Percussion-Weltstar Martin Grubinger schreibt in seiner „Krone“-Kolumne „Schlagfertig“ über das größte Radrennen der Welt, die Tour de France.
37:35 Minuten! Ein Rekord für die Ewigkeit. Das ist die schwer fassbare Bestzeit, die der italienische Radprofi Marco Pantani im Ziel von L’Alpe d’Huez, dem Mekka des Radsports, dem Berg der Holländer, der „Streif“ aller Radler, markiert hat. Und auch wenn diese Bestzeit in die Hochphase des EPO-Dopings gefallen ist und Pantani fast sicher gedopt war, ist es ein außergewöhnlicher Rekord. 1200 Höhenmeter auf 13 Kilometer in 37:35 Minuten! Wahnsinn! Leider aber hat das korrupte System im damaligen Radsport „Il Pirata“ zu einer tragischen Figur werden lassen, die ein trauriges Ende mit einer Überdosis Kokain in einem Hotelzimmer in Rimini fand.
Trotzdem hat mich die Faszination des Radsport mit seinem alljährlichen Höhepunkt, der Tour de France, immer fasziniert. Und so schreibe ich diese Kolumne in den französischen Alpen mit Blick auf den legendären Col du Galibier.
Ein Kindheitstraum geht für mich in diesen Tagen in Erfüllung: alle großen Tour de France-Alpenpässe selbst mit dem Rennrad zu befahren. Und auf diesen Touren findet man Wegpunkte, die Radsport-Geschichte geschrieben haben. Der besagte Rekord von Pantani in L’Alpe d’Huez, das große Duell von Lance Armstrong mit Jan Ullrich am Col de la Madelaine, verheerende Stürze auf der kilometerlangen Abfahrt vom Col du Glandon oder auch taktische Finessen hinauf zum Col du Telegraphe! Herrlich! Und auf den Spuren meiner Helden schinde ich mich mit Freunden in diesen Tagen über diese legendären Bergpässe.
Warum tut man sich im Urlaub diese Quälerei an? Warum schindet man sich in sengender Hitze freiwillig steile Bergpässe hinauf? Worin liegt die Faszination, mit einem Fahrrad diese Strapazen auf sich zu nehmen?
Die Radler unter Ihnen kennen die Antwort. Es ist ein Gefühl der Freiheit, der Unabhängigkeit und gleichzeitig die tägliche Herausforderung, den inneren Schweinehund zu besiegen. Wenn man nach stundenlangem Kampf mit dem Berg, der Hitze und sich selbst auf dem Gipfel ankommt, ist das ein Gefühl der absoluten inneren Ruhe und Gelassenheit. Dazu das außergewöhnliche Bergpanorama und die Gewissheit, aus eigener Kraft hier oben angekommen zu sein.
Bei unserem wilden Ritt nach L’Alpe d’Huez habe ich gestern übrigens mein radlerisches Waterloo erlebt. Am Fuß des Berges bin ich mit viel zu hohem Puls mit meinem Freund Manuel Hofstätter in die ersten der 21 legendären Spitzkehren geknallt - am Ende dieser Tortur war meine Beinmuskulatur völlig am Ende. Und während der Puls rast und man aus Erschöpfung fast vom Rad kippt, sagt man sich, dass man jetzt echt genug hat von diesem Blödsinn. Aber oben angekommen fängt das Kribbeln schon wieder an. Rein in den Bus und ab zum nächsten Bergpass! Dieser Kampf mit sich selbst ist auch eine gute Lebensschulung.
Am Fuß des Col de la Croix de Fer konnte ich meinen Freunden kaum noch folgen. Doch Kampfgeist und positive Leidensfähigkeit sind essenziell. Auch in meinem Beruf als Musiker. Und so schärft das Radfahren die Sinne, belebt Geist und Körper, lässt uns jeden Tag Neues erleben, führt uns an die entlegensten Orte und lässt Freunde bei diesen Abenteuern ganz eng zusammenrücken. Und ganz nebenbei purzeln die Kilos. Das nimmt man nebenbei auch gerne mit.
Als Kind habe ich mit meinem Fahrrad erstmals das Gefühl der Freiheit erfahren - ohne Aufsicht der Eltern ist es der erste Aufbruch zu eigenen Ufern. Man genießt den milden Fahrtwind, hört das Surren der Kettenblätter, verfolgt den Rhythmus der Gangschaltung und ist frei!
Während Sie diese Zeilen lesen, nehmen wir den letzten Bergpass, den Col d’Iseran, in Angriff. Morgen geht’s zurück zur Musik. Neue Motivation für die nächsten Konzerte in dieser Woche. Denn am Schlagzeug will ich „Il Pirata“ sein. Daran besteht kein Zweifel.
Zuletzt ein Dank meinen Gipfelfreunden: Christian Hofmann, Leonhard Schmidinger und Manuel Hofstätter. Was für ein Team!
Ihr Martin Grubinger
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