern mehr an Irland als an Spanien.
Bei den kulinarischen Sünden jedoch, da setzt sich zum Glück Spanien voll und ganz durch. Gegessen wird oft, lange, viel – und ausgesprochen köstlich. An der Küste Galiciens gedeihen angeblich die besten Meeresfrüchte der Welt. In den Flussmündungen, die sich wie fjordartige Buchten ausbreiten, den sogenannten Rias, vermischt sich Süß- und Salzwasser tatsächlich in einem so ausgewogenen Verhältnis, dass es für Muscheln eine Freude ist.
In der Ría de Arousa bei O Grove liegen die Bateas wie ein schwarz-grauer Fleckerlteppich auf dem Wasser. Die kleinen Holzplattformen sind das teuerste Stückchen Land in Galicien, sagt man gerne. Schließlich wird hier das „Gold Galiciens“ geborgen – und die Lizenzen für eine Batea kosten daher ein Vermögen. An den Holzflößen werden lange Taue befestigt, an denen Austern, Mies- und natürlich auch Jakobsmuscheln, das Symbol des Jakobswegs, gezüchtet werden. Am besten lassen sich die Muscheln gleich auf einem der Ausflugsschiffe verkosten – in einem Sud aus Weißwein, Salzwasser und Lorbeer gedämpft, schmecken sie herrlich frisch und knackig.
Eine besonders gefährliche Versuchung sind die Percebes, die Entenmuscheln – weniger für den, der sie isst, als für jene, die sie sammeln. An langen Seilen werden die Fischer ins Wasser gelassen, die scharfkantigen Klippen können bei der starken Strömung des Meeres oft zu verheerenden Fallen werden. Das macht die Entenmuscheln so wertvoll – bis zu 200 Euro kostet ein Kilo von dieser seltsamen Köstlichkeit, die eigentlich keine Muschel, sondern eine Krebsart ist, wie ein kleiner Dinosaurierfuß aussieht – und das volle Aroma des Ozeans in sich trägt. Die große Vielfalt des Meeres lässt sich übrigens wunderbar auf dem Fischmarkt in Pontevedra entdecken.
Guter Fisch muss natürlich schwimmen. Und dafür macht man am besten einen Abstecher in das kleine Städtchen Cambados, die Hauptstadt des frisch-fruchtigen Albariño, und seine umliegenden Weingüter. In die Weinkellerei Pazo Baión zum Beispiel, die noch vor gar nicht langer Zeit dem Drogenbaron Laureano Oubiña gehörte, so etwas wie der nicht ganz so mörderische Pablo Escobar von Galicien. Die versteckten Buchten waren schon immer prädestiniert für Piraten – für die von einst wie Francis Drake und die von jetzt, die Kokain und Zigaretten schmuggeln. Heute produziert das Gut nicht nur gute Weine, sondern widmet sich auch sozialen Projekten.
Nach einem üppigen Mahl soll man bekanntlich ruhen oder tausend Schritte tun - und dafür sticht man am besten in der malerischen Küstenstadt Baiona in See. Leider nicht mit dem Nachbau der imposanten „Karavelle La Pinta“, die als Museumsschiff im Hafen liegt und Einblicke in den Seefahrtsalltag von Christoph Kolumbus gibt. Die „La Pinta“ war übrigens das erste Schiff aus der Flotte Kolumbus’, das in Spanien anlegte - und somit sind die Bewohner von Baiona noch heute stolz darauf, dass die Kunde von der Entdeckung Amerikas sie als Erste erreichte.
Wir nehmen für unsere kurze Überfahrt die Fähre, die uns in ca. 30 Minuten ins Paradies bringt: den traumhaft schönen Cies-Inseln. Nach einem kurzen Spaziergang durch den Nationalpark Islas Atlánticas durch kühle Pinienwälder hinauf auf den Gipfel der Insel, liegen einem die weißen Sandstrände zu Füßen, an denen türkisblaues Wasser sanfte Wellen schlägt. Da sieht Spanien plötzlich aus wie die Karibik. Ewig könnte man hier verweilen – doch das ist in dem geschützten Nationalpark gar nicht so einfach. Nicht mehr als 2000 Besucher pro Tag sind erlaubt. Denn zu viel Mensch tut dem Paradies selten gut.
Was bleibt einem also übrig, als zurück von den Inseln wieder ein wenig zu sündigen. Mit einer köstlichen Mandeltorte als Dessert zum Beispiel, der berühmten Tarta de Santiago, auf der in einer dicken Puderzuckerschicht das Kreuz des Santiago-Ordens prangt. Eine süße, nach Marzipan duftende Versuchung. Das nächste Heilige Jahr ist ja zum Glück nicht mehr weit ...
Franziska Trost, Kronen Zeitung
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