Koalition am Ende

Zwist in Italien: „Verrückteste Krise der Welt“

Ausland
16.08.2019 12:11

Streit um Flüchtlinge, Misstrauensantrag, drohende Neuwahlen: In der italienischen Innenpolitik fliegen die Fetzen. Im Mittelpunkt stehen die populistische Fünf-Sterne-Bewegung und die rechte Lega. Die beiden Regierungsparteien übertrumpfen sich mit gegenseitigen Anschuldigungen - und das lediglich 14 Monate nach ihrem Amtsantritt. Italiens Ex-Premier, der Sozialdemokrat Matteo Renzi, beklagte, dass in Italien die „verrückteste politische Krise der Welt“ ausgebrochen ist.

Der Zusammenbruch der italienischen Regierung nach lediglich 14 Monaten im Amt bezeuge, dass die Populisten „inkompetent und unfähig“ seien, so Renzi im Interview mit der französischen Tageszeitung „Le Monde“.

Ein Graffito verulkt die italienischen Polit-Spitzen. (Bild: AFP)
Ein Graffito verulkt die italienischen Polit-Spitzen.

Ex-Premier Renzi: „Niemand hatte bisher Krise im Hochsommer ausgelöst“
„Italien ist an Regierungsturbulenzen gewöhnt, doch jene, die Innenminister Matteo Salvini ausgelöst hat, ist präzedenzlos. Niemand hatte bisher eine Krise im Hochsommer ausgelöst, um sich die Verabschiedung des Etats zu ersparen“, so Renzi, der Italien von 2014 bis 2016 regiert hat. Der 44-Jährige bekräftigte seine Forderung nach einer Übergangsregierung aus seiner Demokratischen Partei (PD) und der Fünf-Sterne-Bewegung, die seit Juni 2018 mit Salvinis Lega regiert. Dies sei notwendig, um im Herbst den Haushaltsvoranschlag zu verabschieden.

Ex-Premier Matteo Renzi (Bild: AFP)
Ex-Premier Matteo Renzi

Salvini peilt Neuwahlen noch im Herbst an
Salvini hatte vergangene Woche das derzeitige Regierungsbündnis mit der Fünf-Sterne-Bewegung als nicht arbeitsfähig erklärt und platzen lassen. Seine Lega strebt ein Misstrauensvotum gegen Ministerpräsident Giuseppe Conte an. Salvini peilt eine Neuwahl noch im Herbst an und hofft, danach Regierungschef zu werden. Doch Fünf Sterne und PD verhinderten in dieser Woche gemeinsam zunächst eine Debatte über den Misstrauensantrag. Nun soll Conte, der keiner Partei angehört, am Dienstag vor dem Unterhaus eine Rede halten.

Premier Conte kritisiert Salvini: „Unfaire Zusammenarbeit“
Der Streit um die Aufnahme von Migranten vom NGO-Schiff Open Arms auf Lampedusa brachte das Fass zwischen Fünf Sternen und Lega endgültig zum Überlaufen. Conte griff Salvini frontal an. „Unfaire Zusammenarbeit“, „institutionelle Verstöße“, „politischer Eifer“, „absolute Unnachgiebigkeit“ sind nur einige der Vorhaltungen, die Conte am Freitag in einem langen, auf Facebook veröffentlichten Brief auf den Rechtspopulisten abfeuerte. Das Ganze ist überschrieben mit: „Sehr geehrter Innenminister, lieber Matteo“.

Conte attestierte Salvini, er konzentriere sich zwanghaft auf die Migration. Zudem reduziere er das Thema auf die Formel „geschlossene Häfen“ - und das, um als Politiker an Zustimmung zu gewinnen. „Wenn wir wirklich unsere ,nationalen Interessen‘ schützen wollen, können wir uns nicht darauf beschränken, Positionen der absoluten Unnachgiebigkeit zu vertreten“, erklärte Conte.

Salvinis Lega liegt in Umfragen klar vorne
Salvinis Offensive für Neuwahlen kommt nicht von ungefähr, denn in den Umfragen ist seine rechte und ausländerfeindliche Lega mit Abstand die beliebteste Partei im Land. Seit Amtsantritt im Juni 2018 haben seine Zustimmungswerte rasant zugenommen - vor allem wegen seiner harten Hand im Kampf gegen die Zuwanderung aus Nordafrika und gegen private Seenotretter.

Salvini kontert Conte: „Bekenne mich zu meiner Besessenheit“
Salvini nahm das Schreiben als willkommene Vorlage. Gewohnt zynisch antwortete er darauf und verteidigte seinen Kurs. Ja, er sei besessen von der Sicherheit seiner Bürger, die ihm sein Gehalt bezahlten, sagte er am Donnerstag bei einer Pressekonferenz im süditalienischen Castel Volturno. „Ich bekenne mich also zu meiner ,Schuld‘, lieber Ministerpräsident, zu meiner ,Besessenheit‘ bei der Bekämpfung aller Arten von Straftaten, der illegalen Einwanderung mit eingeschlossen“, hieß es in einem Antwortschreiben Salvinis.

Salvini-Vertrauter warnt: „Lega könnte in Opposition landen“
Nun regt sich allerdings auch zunehmend Widerstand innerhalb der Lega gegen Salvinis Neuwahlpläne. Die Partei könne am Ende in der Opposition landen, warnte Staatssekretär Giancarlo Giorgetti, ein enger Vertrauter Salvinis, am Donnerstag. „Wir hätten unsere Regierungsposten behalten können, und jetzt laufen wir Gefahr, dumm auszusehen“, sagte Giorgetti der Zeitung „La Repubblica“. Am Mittwoch hatte Agrarminister Gian Marco Centinaio von der Lega in einem Radiointerview mit Blick auf den bisherigen Koalitionspartner gesagt: „Ich würde niemals eine Tür ganz zuschlagen.“ Doch Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio zeigte am Donnerstag keinerlei Interesse an einer Fortsetzung der Koalition.

Di Maio: „Jeder muss jetzt sein Schicksal selbst in die Hand nehmen“
Di Maio schrieb auf Facebook, Salvini bedauere seinen Schritt jetzt. Doch nun sei der Schaden da. „Jeder muss jetzt sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Viel Glück!“

Derzeit gibt es Annäherungen zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung und den Sozialdemokraten. Gemeinsam hätten die Parteien rechnerisch eine Mehrheit im Unterhaus und könnten eine Regierung bilden. Eine solche Option, die sie nach der Parlamentswahl im Mai 2018 noch ausgeschlossen hatten, diskutieren nun beide Parteien offen.

Staatspräsident entscheidet über Polit-Zukunft Italiens
Wie es politisch in Italien weitergeht, hat letztlich Staatspräsident Sergio Mattarella in der Hand. Er allein kann das Parlament auflösen und eine Neuwahl anordnen. Er kann aber auch den Auftrag erteilen, ohne Neuwahl eine neue Mehrheit zu suchen und eine Regierung zu bilden. Dann bestünde die Chance, dass noch im Herbst der Haushalt für 2020 vorgelegt und verabschiedet wird. Er muss der EU-Kommission bis Oktober präsentiert werden.

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