Acht Buben und Mädchen sollen in einem Wiener Kindergarten von ihren Betreuerinnen massiv gequält worden sein. Nun wurden zwei der Kinder kontradiktorisch vernommen: „Wir durften nie weinen ...“
Vergangener Montag, im Wiener Landesgericht. Ein Mädchen, ein Bub - sechs und vier Jahre alt - werden kontradiktorisch vernommen. Ihre Antworten auf die behutsam gestellten Fragen: erschütternd. „Die Kinder haben nicht weinen dürfen.“ „Sie sind dann im Klo eingesperrt worden.“ „Es war ganz dunkel in dem Raum.“ „Wir haben die Türschnallen nicht erreicht, sie sind so hoch oben gewesen.“ Angaben von Kindern, die angeblich fürchterliche Dinge erleben mussten, über Monate, teilweise sogar über Jahre hinweg. In einem KIWI-Kindergarten in Wien-Meidling.
Der Skandal war im vergangenen Frühjahr aufgeflogen: In zwei Gruppen der Einrichtung sollen absurde Erziehungsmaßnahmen an zumindest acht Kindern im Alter zwischen einem und vier Jahren vollzogen worden sein. Im Fokus der Erhebungen stehen ihre - mittlerweile fristlos entlassenen - Betreuerinnen. Die Frauen, 23 und 27, beteuern ihre Unschuld: „Wir haben unseren Schützlingen nichts Böses angetan.“
„Wie konnte ich nur so lange so blind sein?“
Die Mütter der mutmaßlichen Opfer sehen das anders. Vier von ihnen sitzen jetzt in einem Kaffeehaus, sie haben Akten zu dem Gespräch mit der „Krone“ mitgenommen, „die unsere Anschuldigungen belegen“. Was sind die Beweise der Frauen? Aufzeichnungen von Erzählungen ihrer Kinder, vor ihnen und vor Psychologen. „Wie konnte ich nur so lange so blind sein?“, fragt eine der Mütter, und Tränen laufen aus ihren Augen: „Ich hätte die Anzeichen, dass mit meinem Buben Schreckliches geschieht, viel früher erkennen müssen.“
„Plötzlich hatte er Albträume“
Ihr Sohn ist jener Vierjährige, der nun vor der Staatsanwaltschaft ausgesagt hat. „2017 merkte ich, dass er sich zu verändern begann. Plötzlich hatte er Albträume. Er weigerte sich, in die Toilette zu gehen, und zog sich immer mehr in sich zurück.“ Aus einem fröhlichen Kind sei mit einem Mal ein verängstigtes geworden. „Ich suchte ständig nach Erklärungen dafür. Mein Fehler: Ich dachte, er würde eine Trotzphase durchmachen. Meine Alarmglocken begannen erst zu schrillen, als er eines Morgens schrie: ,Bring mich nicht wieder ins Gefängnis!‘“ In der Folge habe der Bub „endlich zu erzählen begonnen“. Für „kleine Ewigkeiten“ sei er regelmäßig von seiner Kindergartentante bei abgeschaltetem Licht in einen Nassraum gesperrt worden, „wenn er zu laut war, oder wenn er weinte“.
„Meine Tochter musste hungern“
Eine andere Mutter - ihre Tochter ist knapp zwei - berichtet: „Irgendwann wimmerte meine Kleine immer beim Wickeln. Weil sie fürchtete, ich würde ihr dabei wehtun. Was“, so die Frau, „ist also noch alles mit unseren Kindern passiert - vielleicht noch viel ärgere Dinge? Über die wir womöglich nie erfahren werden, weil unsere Kinder zu klein sind, um das Geschehene zu artikulieren.“ „Meine Tochter“, sagt eine weitere Frau, „spricht oft davon, dass sie zum Essen gezwungen wurde. Aß sie nicht gleich auf, wurde ihr Teller ausgeleert, und sie musste den ganzen restlichen Tag hungern.“ Die beiden beschuldigten Pädagoginnen hätten sich zudem „einen Spaß daraus gemacht“, vor ihren Schützlingen Süßigkeiten zu essen - „und ihnen nichts davon abzugeben“. Und es sei mitunter auch zu „körperlichen Übergriffen - grobem Anfassen“ gekommen, wenn die Kleinen nicht parierten.
Was ist das Jetzt der Kinder?
Einige von ihnen scheinen den Horror, dem sie ausgesetzt waren, halbwegs verkraftet zu haben. Experten nennen das Verdrängung. „Mir wurde geraten, mein Kind nicht nach Vergangenem auszufragen, weil es damit retraumatisiert werden könnte“, erklärt eine Mutter. „Aber meiner Tochter ist selbst auch nichts Tragisches geschehen, sie war bloß Zeugin der Taten.“ Weniger gut der Zustand des genannten Vierjährigen: „Mein Sohn befindet sich dauerhaft in Therapie. Seine Psychologin hat bereits in einem Gutachten geschrieben, dass er mindestens bis er acht ist fachlich betreut werden muss.“
„Die seelischen Wunden der Kinder sind enorm“
Der Leiter der KIWI-Kindergärten hat die betroffenen Eltern mittlerweile für die Vorfälle um Entschuldigung gebeten und für die Zukunft genaueste Kontrollmaßnahmen versprochen. Den beiden beschuldigten Kindergartenpädagoginnen droht eine Anklage wegen Freiheitsentziehung, Quälens und Vernachlässigens unmündiger, wehrloser Personen - und, wenn es nach Nikolaus Rast, dem Anwalt zweier Opfer-Familien, geht, auch wegen Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen: „Denn die seelischen Wunden der Kinder sind teilweise enorm.“
Martina Prewein, Kronen Zeitung
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