Fleischbeschau bei „Promi Big Brother“, zügelloses Flirten mit der „Bachelorette“ und jede Menge nackter Tatsachen warten wieder im Sommer im TV-Programm.
Kann es denn im TV noch tiefer gehen? Ja, muss die Antwort lauten, wenn man auf die Zeit zurückblickt, seit das Privatfernsehen die Grenzen des sogenannten guten Geschmacks überschritten hat.
Gab’s Anfang der 1990er-Jahre Busenblitzer der Marke „Tutti Frutti“, wird mittlerweile vor laufender Kamera nackt geduscht, lebendes Dschungelgetier verspeist, ungeniert Liebe gemacht, geflucht, geheult, verleumdet, gedroht und Intimstes ausgeplaudert.
Seit jeher zum Gaudium des TV-Publikums, das sich auch in diesem Sommer wieder zum fröhlichen Fremdschämen versammelt: Ab Mittwoch (20.15 Uhr, RTL) kann man der „Bachelorette“ beim mehr oder weniger lustvollen Flirten zusehen, eine Woche später sperrt bereits wieder das „Sommerhaus der Stars“ auf, in das C-Promis mit unbändigem Drang zur Selbstdarstellung und guter Gage gelockt werden. Im August folgt das Ganze dann in Container-Atmosphäre bei „Promi Big Brother“.
Ob Formate wie „DSDS“ oder „Supertalent“ nun zum „Trash“-TV (die englische Bezeichnung für „Müll“) zu rechnen sind, bleibt wohl jedem Zuseher selbst überlassen. Fest steht, dass alle gesellschaftlichen Schichten vor den TV-Geräten sitzen. Der Bauarbeiter tauscht sich am Tag nach der Sendung ebenso mit Kollegen aus wie der Herr Primar im Spital. Vorbei die Zeiten, als man noch leugnen musste, auch nur eine Minute solcher Sendungen gesehen zu haben.
Dass es immer noch eine Spur „tiefer“ gehen kann, beweisen Nacktdating-Formate wie „Adam sucht Eva“, bei denen sich zu Voyeurismus und Exhibitionismus ungezügelte Schamlosigkeit gesellt. Dass RTL hier nun die Reißleine gezogen und das Format eingestampft hat, mag vielleicht ein Schritt in eine Richtung weg vom „TV-Dreck“ sein. Letztendlich ist es jedoch immer der TV-Konsument, der mit seiner Programmauswahl vorgibt, was ihm die Sender auch in Zukunft vorsetzen werden.
„Wir mögen es, wenn’s menschelt“
Psychologin Mag. Christina Beran analysiert, warum „Dschungelcamp“ & Co. eine ungebrochene Faszination auf die Zuseher haben.
„Krone“: Was bewegt Menschen, sich freiwillig im Fernsehen zu erniedrigen?
Mag. Christina Beran: Manche Teilnehmer, die bereits zumindest ein prominentes Momentum hatten, sprechen offen aus, dass sie sich öffentliche und mediale Aufmerksamkeit erwarten. Man liest aber auch vom Motiv des Abenteuers oder des Un- oder Außergewöhnlichen.
Warum schauen wir so gerne dabei zu?
Wir leben in einer Welt unendlich vieler Möglichkeiten, kommen schwer zur Ruhe. Das erschöpft uns. Mit Trash-TV-Konsum brauchen wir die Couch nicht zu verlassen und bekommen An- oder Aufregung. Es kommt noch das Element der Vertrautheit dazu, wenn wir das Format bereits kennen. Das hat etwas von einem Besuch mehr oder weniger exzentrischer Familienmitglieder. Und am nächsten Tag kann man sich auch noch mit Kollegen darüber austauschen. Authentische Situationen, in denen echte Menschen handeln, üben einen großen Reiz aus: Wir sind soziale Wesen - und wir mögen es auch, wenn es menschelt.
Warum ergötzen wir uns so an Schadenfreude?
Schadenfreude kann psychisch entlastend wirken, weil es dadurch eine Aufwertung des eigenen Selbst bewirkt. Man kommt dann zu dem Schluss, dass ein Promi auch nur ein Mensch und das eigene Leben gar nicht so schlecht ist.
Wie sehr hilft die Distanz übers Fernsehen, kein Mitleid zu haben?
Mitleid basiert im Gegensatz zur Empathie weniger auf eigenen Erfahrungen: Wir sehen eine Person in Not und haben z. B. das Bedürfnis, zu helfen. So können wir etwa Mitleid für misshandelte Tiere haben - auch ohne ihren Schmerz wirklich nachempfinden zu können - das geht auch über bildliche Darstellungen.
Wie weit kann das noch vorangetrieben werden?
Durch Inszenierungsstrategien verschwimmt die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem. Ich sehe diese Entwicklung bereits jetzt problematisch.
Wo sehen Sie die rote Linie bereits überschritten?
Problematisch sind Formate, in denen Teilnehmer sich selbst darstellen und ihre Privatheit und Intimität betroffen ist. Die Kombination aus Selbstinszenierung und Fremdbestimmung ist weder für sie noch für die Zuschauer durchgängig ersichtlich.
Stefan Weinberger und Marie Pribil, Kronen Zeitung
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.