„Haben Sie ein Abo?“, fragt der Herr am Firmeneingang in Los Gatos streng. Altkanzler Sebastian Kurz, kurz überrumpelt, kann die Frage jedoch bejahen. „Dann können Sie auch hereinkommen.“ Das war nur ein kleiner Scherz des auch sonst recht lustigen Gründers des mit 150 Millionen Abonnenten weltgrößten TV-Streamingdienstes für Filme und Shows.
„TV-Revolutionär“, „TV-Visionär“, „Zeitgeist-TV“, wird Reed Hastings nachgesagt. Bilanzgewinn: eine Milliarde Dollar. Sein Internet-TV ist heute der Albtraum aller herkömmlichen TV-Unternehmen geworden. Gemessen an Nutzerzahlen hat Netflix in den USA bereits mehr Zuschauer als jedes herkömmliche TV-Network.
Reed Hastings will aber im Gespräch Gnade mit der alten TV-Welt walten lassen: Diese werde ihre Aufgabe für News und Sport behalten, sendet er Beruhigungssignale aus.
Netflix spult nicht mehr nur Filme und Shows ab. Der Streaming-Gigant macht bereits Eigenproduktionen wie schon den TV-Hit „House of Cards“, und Reed Hastings ist zu einer echten Größe unter den Hollywood-Mogulen aufgestiegen - zum Großimpresario des Showbusiness, für den die Sternchen antanzen und auch die ersten Oscars glitzern.
Auch Obamas produzieren schon für Netflix
Vielfalt ist in der Welt von Netflix angesagt, quer durch das Leben. Seit Neuestem produzieren auch Barack und Michelle Obama für Netflix gesellschaftspolitische Dokumentationen.
Ihr Erstlingswerk heißt „America Factory“ und handelt von einer in Schieflage geratenen US-Firma, die von einem chinesischen Milliardär samt einer Kompanie chinesischer Vorarbeiter übernommen wurde - und was das für die amerikanischen Arbeiter dort bedeutet: statt 19 Dollar 12,5 Dollar Stundenlohn; unbezahlte Mittagspausen; chinesische Kritik an der Arbeitsmoral der dortigen Arbeitskräfte; Kampf der Amerikaner um ihren Mittelklassestatus. Der Film soll oscarverdächtig sein.
Für Europa sechs neue TV-Serien
Für Europa kündigt Netflix sechs Fernsehserien an. Dabei zeichnet sich Widerstand aus dem - stets auf seine kulturelle Eigenständigkeit bedachten - Frankreich ab. Unter Federführung des Staates wollen die öffentlich-rechtliche und die beiden privaten Sendeanstalten ein gemeinsames „französisches Netflix“ auf die Beine stellen.
Frankreich will sich nicht überrollen lassen
Frankreich will sich nicht überrollen lassen wie vor Jahrzehnten durch Hollywood. Geplant ist ab 2020 eine senderübergreifende Streaming-Mediathek, damit sich französische und europäische Produktionen gegen das amerikanisch-globale Angebot durchsetzen können. Ungeklärt ist noch, ob die Abo-Gebühren zusätzlich zum Rundfunkbeitrag eingehoben oder gegenverrechnet werden.
In den USA sind als Netflix-Konkurrenz Disney, Amazon & Co. aufgewacht. Sie rüsten nun zum großen Gegenschlag. Es kündigt sich ein brutaler Preiskampf an. Den Kunden freut’s.
Begonnen hatte Reed Hastings 1997 mit einem DVD-Verleih noch über Postversand. 2007 begann der Übergang zum Online-Streaming.
1998 hatte es Netflix erstmals in die „New York Times“ geschafft: Reed Hastings senkte den Preis für eine vierstündige Dokumentation auf 2 Cent, um über ein historisches Ereignis aufzuklären. Der Inhalt: die komplette Zeugenaussage von Präsident Bill Clinton in seiner Monica-Lewinsky-Affäre.
Kurt Seinitz, Kronen Zeitung
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