Heute vor genau 50 Jahren zog die Mondlandung 600 Millionen Menschen auf der ganzen Welt in ihren Bann. Im Gespräch mit Conny Bischofberger erinnert sich ORF-Legende Hugo Portisch (92) an einen außerordentlichen Moment Fernsehgeschichte.
Das Gehen fällt ihm etwas schwer, geistig ist der 92-jährige Doyen des österreichischen Journalismus präzise und klar wie eh und je. In seiner Dachgeschosswohnung unweit des Rochusmarktes erzählt Hugo Portisch, ganz untypisch in einem kurzen Sommerhemd, vom ersten Fernseh-Marathon, Skizzen der explodierten Rakete, unverständlichen Funksprüchen und die Landung der ersten Menschen auf dem Mond um 4 Uhr in der Früh.
„Krone“: Herr Dr. Portisch, am 21. Juli 1969 kam der Mond - auch dank Ihnen - zu uns ins Wohnzimmer. Können Sie den Moment in einem Satz beschreiben?
Dr. Hugo Portisch: Naja, zu mir kam er nicht ins Wohnzimmer. - Lacht. - Weil ich saß ja im Fernsehstudio. Das befand sich damals noch in so kleinen Häuschen, die zum Tierpark Schönbrunn gehörten. Wir haben immer gesagt: Wir senden aus den Affenkäfigen! Das Eintreffen der Astronauten auf dem Mond war ein ganz außerordentlicher Moment. Keineswegs so selbstverständlich, wie die Leute heute glauben. Es war eine riskante Geschichte, eine Zitterpartie eigentlich.
Inwiefern?
Die NASA hat zwar betont, dass alles eingeübt, alles vorbereitet sei, man sei für alle Eventualfälle gewappnet, aber die Mission war von Anfang mit vielen Risiken versehen. Das begann schon beim Start. Man hörte es aus dem Tonfall der NASA. „We’ve got a lift-off! We’ve got a lift-off!“ Als ob sie selbst überrascht gewesen wären, dass der so reibungslos verlaufen ist.
Stimmt es, dass der Künstler Christian Ludwig Attersee Skizzen von „Apollo 11“ angefertigt hat?
Das war nicht Attersee, das war der Architekt Roland Rainer. Gerd Bacher, damals ORF-Generalintendant, hat ihn gebeten, er möge die Mondlandung mit Zeichnungen begleiten. Rainer saß bei uns im Studio und hat ein paar Minuten vor dem Start schon die Rakete am Boden explodieren lassen.
Ist die Fantasie mit ihm durchgegangen?
Es war nicht so weit hergeholt. Die amerikanischen Raketen sind oft beim Start explodiert.
Gibt es diese Skizzen noch?
Als wir in den frühen Morgenstunden nach Hause gegangen sind, habe ich sie in einem Papierkorb gesehen. Ich dachte mir noch: Eigentlich schade, die sollten wir mitnehmen. Heute hätten sie Seltenheitswert.
Wie ging die „Zitterpartie“ weiter?
Zunächst war also die Frage, wird die Rakete richtig zünden und reibungslos abheben? Und dann: Wenn sie zum Mond kommt, wo wird sie landen? Man wusste ja nicht, wie der Untergrund beschaffen ist. Es hing alles von der Mondkapsel ab. Kann sie richtig aufsetzen oder steht sie schief, weil sie von Felsbrocken behindert wird? Dann hätten die Astronauten womöglich nicht mehr zur Erde zurückkehren können. Und dann gab es auch seltsame Funksprüche.
Welchen Inhalts?
Wir hatten eine Dolmetscherin, die das versucht hat zu übersetzen. Knapp vor dem Abstieg auf dem Mond haben die Astronauten gemeldet: „Houston, we’ve got a problem!“. Auf die Frage, welches Problem, haben sie eine Ziffer genannt. Ich glaube es war 252 oder so ähnlich. Irgendwann hörten wir die NASA sagen: „Kümmert euch nicht um 252, macht alles genauso, wie ihr es gelernt habt.“ Nachher haben wir erfahren, dass 252 der Ausfall des Zentralcomputers war. Apollo 11 ist ohne zentralen Computer gelandet.
Haben Sie sehr mitgefiebert?
Wir haben alle mitgefiebert, wir haben uns sehr mit dieser Mission identifiziert und gehofft, dass alles glatt geht.
Bis es so weit war, mussten Sie einen wahren Marathon hinlegen. Wie kann man 28 Stunden und 18 Minuten überbrücken?
Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, dass das so lange gedauert hat. Aber wir waren sehr gut vorbereitet. Wir haben uns auf die gefährlichen Momente eingestimmt. Wir kannten die Biographien der Astronauten auswendig. Dazwischen präsentierten wir die Raumanzüge. Wir haben also viel zu plaudern gehabt. Heute hätte man wahrscheinlich jede Menge Studiogäste da. Das war damals noch nicht üblich.
Sie waren erst kurz Chefkommentator des ORF, als Neil Armstrong um 4 Uhr morgens mitteleuropäischer Zeit als erster Mensch den Mond betrat. Ein Glücksfall für Ihre Karriere?
Nein, das war ganz normale Arbeit.
„Ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Fortschritt für die Menschheit“ - gilt das auch 50 Jahre später noch?
Sicher. Vieles wäre ja heute gar nicht vorstellbar, wenn das damals nicht geglückt wäre. Unsere ganzen GPS-Systeme, alles, was auf der Welt heute elektronisch gesteuert wird, wäre ohne die Erfahrungen, die aus der Mondlandung gewonnen wurden, nicht möglich.
Wie reihen Sie die Mondlandung im Vergleich zu den anderen historischen Ereignissen während Ihrer Karriere ein?
Es war ein technologischer Umbruch von globalem Ausmaß, gar keine Frage. Ich glaube, es hat keine elektronische oder technische Entwicklung gegeben, die mehr bewirkt hat und größeren Aufwand erfordert hat als diese. Aber die Mondlandung war natürlich auch ein großes politisches Ereignis. Weil bis dahin waren die Sowjets, immerhin die Gegenmacht zum Westen, den Amerikanern technologisch weit voraus. Sie haben Sputnik gemacht, sie haben 1961 den ersten Menschen, Juri Gagarin, in den Weltraum geschossen. Wir waren innerlich fast davon überzeugt, dass die Russen den Amerikanern noch in die Quere kommen werden, dass sie ein paar Stunden vor den Amerikanern noch eine Rakete abschießen. Aber das war nicht der Fall.
Es gibt ja bis heute viele Verschwörungstheorien bis hin zur Behauptung, die Amerikaner hätten das nur vorgetäuscht. Was möchten Sie den ewigen Zweiflern sagen?
Die, die zweifeln wollen, werden nicht zu überzeugen sein. Aber die Sache ist ja klar. Die Astronauten haben auf dem Mond Steine gesammelt, die sie zurückgebracht haben, sie hatten Erlebnisse, die sie erzählt haben, viele hunderte Menschen haben sie via Fernsehen und via Funk beobachtet. Also, sie konnten nicht die ganze Welt betrügen.
Bei der ersten Mondlandung hatte nur jeder zweite Haushalt in Österreich ein Fernsehgerät. Wie erleben Sie seither die digitale Revolution?
Als ganz gewaltigen technologischen Durchbruch. Am meisten interessieren mich heute jene Dinge, die man in der Medizin anwenden kann. Also etwa Tumorerkennung und Tumorbekämpfung. Das finde ich hochinteressant.
Hat es Sie je geängstigt?
Aber nein!
Niki Lauda träumte davon, noch ins Weltall zu fliegen. Haben Sie auch je daran gedacht?
Nie. Aber in meiner Jugendzeit, als ich ein Teenager war, habe ich Zukunftsromane gelesen. Jules Verne hatte ja den Flug zum Mond damals schon beschrieben und zwar fast genauso, wie er tatsächlich abgelaufen ist, mit einer Rakete. Ein deutscher Zukunftsromantiker war Hans Benedikt, der hat auch einen Mondflug beschrieben. Bei ihm flog ein blinder Passagier mit und weil der Treibstoff nur für zwei Leute reichte, hat er sich selbst in den Weltraum geschossen und sich so das Leben genommen. So bin ich eigentlich mit der Idee aufgewachsen, dass das sehr wohl eines Tages möglich sein wird.
Die Marslandung ist für die Zweitausenddreißiger oder -vierziger Jahre vorgesehen. Tut es Ihnen leid, dass Sie das wahrscheinlich nicht mehr erleben werden?
Das werde ich sicher nicht mehr erleben. Ja, das tut mir leid. Ich hätte das sehr gerne erlebt.
Welches historische Ereignis würden Sie gern noch erleben?
Mein größter Wunsch wäre, dass Europa seine Spaltung überwindet und wieder einen gemeinsamen Weg findet.
Was soll man einmal über Hugo Portisch sagen?
Vergesst mich! - Lacht.
Diesen Gefallen wird man Ihnen aber nicht tun.
Aber ja, es fängt schon an.
Zum Schluss noch eine aktuelle Frage: „Kurier“-Herausgeber Helmut Brandstätter wird zu den NEOS gehen. Hat Sie das überrascht?‘
Schon, ja. Ich habe nicht geglaubt, dass er sich politisch betätigen wird.
Kann er trotzdem Herausgeber bleiben?
Wenn die Eigentümer des „Kurier“ einverstanden sind, kann er wahrscheinlich bleiben.
Aber ist es in Ihren Augen vereinbar?
Ich glaube, dass man politische Überzeugungen vertreten und trotzdem ein objektiver Mensch bleiben kann. Aber schwierig ist es schon.
Mehr als 28 Stunden berichtet
Hugo Portisch, geboren 1927 in Pressburg/Bratislava, hat den Österreichern wie kein anderer die Welt erklärt. Seine ORF-Dokumentationen prägten das kollektive Geschichtsbewusstsein. Am Abend der Mondlandung saß Chef-Kommentator Hugo Portisch, damals 42, gemeinsam mit Peter Nidetzky, Othmar Urban und Herbert Pichler im Fernsehstudio beim Schönbrunner Tierpark und kommentierte das Ereignis aus außenpolitischer Sicht. Der Fernsehmarathon dauerte insgesamt 28 Stunden und 18 Minuten.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.