EU-Kommissarin:
„Osteuropäer nicht an den Pranger stellen“
Nach Vorwürfen von EU-Mitgliedsstaaten wie Polen und Ungarn, in Sachen Rechtsstaatlichkeit einseitig im Fokus von Brüssel zu stehen, will die EU-Kommission unter ihrer künftigen Chefin Ursula von der Leyen nun handeln und in allen EU-Staaten einmal im Jahr die rechtsstaatliche Lage unter die Lupe nehmen. Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager räumte Fehler im Umgang mit osteuropäischen Mitgliedern ein und warnte davor, diese an den Pranger zu stellen. „Ich gebe ehrlich zu, dass auch ich in diesem Zusammenhang einen entscheidenden Fehler gemacht habe“, erklärte die Dänin, die als eine der einflussreichsten Politikerinnen in Brüssel gilt.
„Als der Eiserne Vorhang fiel, nahm ich einfach an, dass die ehemaligen Ostblockstaaten irgendwann zwangsläufig werden würden wie wir“, sagte Vestager der deutschen Tageszeitung „Die Welt“. „Aber stattdessen haben sie sich durch die Wende verändert und wir natürlich auch. Über diese Entwicklungen haben wir zu wenig gesprochen.“
„Besonderheiten“ im System einzelner Staaten berücksichtigen
Als Konsequenz fordert die Kommissarin einen neuen Ansatz im Streit um die Rechtsstaats-Prinzipien der Europäischen Union. Zwar müssten die „entsprechenden Verfahren anlaufen“, wenn der Verdacht bestehe, dass in einem Mitgliedsstaat gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen werde - allerdings müssten auch „Besonderheiten“ im politischen System des jeweiligen EU-Staates berücksichtigt werden. „Wir sollten anerkennen, dass es kein europäisches Standardverfahren gibt, wie zum Beispiel Richter ernannt werden“, so die Kommissarin.
Zugleich bemängelte die Dänin, dass sich die Frage der Rechtsstaatlichkeit bisher zu sehr auf die osteuropäischen Staaten konzentriere. „Wir dürfen nicht den Fehler machen, uns auf einige Wenige zu konzentrieren und zum Beispiel Mitgliedsstaaten aus dem Osten an den Pranger zu stellen, während fragwürdige Entwicklungen in anderen Staaten womöglich übersehen werden.“
Von der Leyen: „Es ist mir wichtig, die Debatten zu versachlichen“
Vor Vestager hatte bereits die künftige EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen Kritik am Umgang mit östlichen EU-Staaten geübt, wenn über Rechtsstaatlichkeit und Grundwerte der Europäischen Union debattiert werde. „Es ist mir wichtig, die Debatten zu versachlichen“, meinte sie.
Polen und Ungarn immer wieder im Visier der EU-Kommission
Vor allem Polen und Ungarn stehen im Visier der EU-Kommission. In Polen geht es um Justizreformen, die nach Einschätzung von Rechtsexperten zu direkter Abhängigkeit der Justiz von der parlamentarischen Mehrheit und dem Präsidenten führen. In Ungarn sind unter anderem Maßnahmen Stein des Anstoßes, die das Aus für die renommierte Central European University des ungarischstämmigen US-Investors George Soros in Budapest bedeutet haben. Die Uni ist nunmehr in Wien akkreditiert und nimmt dort im September ihren Betrieb auf.
Gegen beide Staaten wurden wegen mutmaßlicher Verletzungen der Grundwerte der Europäischen Union bereits Klagen vor dem EuGH eingereicht und Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge eingeleitet. Letztere sollen die Regierungen in Warschau und Budapest unter der Androhung eines Stimmrechteentzugs dazu bewegen, umstrittene Entscheidungen zurückzunehmen.
„Rechtsstaatlichkeit ist entscheidend für das Funktionieren der EU“
Die von der EU-Kommission bereits im Sommer beschlossene regelmäßige Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedsstaaten soll nun die „Früherkennung sich abzeichnender Rechtsstaatlichkeitsprobleme erleichtern“, wie die Brüsseler Behörde mitteilte. Über möglicherweise notwendige Konsequenzen solle dann mit dem Europaparlament und dem Rat der Mitgliedsstaaten geredet werden. „Die Rechtsstaatlichkeit ist für das Funktionieren der EU von entscheidender Bedeutung“, meinte dazu EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans.
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