Ein 14-jähriger Niederösterreicher soll am vergangenen Montag seine Mutter getötet haben. „Ich bin einfach ausgerastet“, sagt der Bub jetzt in Verhören. Die „Krone“ recherchierte die Vorgeschichte des Dramas.
Das Youtube-Video dauert knapp zwei Minuten: Kinderhände schieben einen Spielzeugbagger vorsichtig auf und ab. Im Hintergrund eine helle, zarte Stimme: „Ich habe das Fahrzeug geschenkt bekommen. Ich kann damit herumfahren, es hat viele tolle Funktionen.“ Es folgen weitere Clips. Über Erdbeer-Setzlinge etwa: „Ich werde die Pflanzen aufziehen und dann eine Ernte machen.“ Oder über eine Flasche: „Ich habe sie in einem Bach gefunden. Ich dachte zuerst, es ist vielleicht ein Brief darin. Aber leider war sie nur voll mit schmutzigem Wasser.“ Oder über eine Getränke-Dose: „Die Limonade kann man in jedem Supermarkt kaufen. Sie schmeckt wirklich gut ...“
2016, mit 11, hat Michael (Name geändert) auf der Internet-Plattform einen eigenen Kanal angelegt und dann darüber ein halbes Jahr hindurch Szenen aus seinem Leben veröffentlicht. Bewegte Bilder, die bedrücken. Weil sie die Einsamkeit des Buben deutlich machen und zeigen, wie sehr er sich gewünscht haben muss, dass sich irgendjemand für ihn interessiert. Seine Aufnahmen - er bekam dafür kaum Likes. „Das hat mich damals schon ein bisschen traurig gemacht“, sagt er jetzt. Aber sonst will er nicht viel reden, über sich: „Ich weiß nur, dass ich die Zeit zurückdrehen möchte, denn dann würde das alles nicht mehr passieren.“ Das alles ...
„Sie wollte mich nicht schlafen lassen“
Michael steht unter dem Verdacht, seine Mutter getötet zu haben; am vergangenen Montag, in der 50-Quadratmeter-Wohnung der beiden, im zweiten Stock eines Mehrparteienhauses, am Rande einer kleinen Ortschaft in Niederösterreich. Der 14-Jährige hat mittlerweile vor der Kripo ein Teilgeständnis abgelegt. Wie schon so oft davor, hatte er auch die Nacht auf den 22. Juli am Computer verbracht und Ego-Shooter-Games- Fortnite und GTA- gespielt; er hatte bei virtuellen Kämpfen Feinde erschossen und war auch ein paar Mal selbst gestorben.
Völlig erschöpft sei er schließlich „ungefähr um 2 Uhr“ zu Bett gegangen: „Und ich bin extrem müde gewesen, als mich meine Mama um 9 Uhr weckte und wollte, dass ich sofort ihren kaputten Laptop repariere.“ In der Küche wäre es in der Folge zu einem Streit zwischen der 55-Jährigen und ihrem Sohn gekommen, im Zuge dessen „ich ausrastete und in eine Art Trancezustand kam“. Ein Stich in den Oberkörper der Mutter, mit einem Fleischmesser. „Hilfe!“ habe die Frau geschrien, „sie fiel nieder, und weil ich noch immer so wütend war“, stieß er die Waffe noch zwei Mal gegen ihren Kopf.
„Aber ich habe sie doch geliebt“
Und danach? Schleppte Michael die Leiche in den Wohnraum, er beseitigte mit einem Handtuch Blutspuren, ging dann in sein Zimmer, schlief ein. Um „cirka 13Uhr“ wachte er auf, angeblich ohne Erinnerung an das Geschehene: „Und bald entdeckte ich meine Mama, sie lag halb auf ihrem Sofa, halb am Boden, ich schaute in ihr Gesicht - und da begriff ich, dass ihr etwas Schlimmes zugestoßen war.“ „Zunächst“, so der Bub „dachte ich nicht, ich könnte daran schuld sein“, er alarmierte die Rettung, bis zum Eintreffen der Sanitäter versuchte er, seine Mutter zu reanimieren.
Und erst später, in Vernehmungen, sei ihm klargeworden, „dass ich sie umgebracht habe.“ „Ich wollte das nicht tun“, beteuert er jetzt, „denn ich hatte sie doch lieb.“ Und ohnehin glaube er manchmal, sie wäre „in Wahrheit gar nicht tot“ - und er befände sich bloß „in einem schrecklichen Albtraum“. Sein Anwalt Ernst Schillhammer: „Mein kleiner Klient wirkt sehr verschüchtert - und traurig. Über den Tod seiner Mutter habe ich noch kaum mit ihm gesprochen.“
Ist der 14-Jährige dazu fähig, die Tragweite seines Handelns zu erkennen; war er zum Zeitpunkt der Tat zurechnungsfähig; leidet er an einer seelischen Störung? Gab es Vorzeichen für das Verbrechen? Was ist die Geschichte des Buben und seiner Mutter? Die Frau - auch ihr Name darf nicht genannt werden, nennen wir sie Sabine - wuchs in geordneten Verhältnissen auf, mit vier Geschwistern. „Unser Vater war Zimmerer, die Mama versorgte den Haushalt und kümmerte sich um uns Kinder. Und ja, wir hatten es immer gut daheim“, erzählt Sabines ältester Bruder.
Fleißig, gutmütig, freundlich - sei seine Schwester in ihrer Jugend gewesen, „nach der Schule machte sie eine Lehre zur Schuhverkäuferin, ihr Beruf machte ihr Spaß und auch sonst verlief bei ihr alles prima. „Mit 20 lernte sie ihre große Liebe kennen, sie und ihr Freund hatten eine wundervolle Beziehung.“ Bis zu diesem „fürchterlichen Tag“, 1988. „Die beiden waren mit ihrem Auto unterwegs, ein anderer Lenker übersah sie“, es kam zu einem schweren Unfall.
„Sabines Verlobter wurde dabei nur leicht verwundet, sie selbst erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma“, drei Wochen lag die Frau im Koma, „danach war sie ein anderer Mensch.“ Herrisch, streitsüchtig, faul: „Ihr Freund trennte sich bald von ihr.“ Wie verlief Sabines Dasein weiter? „Sie arbeitete kaum noch, vernachlässigte ihr Äußeres, begann zu trinken, nahm Pillen gegen Schmerzen und Depressionen.“
Michael hat seinen Vater nie kennengelernt
Mit etwa 35 heiratete sie „einen zwielichtigen Mann“ und wanderte mit ihm nach Spanien aus. Das Paar machte sich dort mit einer Kaninchenzucht selbstständig. „Zwei Jahre später kam Sabine geschieden und völlig verarmt, zurück“, in ihr Heimatdorf. Und setzte ihr altes Leben fort; hatte selten Jobs, konsumierte viel Alkohol - und Tabletten. 2004 begann sie eine Affäre mit einem verheirateten Mann und wurde rasch von ihm schwanger. Noch vor Michaels Geburt machte er mit ihr Schluss, der Bub hat seinen Vater, er starb vor vier Jahren, nie kennengelernt.
„Sabine ist mit Michaels Versorgung und Erziehung überfordert gewesen“, berichtet ein Ex-Partner der Frau. Bereits als Kleinkind hätte er ihr nicht gefolgt. Wahrscheinlich, weil sie nicht dazu imstande war, für ihn Strukturen zu schaffen und ihm ausreichend Hinwendung zu geben. „Mir gegenüber verhielt sich der Bub immer brav“, sagt sein einstiger „Ersatz-Papa“, „und er war so glücklich und dankbar, wenn ich mit ihm Schneemänner oder Legoburgen baute.“ Während seine Mutter mehr und mehr abstürzte, halbe Nächte in Wirtshäusern verbrachte und oft bis zum späten Vormittag schlief.
Mit acht wollte er weg von seiner Mutter
Michaels Drama, es war im Dorf bekannt. Schließlich war da eine Rentnerin, die ihn ab seinem fünften Lebensjahr betreute. Sie holte den Kleinen zunächst täglich vom Kindergarten, später von der Volksschule ab; lernte, spielte mit ihm, kochte seine Lieblingsgerichte. Und häufig - wenn seine Mama „auf Tour“ war - übernachtete er auch bei ihr. So konnte es kommen, dass der Bub irgendwann nur noch bei dieser Frau, die er Omi nannte, sein wollte. Als seine Mutter die Entfremdung von ihr bemerkte, Michael war damals acht, machte sie der Pensionistin eine Szene - und sie verbat ihrem Sohn fortan den Kontakt zu seiner bis dahin wichtigsten Bezugsperson. Tagelang, erzählen Nachbarn, hätte der Bub danach sein Zimmer in Sabines Wohnung nicht verlassen, „sein Weinen war bis auf die Straße zu hören.“
Und langsam begann er sich zu verändern
Wie ging es mit ihm weiter? Wie mit seiner Mutter? Der Bub gewöhnte sich langsam wieder daran, in einem Chaos - zwischen Wäschebergen und schmutzigem Geschirr - existieren zu müssen, und bloß Pizzen oder Burger zu essen. Aber gleichzeitig versuchte er, Ordnung - und damit Hoffnung - in sein Leben zu bringen. Zum Beispiel, indem er Erdbeer-Stecklinge aufzog . . . „Michael“, erzählen ehemalige Schulkollegen, "gab sich, zumindest in den ersten zwei, drei Jahren in der NMS, stets fröhlich. Nie redete er über die Probleme, die er - wie wir alle wussten - daheim hatte, er sie schob sie einfach weg.“
Doch mit der Zeit, merklich im vergangenen Jahr, hätte er sich zu verändern begonnen: „Er war plötzlich eher still“, er schwänzte häufig den Unterricht; Sabine deckte ihn, unterschrieb Entschuldigungen. Die Frau hatte sich zuletzt, sagen Bekannte von ihr, „zum Positiven verändert“; sie trank kaum noch Alkohol, nahm Jobs an, als Reinigungskraft und bei einer Fleischerei: „Sie wollte sich wieder auf die Reihe kriegen - und ihrem Sohn eine bessere Mutter sein." Ihre Bemühungen kamen zu spät. Schon längst hatte sich Michael in eine andere Welt geflüchtet; in seine Spiele im Internet. Hier konnte er Aggressionen abbauen, hier fand er Gleichgesinnte, mit denen er - im Gefühl, einer Gruppe anzugehören - Erfolge feierte.
„Wenn ich Feinde tötete, habe ich geschrien“
Per Headset war er nachts ständig mit seinem „Kämpferclan“ verbunden, und wenn er dabei von seiner Mama gestört wurde, begann er zu toben. „Ich hörte ihn oft wild mit ihr schimpfen“, erzählt der Türnachbar der beiden. Wiederholt hätte es deshalb Polizeieinsätze gegeben. Und: Die kleine Familie war in Betreuung durch das Jugendamt. Eine Gefahrenlage, für den Buben oder für die Frau, wurde jedoch nie festgestellt. Auch in der Nacht vor Sabines Tod soll es wieder einmal zu einer Auseinandersetzung zwischen ihr und dem Sohn gekommen sein. „Weil sie“, so Michael, „meinte, ich wäre zu laut. Aber wenn ich Feinde abknallte oder selbst gekillt wurde, dann habe ich natürlich - vor Begeisterung oder in Panik - geschrien.“ Als er seine Mutter erstach, will er „völlig still“ gewesen sein. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Martina Prewein, Kronen Zeitung.
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