Habeck und Kogler:

„Wir brauchen ein neues Verständnis von Spaß“

Österreich
08.09.2019 06:05

Zum Auftakt zur heißen Wahlkampfphase stattete der deutsche dem österreichischen Grünen-Chef einen Besuch ab. Im Interview sprechen Robert Habeck und Werner Kogler übers Warten auf Nachtzüge, Öko-Reformen und „grünen Patriotismus“. Spaßverderber wollen sie keine sein.

„Krone“: Herr Habeck, wie sind Sie eigentlich nach Wien gefahren?
Robert Habeck: Mit dem Zug aus Weimar. Eigentlich sollte ich um 1.30 Uhr in Würzburg in den Nachtzug umsteigen, aber der hatte eine Stunde Verspätung. Das Warten am Gleis tat schon etwas weh. Aber dann kam eine alte Dame zu mir, gab mir eine heiße Schokolade und sagte: „Sie sehen so durchgefroren aus.“ In Wien war ich dann um zehn Uhr.

Fliegen wäre viel komfortabler und billiger gewesen.
Werner Kogler: Genau darum geht es ja: Wir müssen mit dem Unfug Schluss machen, dass jene, die sich umweltbewusst verhalten, das Doppelte und Dreifache zahlen. Wenn man schon von Berlin nach Wien per Nachtzug fährt, muss man besser aussteigen als jemand, der fliegt. In den letzten Jahren wurden enorme Summen in Flughäfen, Autobahnen und so weiter gesteckt - anstatt es attraktiver zu machen, mit dem Nachtzug zu fahren.

Müssen künftig alle so umständlich reisen wie Sie?
Habeck: Man darf nicht von den Menschen erwarten, dass sie den Klimaschutz allein schultern. Es geht mir nicht darum, bessere Menschen zu machen, sondern bessere Politik - also ein politisches Angebot formulieren, das umweltfeindliches Verhalten überflüssig macht. Politik muss dafür sorgen, dass wir im Alltag moralisch entlastet werden. Sie sollte Dinge im Großen regeln, damit wir im Kleinen auch widersprüchlich sein können.

Deutschlands Grünen-Chef Robert Habeck (Bild: Zwefo)
Deutschlands Grünen-Chef Robert Habeck

Sie wollen trotzdem, dass wir weniger Fleisch essen, weniger fliegen und seltener mit dem Auto fahren. Sind Sie ein Spaßverderber, Herr Habeck?
Habeck: Ich hoffe nicht. Aber ich glaube, wir brauchen ein neues Verständnis von Spaß. Wir kaufen ständig neue Handys, werfen Millionen Tonnen Lebensmittel weg. Ich weiß nicht, ob das Glück durch diese Materialschlacht größer geworden ist. Schon aus meiner Schulzeit kenne ich die Frage gut, wo man im Sommer im Urlaub war. Man konnte gar nicht mehr sagen, dass man nur zu Hause am Strand war, weil alle anderen auf Mallorca waren. Da musste man beim nächsten Mal mindestens in die Türkei. Wir müssen aber aus weniger mehr machen. Und Besseres.
Kogler: Veränderungen sollen ja nicht der Lebenslust widersprechen. Aber es macht sicher keinen Spaß, wenn unsere Kinder und Kindeskinder auf einem unbewohnbaren Planeten verbrutzeln. Was umweltschädlich produziert wurde, soll teurer werden. Anderes - etwa biologisch Erzeugtes - günstiger. Wir können nicht jubeln über „Fridays for Future“ und auslassen, wenn es um echte Maßnahmen geht.

Wie erklären Sie einem Dieselfahrer, dass er für einen Tank 30 Euro mehr zahlen soll?
Kogler: Es geht darum, im Gegenzug anderswo zu entlasten, damit die Belastung insgesamt nicht steigt. Etwa über den berühmten Klima-Bonus. Genau das schlagen Experten auch vor.

Wie soll das funktionieren?
Kogler: Etwa bei Pensionisten, Studierenden oder Menschen mit niedrigem Einkommen. Auch die bekommen nach dieser Reform einen Klima-Bonus von jährlich 250 bis 500 Euro je nach Ausbaustufe. Dafür würden aber der Diesel und die Lkw-Maut etwas teurer.
Habeck: Wir arbeiten an ähnlichen Konzepten: Alle Menschen erhalten ein Energiegeld vom Staat. Dabei bekommen jene mit niedrigeren Einkommen am Ende mehr raus. Sie verbrauchen weniger Energie - etwa der Student, der mit dem Rad zur Uni fährt. Wenn er später viel Geld verdient und meint, einen spritfressenden Ferrari fahren zu müssen, zahlt er mehr für Sprit. Soziale Umverteilung durch Umstrukturierung des Systems also.

Herr Habeck, Sie haben mit Roten und Schwarzen regiert. Was hat mehr Spaß gemacht?
Habeck: Spaß ist nicht das richtige Kriterium für politische Arbeit. Aber es gibt einen Unterschied. Bei einem Bündnis mit der SPD - mit der wir im Großen und Ganzen eine politische Weltsicht teilen - trifft man sich in der Mitte. Bündnisse mit Parteien wie der CDU laufen dann gut, wenn man sich gegenseitig Raum lässt. Mit der CDU funktionierte das in meinem Heimatbundesland Schleswig-Holstein so: Wir haben uns im Öko-Bereich wesentlich durchgesetzt, ohne zu übertreiben. Die CDU durfte in der Bildungspolitik ihre Linie - bis zu einer gewissen Grenze - verfolgen.

Ist das Beispiel ein Vorbild für Türkis-Grün, Herr Kogler?
Kogler: Es ist zu früh, um über so etwas zu reden. Aber wir und andere Parteien werden aufgerufen sein, für neue Mehrheiten neben Türkis-Blau zu sorgen. Türkis muss aber zur Umkehr ansetzen, wenn sich das ausgehen soll. Ehrlich gesagt habe ich aber den Eindruck, dass die ÖVP die Ibiza-Koalition eh fortsetzen will. Doch dafür gibt’s ja uns, um das zu ändern.
Habeck: Ich kann es nicht fassen, dass diese Koalition noch denkbar ist. Jeder muss doch sehen, dass die FPÖ eine Partei ist, die sich den Staat zur Beute machen will. Rechtspopulisten werden in Regierungen nicht plötzlich zahm. Sie setzen um, was sie ankündigen, zum Schaden von Land und Rechtsstaat. Es ist Zeit, aufzuwachen.

(Bild: Zwefo)

Ein Buch von Ihnen heißt „Patriotismus. Ein linkes Plädoyer“. Können Grüne denn Patrioten sein, Herr Habeck?
Habeck: Ich denke schon. Aber es gibt einen fundamentalen Unterschied: Ein aufgeklärter Patriotismus ist der einer offenen Gesellschaft, der Solidarität, des Gemeinsinns, kein völkischer, nationalistischer, chauvinistischer Nationalismus. Und zu dieser offenen Gesellschaft sagen wir explizit Ja. Das ist wichtig, um den Rechten nicht die Definitionshoheit über Begriffe wie „Heimat“, „Deutschland“ oder „Österreich“ zu überlassen.

Wie definieren Sie Heimat?
Habeck: Heimat ist, wo man auch mal doof sein darf. Im Ernst: Heimat ist ein Versprechen von Geborgenheit. Sich nicht beweisen zu müssen, sondern angenommen zu werden, wie man ist. Zu leben, wie man will. Zu lieben, wen man will. Und wo es egal ist, wo man herkommt. So ist der Heimatbegriff nichts versumpft Konservatives mehr, sondern eine Leitidee für möglichst viele Menschen.

Heimat endet für Sie erst dort, wo Intoleranz beginnt?
Habeck: Das gefällt mir gut, ja.

Herr Kogler, sind Sie Patriot?
Kogler: Ja, weil das etwas Gescheiteres ist als ein primitiver Nationalist. Zur Heimat gehört für mich eben auch Demokratie, Freiheit, Menschenwürde und Toleranz.

Habeck und Kogler beim „Krone“-Gespräch mit Klaus Knittelfelder (Bild: Zwefo)
Habeck und Kogler beim „Krone“-Gespräch mit Klaus Knittelfelder

Die grüne Jugend plakatierte 2007: „Wer Österreich liebt, muss scheiße sein.“
Kogler: Das ist Schwachsinn. Und ich finde es irritierend, dass man mit so etwas Lächerlichem nach so vielen Jahren konfrontiert wird.

Wann waren Sie beide zuletzt bei einem Länderspiel?
Habeck: Im Fußball ist es bei mir lange her, bei Handball-Länderspielen zuletzt vor einem halben Jahr.
Kogler: Beim Länderspiel zuletzt 2017, aber ich bin oft bei Spielen von Sturm Graz.

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen 2022 wieder so zusammen: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Bundesminister gegenübersitzen?
Kogler: Sehr gering, weil ich derzeit nicht glaube, dass ich einer sein werde.

Klaus Knittelfelder, Kronen Zeitung

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