Das Ende 2018 gegründete Hamburger Start-up AU-Schein verspricht seinen Kunden, ihnen das Wartezimmer zu ersparen. Eine kleine Gebühr via PayPal überweisen, einen Fragebogen ausfüllen und die Versicherungsnummer durchschicken - und nach kurzer Zeit kommt vom Privatarzt in Lübeck die Krankmeldung via WhatsApp. 10.000 Personen sollen den Service bereits genutzt haben, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich. Aber ist das eigentlich rechtens?
Juristen und Ärztevertreter sind da skeptisch. Can Ansay, der Gründer des Start-ups, sieht sich aber auf der sicheren Seite. Er habe „eine Lichtung im Paragrafendschungel“ entdeckt, zitiert ihn die Wochenzeitung „Zeit“. Der Unternehmer meint: „Jeder weiß doch eigentlich, wann er eine Erkältung hat und was zu tun ist.“ Da sei ein Arztbesuch zum Zweck der Krankschreibung eigentlich unnötig. Außerdem würden so „Ärzte entlastet, die so mehr Zeit für andere Patienten haben“, sagt Ansay.
Er arbeitet für sein Online-Angebot mit Privatärzten in Schleswig-Holstein - das Bundesland hat sehr liberale Regelungen zur Telemedizin - zusammen und will Missbrauch vermeiden, indem sein Service sich auf Erkältungssymptome beschränkt und pro Kundschaft nur zweimal pro Jahr für eine maximal drei Tage dauernde Krankmeldung genutzt werden darf. Bei untypischen Symptomen und wenn ein Patient einer Risikogruppe angehört, werden keine WhatsApp-Krankenscheine ausgestellt, der Patient müsste in diesem Fall also zum niedergelassenen Arzt.
Deutsche Ärztekammer sieht AU-Schein skeptisch
Ärztevertreter zeigen sich trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen skeptisch und zweifeln an, dass via WhatsApp die ärztliche Sorgfaltspflicht eingehalten werden kann. „Auch hinter einer zunächst harmlos wirkenden Erkältung kann sich eine viel gravierendere Erkrankung verbergen“, sagt der Hamburger Ärztekammer-Präsident Pedram Emami. Er fragt außerdem: „Wie stellt ein Arzt über WhatsApp sicher, dass ein Mensch tatsächlich krank und tatsächlich der Patient ist, der auf der Versichertenkarte genannt ist?“
Dass das WhatsApp-Krankmeldungen überhaupt möglich sind, verdankt das Start-up einer Gesetzesnovelle. Galt bis Mai 2018 in Deutschland ein „ausschließliches Fernbehandlungsverbot“ für Ärzte, wurde dieses danach gelockert. In einigen Bundesländern wie Schleswig-Holstein dürfen Ärzte seither Patienten telemedizinisch behandeln, ohne diese jemals in natura gesehen zu haben. In anderen Bundesländern muss zumindest einmaliger Kontakt zum Patienten stattgefunden haben, bevor ein Arzt telemedizinisch mit ihm arbeiten darf.
Arbeitgeber muss Krankmeldung nicht akzeptieren
Kritik an der WhatsApp-Krankschreibung kommt auch von Arbeitsrechtlern. Sie warnen, dass Unternehmen die WhatsApp-Krankmeldung nicht zwangsläufig akzeptieren müssen - etwa, wenn diese rückwirkend oder ohne korrekte Untersuchung ausgestellt wurde, also berechtigter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit besteht. Arbeitsrechtlerin Nathalie Oberthür: „Es wird nicht nach Tätigkeit beurteilt, sondern pauschal davon ausgegangen, dass Arbeitnehmer bei Erkältung arbeitsunfähig sind.“ Die Juristin geht davon aus, dass Ferndiagnose-Krankenstände in Zukunft noch Arbeitsgerichte beschäftigen werden.
AU-Schein-Gründer Ansay hält dem entgegen: „Mir ist nicht bekannt, dass ein Arbeitgeber die Krankmeldung nicht akzeptiert hätte.“ Kein Wunder: Anhand des Krankenscheins kann niemand erkennen, ob beim Arzt eine persönliche Behandlung oder eine Ferndiagnose stattgefunden hat. Ansay plant derweil bereits, das Angebot von AU-Schein in den nächsten Monaten noch zu erweitern. Derzeit nur für Erkältungs-Krankschreibungen gedacht, will das Start-up künftig auch bei anderen leicht diagnostizierbaren und ungefährlichen Erkrankungen Krankmeldungen anbieten. Welche das sind, verrät Ansay noch nicht.
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