Proteste gegen Johnson
Briten wütend über „Putsch gegen das Parlament“
Der britische Premierminister Boris Johnson hat mit der von ihm verordneten Zwangspause des Parlaments einen Sturm der Empörung ausgelöst. Während die oppositionelle Labour-Partei einen Misstrauensantrag gegen den Regierungschef vorbereitet und Abgeordnete des Unterhauses auch auf juristischem Weg gegen den „Frevel an der Verfassung“ vorgehen möchten, gehen auch viele Briten in London auf die Straße, um gegen die Parlamentsschließung zu demonstrieren.
„Stoppt den Putsch, stoppt den Putsch“, skandierten am Mittwochabend Hunderte Demonstranten vor dem Regierungssitz in der Downing Street 10 und hielten Transparente mit dem Konterfei Johnsons hoch. Diese waren vielfältig verziert. Auf vielen „zierten“ Hitler-Schnurrbärte die Oberlippe des Regierungschefs. „Das war ein schmutziger Trick, die Queen in diese Position zu bringen, diesem Antrag zuzustimmen“, ließ ein Protestierender mit Johnson-Clown-Maske seinem Ärger freien Lauf.
Online-Petition gegen Zwangspause erhält enormen Zuspruch
Auch in anderen Städten des Landes wie Manchester, Edinburgh, Cardiff, Birmingham und Liverpool kam es zu lautstarken, aber friedlichen Protesten, bei denen zahlreiche EU-Flaggen zu sehen waren. Für das Wochenende sind noch größere Kundgebungen geplant. Eine Online-Petition gegen die umstrittene Maßnahme knackte bereits in der Nacht auf Donnerstag die Millionengrenze. Die Aktivistin und Geschäftsfrau Gina Miller teilte Berichten zufolge mit, sie habe rechtliche Schritte gegen die Entscheidung eingeleitet.
Miller hatte bereits 2017 ein Verfahren gegen die Regierung gewonnen, bei dem es um die Rechte des Parlaments bei der EU-Austrittserklärung ging. Nun verlangen die Initiatoren, dass das Parlamentsgeschehen nicht unterbrochen wird, solange Großbritannien den Austritt aus der Europäischen Union nicht verschiebt oder seinen Austrittsantrag zurückzieht. Solche Petitionen kann jeder Bürger einbringen, sie sind aber vor allem symbolischer Natur.
Zerreißprobe für konservative Partei
Auch in seiner eigenen Partei löste Johnson eine heftige Kontroverse aus. Medienberichten zufolge wollte die Chefin der schottischen Konservativen, Ruth Davidson, noch am Donnerstag ihren Rücktritt bekannt geben. Auslöser für den Rückzug der Politikerin sollen demnach vor allem private Gründe sein, doch der Zeitpunkt gab Anlass für Spekulationen über einen tiefen Riss in der Partei: Davidson war Johnsons erbittertste innerparteiliche Rivalin im Wahlkampf vor dem Brexit-Referendum 2016 und ist eine entschiedene No-Deal-Gegnerin. Sie galt einst als Hoffnungsträgerin der Tory-Partei.
Johnson droht mit einem chaotischen Brexit, sollte sich die EU nicht auf seine Forderung nach Änderungen am Austrittsabkommen einlassen. Mehrmals hatte er in den vergangenen Tagen gewarnt, Brüssel solle sich nicht darauf verlassen, dass die Abgeordneten einen No Deal verhindern würden. Sollte es tatsächlich zu einem solchen kommen, wird mit drastischen Konsequenzen für die Wirtschaft auf beiden Seiten des Ärmelkanals gerechnet.
Knackpunkt im Streit zwischen London und Brüssel ist vor allem der sogenannte Backstop. Diese Klausel würde Großbritannien so lange an bestimmte EU-Regeln binden, bis eine andere Lösung zur Vermeidung von Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland gefunden ist. London sieht darin inakzeptable Fesseln. Das Austrittsabkommen scheiterte bereits drei Mal im Parlament.
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