„Man wird älter“
Stark auch in der Krankheit: Merkel feiert 65er
Nüchternheit, Zähigkeit, Selbstbeherrschung, preußische Arbeitsethik, aber auch Widersprüchliches wie bei allen großen Persönlichkeiten: Das ist das Bild, das man sich von der mächtigsten Frau der Welt macht. Nun ist Angela Merkel 65 - und zeigt erste Schwächezeichen. „Mir geht es gut“, beharrt die deutsche Kanzlerin. Doch bei offiziellen Empfängen sitzt sie ab sofort lieber (siehe Video oben).
Angela Merkel hat schon viele Krisen gesehen in ihren bald 14 Jahren Kanzlerschaft. Finanzkrise, Eurokrise, Flüchtlingskrise. Diverse Koalitionskrisen. Und nun kämpft Merkel auch noch mit einer Gesundheitskrise. Ausgerechnet kurz vor ihrem 65. Geburtstag. Die Kanzlerin muss sich eingestehen, dass ihr Körper nicht immer das macht, was der Geist von ihm will. Wo doch sonst ihre Robustheit und Nervenstärke etwa in durchverhandelten Nächten legendär und gefürchtet sind.
Sorgen um ihre Gesundheit
Die Zitterattacken haben Sorgen wachsen lassen, dass sich die Kanzlerin zu viel zumutet. Nicht auszuschließen, dass die 18 Jahre an der CDU-Spitze mit ständigen internen Rangeleien und die Jahre als Regierungschefin mit Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit tiefe Spuren bei Merkel hinterlassen haben. Auch den Tod ihrer Mutter Herlind Kasner im April soll Merkel noch nicht wirklich verarbeitet haben.
Drei Zitterattacken innerhalb von drei Wochen:
Regierungsalltag auch am Geburtstag selbst
Vor mehr als 20 Jahren schon hatte sie der Fotografin Herlinde Koelbl gesagt, sie wünsche sich, nicht als „halb totes Wrack“ aus der Politik auszusteigen. Wird Merkel noch selbstbestimmt den richtigen Zeitpunkt für den Abschied von der Politik finden? Der Terminkalender der Kanzlerin sieht nicht so aus, als denke sie mit fast 65 an die Pension. Selbst am Tag, an dem sie Geburtstag feiert, leitet die Kanzlerin wie immer mittwochs das Kabinett. Regierungsalltag eben.
„Merkel geht es nicht um die Buchstaben CDU, sondern ICH“
Ihre Sympathiewerte sind ungebrochen, aber Kritiker sagen: Diese Sympathiewerte ziehen die CDU nicht mit. Die Partei dümpelt in Umfragen zuletzt stabil weit unter 30 Prozent, mit den Grünen auf den Fersen. Gegner halten Merkel zudem mangelnden Einsatz im Europawahlkampf vor. Unter ihren größten Widersachern heißt es, es gehe der Kanzlerin schon lange nicht mehr um die CDU. Ihr Programm bestehe ausschließlich aus drei anderen Buchstaben: ICH.
Da zählt wenig, dass Merkel auf internationaler Ebene noch immer als einzige Politikerin gilt, die von Donald Trump, Wladimir Putin oder dem Chinesen Xi Jinping ernst genommen wird. Eher wird der Kanzlerin vorgehalten, sie bastle mit viel Pathos am Vermächtnis. Etwa mit ihrer aufsehenerregenden Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz oder der umjubelten Anti-Trump-Ansprache vor Tausenden Studenten an der US-Eliteuniversität Harvard.
Pathos oder Pragmatismus?
Hält Schwarz-Rot in Berlin bis Weihnachten durch, hat Merkel länger regiert als der erste Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, der von 1949 bis 1963 genau 14 Jahre und einen Monat amtierte. Ob es der Kanzlerin wichtig ist, auch die 16 Jahre Regierungszeit ihres Unionsvorgängers und früheren CDU-Übervaters Helmut Kohl zu toppen?
Das geht nur, wenn die Koalition tatsächlich bis 2021 regiert. Aber in der Union rechnen viele damit, dass es im Frühjahr 2020 eine vorgezogene Neuwahl gibt - falls die SPD sich vorher für die Opposition entscheidet. Was Kohls Amtsdauer betrifft, sagen Menschen aus Merkels Umgebung: So tickt sie nicht.
Doch wie geht es weiter, falls die SPD aussteigt? Eine längere Zeit der Minderheitsregierung wird mit Merkel kaum zu machen sein. Für das größte und stärkste Land der EU ist eine derart wackelige Regierungsform nicht praktikabel, ist die Kanzlerin überzeugt. Die Übergangszeit bis zur vorgezogenen Wahl dürfte sich deswegen eher in Monaten bemessen.
Eine lässige Altersweisheit
Seit Merkel im Dezember 2018 den CDU-Vorsitz abgegeben hat, gönnt sie sich bei Parteiangelegenheiten nun öfters eine gewisse Lässigkeit, die sie sich in den 18 Jahren zuvor nicht leisten wollte. Da war sie fast immer eine Stunde vor allen anderen in der CDU-Zentrale. Nun rollt Merkel in ihrer gepanzerten Limousine meist pünktlich oder gar erst kurz nach Beginn der Sitzung in die Tiefgarage des Adenauerhauses, die CDU-Zentrale.
„Nicht jünger, aber erfahrener - vielleicht“
Merkel selbst gibt sich auf die Frage, was der Geburtstag für sie bedeutet, gewohnt bescheiden. Ihr werde nun bewusst, „dass man immer älter wird“, sagt die Kanzlerin gewohnt nüchtern. Zwar sei der 65. nicht ganz so markant wie der 60. oder der 70. Geburtstag. Aber er bedeute eben auch: „Dass man nicht jünger wird. Aber erfahrener. Vielleicht. Alles hat seine gute Seite.“
Kurt Seinitz, Kronen Zeitung/krone.at
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